Zerreißprobe in Montenegro

 

Die Kundgebung in Montenegro gegen einen NATO-Beitritt
Montenegro ist über einen NATO-Beitritt tief gespalten. Die „Westler“ sind ebenso stark wie die Anhänger Russlands. Kann der seit einem Vierteljahrhundert mächtigste Politiker mit NATO-Hilfe seine Position retten?

 

Quelle: Sächsische Zeitung
Von Thomas Brey

 

Podgorica. Was hat der Westen nicht alles getan, um das kleine Adrialand Montenegro mit nur 620 000 Einwohnern aus der Interessenssphäre Russlands auf seine Seite zu ziehen. Alle Augen wurden zugedrückt angesichts der alles beherrschenden Korruption und der Medienknebelung. Schon in den 1990er Jahren wurde der staatlich eingestielte, groß angelegte Zigarettenschmuggel geduldet, später seine juristische Aufarbeitung zum Beispiel in Italien auf Eis gelegt.

 

Seit dem Jahr 2000 durfte Montenegro die Deutsche Mark, seit 2002 sogar den Euro als Währung einführen, obwohl das Land längst nicht die Voraussetzungen dafür erfüllte — und bis heute nicht erfüllt. Jetzt also die Einladung zum NATO-Beitritt, den die Außenminister nach zuverlässigen Informationen in der kommenden Woche aussprechen werden. Russland, traditionell eng mit dem Ministaat verbunden, läuft seit Jahren Sturm gegen die Annäherung des Landes an den Westen.

 

Moskau hatte mit Großinvestitionen seinen Einfluss ausgebaut. Das Aluminiumwerk KAP als größtes Unternehmen des Landes ging ebenso an russische Eigentümer wie Betriebe der Schwerindustrie. Russische Oligarchen brachten ungeachtet explodierender Preise große Teile der Küste in ihren Besitz. Die russische Mittelklasse kaufte schätzungsweise 70 000 Appartements in den Tourismuszentren wie Budva oder Petrovac. Viele Hotels haben heute russische Eigentümer.

 

Doch das Blatt hat sich gewendet. Viele Industriebetriebe wurden von ihren russischen Besitzern bankrott zurückgelassen. Der EU-Beitrittskandidat schloss sich den Brüsseler Wirtschaftssanktionen gegen Russland im Zuge des Ukraine-Konflikts an. Regierungschef Milo Djukanovic (53), der seit einem Vierteljahrhundert die Innenpolitik nach Belieben beherrscht, konnte sich in Washington, Berlin und London als glühender „Westler“ präsentierten.

 

Nach allen Umfragen sind die Befürworter und Gegner eines NATO-Beitritts praktisch gleich stark. Die Gegner sind gleichzeitig Russland-Freunde und stehen in scharfer Opposition zur Regierung. Im September starteten sie mit einem Parlamentsboykott den Versuch, Djukanovic zu entmachten. Drei Wochen campierten sie in einem Zeltdorf im Zentrum der Hauptstadt Podgorica, unterstützt von Russland und der einflussreichen Serbisch-Orthodoxen Kirche.

 

Der Konflikt eskalierte Ende Oktober, als die Opposition mit Protesten die Regierung gewaltsam stürzen wollte. Die erstickte die Demonstration mit großer Härte mit dem Einsatz von Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschossen. Zwar drohten die Sozialdemokraten als langjähriger Juniorpartner von Djukanovic‘ Sozialisten mit einem Ende der Regierung. Doch letztendlich riskierten sie dann diesen spektakulären Schritt doch nicht.

 

Der starke Mann Montenegros will den NATO-Beitritt wohl auch um jeden Preis durchsetzen, um seine angeschlagene Position zu stärken. Die russophile Opposition fordert ein Referendum über den NATO-Beitritt, das für ihn kaum zu gewinnen wäre. Djukanovic setzt daher auf seine Mehrheit im Parlament. Hilfreich könnten für ihn auch mögliche NATO-Investitionen werden. Seit langem preist er daher einige Hafenstädte seines Landes als potenzielle NATO-Stützpunkte an.

 

 

 

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