Donbass – Zugzwang. Von Rostislaw Ischtschenko

 

Die USA verlieren wegen des Nahen Ostens ihr Interesse an der Ukraine, dies zeigt auch Kerrys Verhalten in Moskau. Deutschland hat nun den «schwarzen Peter» gezogen, so dass Berlin darauf hofft, Moskau möge ihnen den Hals aus der Schlinge ziehen. Kiew und Berlin befinden sich auch wegen des Donbass nun im Zugzwang. Eine Analyse.
 
Wenn alle Anhänger von Verschwörungstheorien die Handlungen der amerikanischen Regierung mit derselben voreingenommenen Strenge analysieren würden, wie sie das auch mit den Handlungen des Kremls machen, so wäre die Wortverbindung «Obama hat sich abgewendet» die am wenigsten eindeutige Formulierung, die für die Beschreibung der Realität gerade noch zu gebrauchen wäre. Im übrigen, die Kritiker der russischen Politik von den «patriotischen» Positionen werden behaupten, dass der schwache Putin den Partnern sogar dann noch Platz machen würde, wenn über dem Washingtoner Kapitol die Trikolore wehen würde und im Oval Office die Vereinten Nationen die volle und bedingungslose Kapitulation der USA entgegennehmen würden.

 

Die Realität ist natürlich viel komplizierter, gefährlicher und doppelsinniger als das oben beschriebene frohe Bild. Aber wenn es heute schon gesellschaftlich aktive Menschen fertigbringen, den Kreml der Kapitulation zu verdächtigen, so kann man dasselbe Maß beim Weißen Haus anlegen und wir werden uns davon überzeugen, dass im Vergleich mit den Washingtoner Politikern ihre Moskauer Pendants einfach ein Muster an Standhaftigkeit, Mut und gutem Gelingen sind.
 
Was wir in den zwei letzten Tagen erlebt haben…
 
In Moskau ist Staatssekretär Kerry zu einem Zweitagebesuch angekommen. Wie es heißt, um die Probleme der weiteren Befriedung Syriens zu besprechen. Diesbezüglich hatte Russland versprochen, gegen die Verletzer des Waffenstillstandsabkommens einseitig vorzugehen (die Genfer Abkommen geben Moskau das Recht dazu), weil es so scheint, als würden die USA nicht wünschen, vereint zu handeln. Ich vermute, dass Washington alle Gründe hat, nervös zu werden, da es so aussieht (es kann natürlich zufällig sein), als wenn alle Verletzer des Waffenstillstands die amerikanischen Kunden aus der großen Zahl der «moderaten Terroristen» sind.
 
Den Staatssekretär beunruhigen auch die Explosionen in Brüssel. Hier kann nämlich Moskau nur mit dem guten Wort helfen, aber die USA wären offenbar nicht dagegen Russland zuzureden, sich in den totalen Krieg gegen irgendwelche «Taliban» oder «al-Kaida» einzumischen. Die Welt der Terroristen ist außerdem relativ klein, außerhalb derer, die mit der Aufgabe in Syrien nicht zurechtgekommen sind.
 
Und bei aller Erregung, die Ukraine, der Donbass und die Minsker Abkommen beunruhigen, trotz aller Gewohnheiten, den Leiter der amerikanischen Außenpolitik ganz und gar nicht. Es ist besonders seltsam, da sich gleichzeitig mit ihm in Moskau der Außenminister der BRD, der große Freund der USA, Franz-Walter Steinmeier, aufhielt. Das ist der Mensch, dessen Unterschrift nicht nur unter den Garantien der Ausführung der Minsker Abkommen prangt, sondern auch unter den Garantien, die am 21. Februar 2014 dem gewählten Präsidenten der Ukraine, Janukowytsch, von den internationalen Vermittlern gegeben wurden, in denen sie an Eides statt versichern, dass sofort nachdem die Militärs das Zentrum Kiews verlassen haben sich die Besetzungen der Plätze auflösen und der Maidan sich sofort ohne Lärm und Staub in der Zeit und dem Raum auflösen.
 
Da war Steinmeier ein Hauptbürge der Einhaltung der Vereinbarung. Und er war der ehemalige Vizekanzler und der Außenminister von Deutschland, auf dessen finanz-ökonomische Macht sich die EU stützt und nicht irgendein Sikorski, der das auf Pump lebende Polen vertrat, er war auch nicht der nebensächliche Diplomat, der das Geschäft Janukowytschs mit der Opposition im Namen Frankreichs bezeugte.
 
Janukowytsch (in jenen seltenen Momenten, wenn jemand ihn kontaktieren wollte, obwohl die Öffentlichkeit schon seit langem das Interesse an ihm verloren hatte) wundert sich bis heute, wie wenig die Garantien Steinmeiers bedeuten, die nicht mal einen Tag galten. Wenn der letzte gesetzlich gewählte Präsident der Ukraine nicht rechtzeitig auf die Idee gekommen wäre, besser zu verschwinden, dann wäre er sicher nicht älter geworden als diese Garantien.

