„Köln ist eine Bankrotterklärung der Presse und schädlich für die deutsche Medienlandschaft“

 

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Hasso Mansfeld schreibt über Köln und die Folgen für die Medien

 

 

Die Polizei und die Medien haben keine Politik zu machen, nach den Krawallen und Übergriffen von Köln hätten Medien aber massiv in der Berichterstattung nach erwünschten und unerwünschten Informationen gefiltert. MEEDIA-Gastautor Hasso Mansfeld hält dies für eine Bankrotterklärung der Presse.

Von Hasso Mansfeld 

Quelle: Meedia

 

Ja, geht’s noch? Die verstörenden Meldungen zur Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof reißen nicht ab. Erst am vergangenen Freitag, sieben Tage nach Silvester, meldete der WDR, ein leitender Beamter der Kölner Polizei habe „die Herkunft der im Umfeld der Unruhen kontrollierten Personen“ bewusst verheimlicht. Der ganz entscheidende Satz dabei: Die Nennung sei ihm politisch „zu heikel“ gewesen. 

 

Wie kommt der Mann dazu? Die Polizei soll doch ohne Ansehen von Äußerlichkeiten oder Herkunft einer Person ermitteln. So können Täter für ihre Taten dingfest gemacht werden, egal wer die Täter sind – ob Rechtsextremist, Linksextremist, Salafist, weiß, farbig, Frau, Mann. Darauf fußt doch unsere Gesellschaft, gründet sich teils unser Vertrauen in den Staat.

 

Zugegeben: Aus ermittlungstaktischen Gründen kann es sinnvoll sein, zeitweise über Ermittlungsinhalte zu schweigen. Aber wenn die Beamten bewusst Informationen beiseite wischen, die der Ergreifung der Täter dienen könnten, ist das etwas anderes. Dann wird eine Personengruppe vor der Strafverfolgung ausgenommen, und das ist weder politisch opportun, noch erträglich.

 

Die Polizi hat keine Politik zu machen!

 

Und ebenso wenig die Medien. Durch die Bank weg drängt sich auch hier der Eindruck des doppelten Versagens auf: zum einen aufgrund fehlender Recherche, zum anderen aufgrund einer Berichterstattung basierend auf dem, was offenbar als politisch opportun angenommen wird.

 

Allein die Redaktion der „Tagesschau“ hat Dutzende Leute in ihren Hamburger Studios mehr sitzen, als in den Redaktionsräumen vieler privater Medien noch angestellt sind. Was haben die Vielen aber dann nach den Ereignissen in Köln getan? 

 

Hätten nicht gerade die Medien der Kölner Polizeileitung auf die Füße treten und die falsche Täterverschonung mancher ihrer leitenden Beamten recherchieren müssen? Hätten sie nicht die Polizei, die Stadtverwaltung, die Staatsanwaltschaft löchern sollen, Opfer zu Wort kommen lassen und – für ganz Wagemutige – vielleicht sogar ein paar mögliche Täter auftreiben sollen?

 

Nichts davon hat die „Tagesschau“ geschafft. Man ließ die eigenen Moderatoren in der Sendung stattdessen dpa-Meldungen verlesen, in denen davon auch nichts stand. Anscheinend leisteten in den Folgetagen nach der Silvesternacht ein paar (private!) Kölner Lokalzeitungen das Gros der Recherche-Arbeit. 

 

Womöglich aber hat die Arbeitsverweigerung der öffentlich-rechtlichen Medien noch eine weitere, bittere Note. Wurde in einigen Fällen sogar bewusst nichts zur Ermittlung der wahren Tatereignisse unternommen, weil wie die Polizei auch die öffentlich-rechtlichen Medien das Nennen der Täter aus der Silvesternacht für nicht politisch opportun angenommen haben? 

 

Freilich: Man soll nicht mit Böswilligkeit erklären, was man mit Dummheit erklären kann, so will es eine jüngere Volksweisheit. Aber warum relativiert etwa die ARD-Social-Media-Redakteurin Anna-Mareike Krause nachträglich die Silvestertaten, die offenbar vielfach Asylbewerbern angelastet werden müssen, durch Falschmeldungen über andere Gewalttäter? Mit längst als falsch entlarvten Zahlen zu angeblichen Vergewaltigungen auf dem Münchener Oktoberfest, die so schön von Deutschen begangen würden – und zwar Jahr für Jahr? Also von politisch opportunen Tätern?

 

Ein einziger Anruf beim Münchener Polizeipräsidium hätte Anna-Mareike Krause genügt, um die Fakten zu den angeblich im hohen Maße Jahr für Jahr auftretenden Oktoberfest-Vergewaltigungen klären zu können. Doch sie recherchierte offenbar nicht. Sie schrieb wohlmöglich sogar nur ab – nämlich eine Meldung der taz über die angeblichen Oktoberfest-Massenvergewaltigungen, ein paar Jahre alt, längst widersprochen von Münchens Polizei. 

