Die Belagerung der Krim (Teil 2)

 

4135174

 

KIEW/MOSKAU/BERLIN

Die Anführer der Krimtataren, die seit Tagen die Stromversorgung der Krim blockieren, haben gute Kontakte in das deutsche Polit-Establishment. Mustafa Dschemiljew und Refat Tschubarow, die in die Blockadeaktionen involviert sind, haben bereits vor Jahren mit Beamten des Auswärtigen Amts und dem Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung über die engere Anbindung der Krim an den Westen diskutiert. Erst vor zweieinhalb Wochen haben sie mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini über die «De-Okkupation der Krim» und über dazu notwendige «friedliche Aktionen, besonders hinsichtlich der Energieversorgung», gesprochen. Die Krimtataren, die zur Zeit aktiv mit faschistischen Organisationen und ultrarechten Bataillonen kooperieren, sind über die Liste von Staatspräsident Petro Poroschenko in das ukrainische Parlament gewählt worden. Laut Einschätzung einer Expertin sind sie für Poroschenko ein «Instrument seiner Außenpolitik». Dschemiljew unterhält zudem gute Kontakte ins US-Establishment. Unter den Krimtataren konkurrieren er und Tschubarow, denen in Berlin eine Art Alleinvertretungsanspruch zugestanden wird, einerseits mit tatarischen Salafisten, von denen einige in Syrien kämpfen, andererseits mit an Russland orientierten tatarischen Organisationen.

 

 

Blockade mit Faschisten

Die aktuelle Blockade der Krim (german-foreign-policy.com berichtete [1]) geht vor allem auf Aktionen von Krimtataren zurück. Diese hatten bereits am 20. September begonnen, den Verkehr aus der ukrainischen Region Cherson auf die Krim eigenmächtig zu kontrollieren und Warentransporte zu stoppen. Unterstützen ließen sie sich dabei von Ukrainern, die in deutschen Medien zuweilen neutral als «Aktivisten» bezeichnet werden, die aber häufig faschistischen Organisationen wie dem Rechten Sektor oder ultrarechten Milizen wie den Bataillonen Aidar und Donbass angehören. Für seine zuverlässige Zusammenarbeit mit ihnen ist der prominenteste Anführer der Krimtataren, Mustafa Dschemiljew, am 13. Oktober mit dem von faschistischen Verbänden vergebenen Orden «Volksheld der Ukraine» geehrt worden. Die gemeinsame Blockade der Krim mündete schon Anfang Oktober in erste Bemühungen, der Krim nicht nur die Waren-, sondern auch die Stromzufuhr abzuschneiden.[2] Ende letzter Woche folgte nun die Sprengung mehrerer Strommaste, mit denen die Versorgung der Halbinsel lahmgelegt wurde. Krimtataren blockierten anschließend den Zugang zum Tatort, um die Reparatur unmöglich zu machen.

 

 

Instrument der Außenpolitik

Wie es in den an der Universität Bremen herausgegebenen «Ukraine-Analysen» heißt, wäre eine Aktion wie die Blockade der Krim ohne die «stillschweigende Einwilligung» der Kiewer Behörden nicht möglich. Tatsächlich habe Staatspräsident Petro Poroschenko, der auf der Krim nach deren Übernahme durch Russland per Verstaatlichung eine Werft verloren hat, bereits im vergangenen Jahr «eine Kooperation mit den krimtatarischen Führern etabliert». Bei der ukrainischen Parlamentswahl am 26. Oktober 2014 wurden Mustafa Dschemiljew und Refat Tschubarow über Poroschenkos Liste in das ukrainische Parlament gewählt. Dschemiljew und Tschubarow waren die beiden letzten Vorsitzenden des Medschlis, des krimtatarischen Exekutivorgans. Dschemiljew wurde am 26. September — da lief die Blockade bereits — von Poroschenko zum Leiter des Nationalen Rats für Antikorruptionspolitik ernannt, der den Präsidenten berät. Die Krim-Blockade zeige «deutlich», urteilt die Herausgeberin der «Ukraine-Analysen», dass «paramilitärische Organisationen in der Ukraine inoffiziell die Strafverfolgungsfunktionen ausüben, während die Kooptation der krimtatarischen Anführer durch Präsident Poroschenko diese zu einem Instrument seiner Außenpolitik werden lässt».[3]

