Wie viele Flüchtlinge werden noch kommen? Wie viele Familienangehörigen ziehen nach? Es droht ein enormer Kostenschub, über den öffentlich kaum diskutiert wird, schreibt Gotthilf Steuerzahler.
Die Steuereinnahmen in Deutschland erreichen seit Jahren immer neue Höchststände. Da können die Bürger ja wohl erwarten, dass der Staat auf neue Schulden verzichtet. Nun, der Bund und einige Länder kommen inzwischen ohne Neuverschuldung aus, die übrigen Bundesländer haben die Kreditaufnahme immerhin reduziert. Ob der Staat in Zukunft ohne neue Schulden zurechtkommen wird, erscheint angesichts der Flüchtlingskrise jedoch sehr zweifelhaft.
Im Jahr 2009 gingen die Steuereinnahmen als Folge der Finanzkrise deutlich zurück. Danach nahmen sie aber wieder zu und steigen seitdem kontinuierlich. Betrugen die Steuereinnahmen des Gesamtstaates im Jahr 2010 rund 531 Milliarden Euro, so haben sie sich im Jahr 2015 auf 672 Milliarden Euro erhöht. Und ein Ende des Zuwachses ist nicht in Sicht. Nach den vorliegenden Prognosen wird für das Jahr 2020 ein Steueraufkommen von annähernd 800 Milliarden Euro erwartet!
Zutreffende Vorhersagen
Bund, Länder und Kommunen teilen die Steuereinnahmen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben untereinander auf. Der Bund erhält rund 43 Prozent des Steuerkuchens, die Länder rund 39 Prozent, der Rest geht an die Kommunen (rund 14 Prozent) sowie an die EU (rund 4 Prozent).
Für die Aufstellung ihrer Haushalte wissen Bund und Länder recht genau, mit wieviel Steuereinnahmen sie jeweils rechnen können. Grund dafür ist die Tätigkeit des Arbeitskreises Steuerschätzungen. Diesem Gremium gehören neben Vertretern der öffentlichen Hand die fünf Wirtschaftsforschungsinstitute, das Statistische Bundesamt, die Deutsche Bundesbank und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an.
Der Arbeitskreis stützt seine Schätzungen auf die Projektionen der Bundesregierung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Entscheidende Größe ist das zu erwartende Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, das nach langjähriger Erfahrung einen zumindest gleichhohen Anstieg des Steueraufkommens zur Folge hat. Die Vorhersagen des Arbeitskreises lagen in den letzten Jahren sehr nahe an dem tatsächlichen Steueraufkommen, allenfalls war dieses noch etwas höher als vorhergesagt.
Haushalte ausgeweitet
Bund und Länder wissen bei der Haushaltsaufstellung auch ziemlich genau, wie viel Geld sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen werden. Schließlich liegen die Zahlen des Vorjahres vor und auch die Ergebnisse des laufenden Jahres zeichnen sich bei der Beschlussfassung für das kommende Haushaltsjahr ab. Es wäre allenfalls ein Zuschlag zur Anpassung an das gestiegene Preisniveau bzw. für Gehaltssteigerungen im öffentlichen Dienst erforderlich, ansonsten könnten zusätzliche Steuereinnahmen zum Abbau der Neuverschuldung genutzt werden.
Trotz der zusätzlichen Steuereinnahmen von über 140 Milliarden Euro in den Jahren 2010 bis 2015 machten Bund, Länder und Gemeinden in diesem Zeitraum neue Schulden in Höhe von mehr als 90 Milliarden Euro. Die öffentlichen Gebietskörperschaften haben mithin die zusätzlichen Steuereinnahmen zum großen Teil zur Ausweitung ihrer Haushalte genutzt!
Der Ehrgeiz, von der Neuverschuldung wegzukommen, war bei Bund und Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt. Bayern und Sachsen kommen seit 2006 ohne neue Schulden aus und haben sogar mit der Tilgung der aufgelaufenen Altschulden begonnen. Auch Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen benötigen inzwischen keine neuen Schulden mehr, um ihre Haushalte auszugleichen.
Der Bund hat die sogenannte „schwarze Null“ mit dem Haushalt 2014 erreicht, wie es die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verlangt. Die übrigen Bundesländer haben noch bis zum Jahr 2020 Zeit, um die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen. Sie nehmen weiterhin Kredite auf, wenn auch nach den Planungen mit sinkender Tendenz.
Schuldenbremse trotz Flüchtlingskrise?
Inzwischen ist allerdings durch die Flüchtlingskrise eine völlig neue Situation eingetreten. Bund, Länder und Gemeinden müssen viele Milliarden Euro für die Unterbringung und Versorgung der ins Land strömenden Menschen zahlen. Niemand kann seriös abschätzen, wie sich die Zahl der Flüchtlinge in Zukunft entwickeln wird. Und über den Nachzug der Familienangehörigen der bereits im Land befindlichen Flüchtlinge, welcher einen neuen enormen Kostenschub auslösen dürfte, wird öffentlich noch kaum diskutiert.
Zurzeit ringen die verschiedenen Ebenen der Staatlichkeit intensiv darum, wer die Kosten der Flüchtlingskrise zu tragen hat. Der Bund ist bestrebt, die Länder auf einem Teil der Flüchtlingskosten sitzen zu lassen, die Länder knausern bei der finanziellen Unterstützung ihrer Kommunen. Einigen Bundesländern war es in jüngster Zeit nur durch Buchhaltungstricks möglich, einen durch die Flüchtlingskrise verursachten Anstieg der Neuverschuldung zu kaschieren.
Im Bundesbereich ist ein gewisser Dammbrucheffekt festzustellen. Verschiedene Ministerien fordern mehr Geld unter Bezugnahme auf die Flüchtlingskrise, und sei dieser Bezug auch noch so weit hergeholt. Und schließlich werden im politischen Raum die Stimmen derjenigen lauter, welche die Einhaltung der Schuldenbremse insgesamt in Frage stellen.
Schuldenbremse ist eine Schönwetterveranstaltung
Im Ergebnis muss man sich mittelfristig trotz weiterhin steigender Steuereinnahmen Sorgen um die Staatsfinanzen machen. Es zeigt sich, dass die Rückführung der Neuverschuldung in den letzten Jahren nur deshalb gelang, weil dies ohne große Anstrengungen möglich war.
Stellen sich neue finanzpolitische Herausforderungen ein wie derzeit durch die Flüchtlingskrise, ertönt sogleich wieder der Ruf nach neuen Schulden. Alle Schwüre zur finanzpolitischen Stabilität sind schnell wieder vergessen, das süße Gift der Verschuldung erscheint wieder als Ausweg.
Wenn weiterhin in größerem Umfang Flüchtlinge nach Deutschland strömen, dürfte die Schuldenbremse bald keine Rolle mehr spielen.
Quelle: clausvogt