 

Mehr noch: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen bietet ihrer Vorzeigefeministin Anne Wizorek stattdessen minutenlange TV-Bühnen, um  eben diese Zahlen, denen derweil die Pressestelle des Polizeipräsidiums München längst öffentlich widersprochen hat, rauf und runter verbreiten zu lassen, als seien das Fakten. 

 

Wie auch immer es nun genau so weit kommen konnte. Die Öffentlichkeit jedenfalls sieht sich mit einer doppelten Mauer des Schweigens und der Desinformation konfrontiert. Die Polizei hat ihre Schere im Kopf, die Presse ebenso. Beide behindern sich damit zudem selbst und gegenseitig an Ermittlung und Berichterstattung. Darüber gehen dann schon mal entscheidende Präzedenzfälle völlig vergessen. Ein weiteres Beispiel gefällig?

 

Allenthalben werden die Unruhen der Kölner Silvesternacht als durch ein „nie dagewesenen Ausmaß“ oder einer „völlig neuen Dimension der Gewalt“ beschrieben. In der Süddeutschen Zeitung zum Beispiel. In der gleichen Zeitung also, die über ähnliche Vorgänge wie jetzt in Köln, in teils sich überraschend gleichenden Formulierungen, schon 2013 vom Kairoer Tahrir Platz berichtete: „Gewalt im Schutz jubelnder Massen“.

 

Hat man dieses und ähnliche Ereignisse bei Massenaufläufen in der arabischen Welt denn komplett vergessen? Verdrängt? Recherchiert man nicht mal mehr im eigenen Blatt? Braucht es einen Hamed Abdel-Samad um auf offenkundige Zusammenhänge hinzuweisen:

 

„Ich komme aus Ägypten, wo sexuelle Belästigung für Frauen ein unerträgliches Ausmaß erreicht hatte, weil man dieses Phänomen am Anfang entweder verschwiegen oder verharmlost hatte. Zum einen wollte man nicht zugeben, dass in einer vermeintlich moralisch-religiösen Gesellschaft viele Frauen sexuell belästigt werden (…) Über 95 Prozent aller Ägypterinnen berichten heute von alltäglichen Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Nötigung. “

 

Es wurde, das zu konstatieren kommt man in der Rückschau der Silvester-Berichterstattung kaum noch herum, gerade von den öffentlich-rechtlichen Sendern massiv nach erwünschten und unerwünschten Informationen gefiltert. Dabei hat es Journalisten nicht zu interessieren, ob durch ihre Suche nach der Wahrheit womöglich der rechte Rand der Republik gestärkt wird oder welche Partei deshalb womöglich die nächste Landtagswahl gewinnt! Wenn eine Redaktion, was ja durchaus in Ordnung ist, eine politische Linie setzen möchte, dann bitte traditionell im extra als solchen deutlich gekennzeichneten Kommentar. Aber die politische Leitlinie darf nicht bedeuten, falsch zu berichten – im falschen Gefühl, einer übergeordnet „guten“ Sache zu dienen.

 

Die recherchierende Suche nach der Realität und die unerschrockene Berichterstattung dessen, gerade wenn das Rechercheergebnis als nicht opportun angesehen wird, ist doch genau die gute Sache, denen die Redaktionen dienen. Die besondere grundgesetzlich garantierte Freiheit der Presse ebenso wie der längst verblasste Respekt, den der Beruf des Journalisten einmal genoss, stammt doch allein aus dieser Kontrollfunktion: der vielzitierten vierten Gewalt. Diese vierte Gewalt wäre gerade nach der Silvesternacht in Köln gefragt gewesen, in der offenkundig staatliche Stellen die Bürger nicht mehr informieren oder die teilweise nicht mehr funktionieren. 

 

Kurz: Köln ist eine Bankrotterklärung der Presse, und damit nicht zuletzt auch schädlich für die gesamte deutsche Medienlandschaft. Weil Desinformationspolitik geduldet, wenn nicht gar gefördert wurde. Eine solche Presse macht sich überflüssig. Weil sie in diesem Fall zur Propaganda verkommen ist.

 

Über den Autor: Hasso Mansfeld arbeitet als selbstständiger Unternehmensberater und Kommunikationsexperte. Für seine Ideen und Kampagnen wurde er unter anderem dreimal mit dem deutschen PR-Preis ausgezeichnet. Hasso Mansfeld schreibt außerdem regelmäßig für das Online-Debattenmagazin diekolumnisten.de.