 

 

Keine geschlossene Einheit

Dabei vertreten Dschemiljew und Tschubarow keineswegs die gesamte Sprachminderheit der Krimtataren. Während der lange von ihnen geleitete Medschlis als prowestlich und teils den Kreisen der Orangenen Revolution nahestehend galt, stand die 2006 gegründete Krimtataren-Partei Milli Firka («Volkspartei») von Anfang an in klarer Opposition zum Medschlis. Während dieser 2013/14 die Majdan-Proteste und den Umsturz unterstützte, stellte sich Milli Firka klar dagegen — und rief im März 2014 zur Teilnahme am Referendum über den Status der Krim und zum Votum für den Anschluss an Russland auf. Der Medschlis forderte den Boykott der Abstimmung und erklärte den Anschluss für unzulässig. Verlässliche Angaben darüber, wie stark die Unterstützung für den Medschlis respektive für Milli Firka unter den rund 250.000 auf der Halbinsel lebenden Krimtataren ist, sind nicht verfügbar. Klar ist jedoch, dass die in deutschen Medien gewöhnlich suggerierte antirussische Geschlossenheit innerhalb der krimtatarischen Sprachminderheit nicht existiert. Während das Krimtatarische von Moskau als dritte offizielle Landessprache anerkannt worden ist — Kiew hatte das stets verweigert -, gehen staatliche russische Stellen repressiv gegen antirussische Kreise aus dem Medschlis-Spektrum vor. Dschemiljew und Tschubarow etwa dürfen mehrere Jahre lang nicht auf die Krim einreisen und halten sich daher in der Ukraine auf.

 

 

Gegen Russland

Für die russische Repression dürfte eine ursächliche Rolle spielen, dass insbesondere Dschemiljew eng mit dem außenpolitischen Establishment des Westens kooperiert und bei diesem massiv für den Kampf gegen die Zugehörigkeit der Krim zu Russland wirbt. Beispielhaft zeigte dies Dschemiljews Reise nach Washington Anfang April 2014, also unmittelbar nach der Übernahme der Krim durch Russland. Der Krimtataren-Führer trat unter anderem beim Carnegie Endowment for International Peace auf, wo er auf die Frage, ob auf der Krim Gewalt drohe, antwortete, er sei womöglich «nicht in der Lage, jüngere Tataren und islamistische Fraktionen zu kontrollieren».[4] Bei den «islamistischen Fraktionen» handelt es sich um Anhänger der Tatarenorganisation Hizb ut Tahrir, die Milizionäre in den Syrien-Krieg entsandt hat. Der US-Presse antwortete Dschemiljew auf die Frage, ob Kiew die Krim zurückbekommen könne, vieldeutig, er wisse nicht, wo eigentlich die US-Marine bleibe.[5] Dschemiljew trat unter anderem bei einer informellen Sitzung des UN-Sicherheitsrats auf, die von Russland boykottiert wurde, und er besprach sich am 4. April 2014 mit der Unterstaatssekretärin für Politische Angelegenheiten im US-Außenministerium, Wendy Sherman. Ihr empfahl er, die Beziehungen zu den Krimtataren zu intensivieren — etwa mit der Vergabe von Stipendien, aber auch durch direkte Unterstützung. Für welche Art direkter Hilfe Dschemiljew plädierte, ist nicht bekannt.

 

 

Partner für die EU-Annäherung

Enge Beziehungen zu den Anführern des prowestlichen Spektrums unter den Krimtataren unterhält vor allem auch Berlin. So führt die Ethno-Organisation FUEV («Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen» [6]), die von mehreren Bundesländern und aus dem Bundeshaushalt gefördert wird, den Medschlis der Krimtataren unter der Leitung von Refat Tschubarow als Mitglied. Von einer weiteren Ethno-Organisation, der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), ist Mustafa Dschemiljew im Jahr 2005 mit ihrem «Victor-Gollancz-Preis» ausgezeichnet worden; die Laudatio hielt die damalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach (CDU). Die GfbV gehörte im Sommer 2011 zu den Organisatoren des ersten Deutsch-Krimtatarischen Dialogs in Berlin. Zu der Veranstaltung waren Vertreter des Medschlis angereist, darunter dessen damaliger Vorsitzender Mustafa Dschemiljew und sein Nachfolger Refat Tschubarow. Gut eineinhalb Jahre zuvor hatte Wiktor Janukowitsch die Präsidentenwahl in der Ukraine gewonnen; Berlin suchte nach Wegen, Kiew auch weiterhin auf einen prowestlichen Kurs zu trimmen. Wie es in einem Bericht heißt, hatte der Deutsch-Krimtatarische Dialog ein doppeltes Ziel. Einerseits ging es darum, auf die Krimtataren und ihre Lebensbedingungen aufmerksam zu machen; andererseits wollte man «nach Partnern … suchen, die auf einem internationalen Forum … die Frage der Krimtataren als Teil … der Annäherung an EU-Strukturen diskutieren».[7]

 

 

Hochrangige Kontakte

An der Debatte darüber beteiligten sich in Berlin zahlreiche teils hochrangige Amtsträger. So habe sich die Medschlis-Delegation nicht nur mit Bundestags-Abgeordneten und dem Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, sowie «mit Aktivisten von einem Dutzend Nichtregierungsorganisationen» getroffen, wird berichtet.[8] Empfangen worden sei sie auch von Vertretern der Botschaft der Türkei; Ankara nimmt eine «Schutzmacht»-Funktion für die Krimtataren für sich in Anspruch. Die Medschlis-Delegierten trafen zudem Christoph Bergner, den damaligen Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und Nationale Minderheiten, in dessen Zuständigkeitsbereich die Kooperation mit der FUEV fällt. Schließlich seien sie auch mit Vertretern des Auswärtigen Amts zusammengekommen, heißt es.[9]

 

 

Die De-Okkupation der Krim

Dschemiljew und Tschubarow, alte Kontaktpersonen der Berliner Außenpolitik, begleiten in diesen Tagen die Blockade der gesprengten Strommasten in der ukrainischen Region Cherson — und stellen damit sicher, dass die Stromversorgung für die Ukraine nicht wiederhergestellt wird. Zuletzt trafen beide am 9. November mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini zusammen. Es sei in «ernstem und offenem» Gespräch mit Mogherini um die «De-Okkupation der Krim» gegangen, berichteten sie anschließend; man habe über die Verlängerung der Sanktionen gegen Russland gesprochen und über «friedliche Aktionen, besonders hinsichtlich der Energieversorgung».[10] Die eigenmächtige Handelsblockade der Krimtataren war bereits in vollem Gang; die Sprengung der Strommasten stand kurz bevor.

 

 

[1] S. dazu Die Belagerung der Krim (I).
[2], [3] Katerina Bosko: «Es geht ums Geschäft»: Die Krim-Blockade und die Realität der Wirtschaftsbeziehungen mit der Krim nach eineinhalb Jahren Annexion. In: Ukraine-Analysen Nr. 158, 28.10.2015, 5-9.
[4] After Annexation: Assessing Crimea’s Future With Mustafa Dzhemilev. carnegieendowment.org 02.04.2014.
[5] Matthew Kaminski: A Crimean Tatar Comes to America. The Wall Street Journal 02.04.2014.
[6] S. dazu Hintergrundbericht: Die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen.
[7], [8], [9] Mieste Hotopp-Riecke: Der lange Schatten Stalins über den Stiefkindern Eurasiens. www.eurasischesmagazin.de 02.08.2011.
[10] Crimean Tatar leaders met with Federica Mogherini. qha.com.ua 09.11.2015.