 

Es scheint, dass jetzt auf die Minsker Vereinbarungen dasselbe Schicksal wartet. Jedenfalls hat, wie es weiter oben beschrieben wurde, Staatssekretär Kerry so deutlich das Interesse daran verloren, dass er ungeachtet der offensten Andeutungen Steinmeiers, der im Klartext kurz vor dem Besuch in Moskau erklärte, dass er froh wäre, sich mit dem Außenminister Russlands, mit Sergej Lawrow, nicht nur unter vier Augen treffen zu dürfen, sondern bei Anwesenheit des älteren amerikanischen Kollegen, da kam von dem genauso unzweideutig und öffentlich die lapidare Mitteilung, dass er sein eigenes Programm habe und mit Lawrow ohne den deutschen Kollegen sprechen wird.
 
Es ist nicht möglich, noch klarer anzudeuten, dass die USA wünschen, die ukrainische Krise aus den Verhandlungen mit Russland über die aktuelle globale Problematik auszuklammern. Amerika beunruhigt der Nahe Osten – und mit der Ukraine soll sich gefälligst Deutschland selbständig zurechtfinden. Wobei Berlin nicht nur von Washington im Stich gelassen wurde. Frankreich, der Partner Deutschlands in der EU und der Kampfgenosse in den normannischen und Minsker Formaten, hat sich auch als mit den eigenen Problemen viel zu beschäftigt gezeigt. Ihr Außenminister hat die Gesellschaft Steinmeiers nicht gesucht.

 

Warum distanzieren sich Paris und Washington so deutlich von der Ukraine? Und warum setzt Berlin trotzdem fort, in den Untiefen der Kiewer Politik zu strampeln?

 

Der Westen hat zwei Sachen endlich verstanden:
 
Erstens: Kiew ist nicht in der Lage (und wünscht es auch nicht), die Minsker Abkommen buchstabengetreu und rechtzeitig zu erfüllen (übrigens auch ungeachtet der direkten und öffentlichen Empfehlungen, die im Oktober 2015 die Bundeskanzlerin Deutschlands, Angela Merkel, gemeinsam mit dem französischen Präsidenten, Francoise Hollande, gemacht hat und die unzweideutig vom Vizepräsidenten der USA, von Joseph Biden, im Verlauf seiner Aktion in der Werchowna Rada der Ukraine im Dezember desselben Jahres unterstützt wurde. Aber man imitierte nicht einmal die Ausführung, um ihren Schutzherren einigen Handlungsspielraum zur Verfügung zu stellen. Mit einer Einfachheit, die schlechter als Diebstahl ist, erklären die Kiewer Politiker ganz aufrichtig, dass sie auf ihre eigenen Verpflichtungen und auf die westlichen Garantien spucken. Der Westen soll ihnen gefälligst helfen, Russland zu zerstören, vorher würde das Gras nicht weiterwachsen.
Zweitens: Kiew lebt nach dem Prinzip «nach uns die Sintflut» und hat die heutigen Exzesse tatsächlich auch erwartet. Die Regierung hat die Kontrolle über das Land tatsächlich verloren, und die Transformation von der Bandera-Bewegung (Organisation ukrainischer Nationalisten) in die Machnowschtschina (Territorium mit anarchistischer Gesellschaft während der ukrainischen Revolution 1919-1921) wurde zu einer Frage der Zeit und nicht mehr des Prinzips. Wer der Letzte sein wird, den die Beine von der Ukraine wegtragen, der wird für alles verantwortlich sein. Der Letzte deckt den Tisch ab und spült das Geschirr und in diesem Fall muss man auch die Leichen ertragen.
 
Washington hat der EU das ehrenvolle Recht gewährt, die Letzte in der Ukraine zu sein. Frankreich, das in die ukrainische Problematik nie so richtig eingetaucht war und das die Situation in der Innenpolitik in Kiew tatsächlich nicht beeinflusst hatte, kann seine Hände in Unschuld waschen und an Deutschland abgeben. Und die deutschen Politiker dürfen die Suppe auszulöffeln, einschließlich ihrer Bundeskanzlerin. Sie haben die direkte und unmittelbare Teilnahme in der Einsamkeit übernommen.
 
Deutschland, das verzweifelt nach irgendetwas konstruktivem von Seiten der Ukraine sucht, hat versucht, den Kreml zur Lösung der deutschen Probleme auf Kosten des Donbass zu bringen. Wenn sich z.B. die DVR/LVR den Anschein geben würden, dass die Ukraine was auch immer erfüllt hat und sie deshalb die Wahlen in jenem Format durchführen, in welchem Kiew es will. Dabei hat die Situation in der Ukraine die deutschen Politiker in so einen panischen Zustand gebracht, dass sie, wie auch die russischen Anhänger der Verschwörungstheorie, auf die Allmacht des Kremls hoffen müssen. Sie hoffen und wünschen, dass der Einfluss Russlands auf die Volksrepubliken ausreicht. Und selbst wenn sich Moskau zur Aufgabe gemacht hätte, die Karriere von Merkel und Steinmeier auf Kosten der Leben von Millionen Russen im Donbass zu retten, dann würde das noch ganz und gar nicht bedeuten, dass das Volk und die Armeen der DVR/LVR damit einverstanden gewesen wären, sich friedlich und gleichgültig, auf den Schlachthof führen zu lassen.
 
Berlin braucht den Fortschritt in der Regelung der ukrainischen Krise. Selbst wenn es nur ein formaler Fortschritt ist. Ein Fortschritt um jeden Preis. Wenn auch die Ströme von Blut überschwappen sollten und wenn auch nur ein paar hochbetagte deutsche Politiker das Gesicht wahren können und noch auf eine Wahlperiode nach den Wahlen im September 2017 an der Macht bleiben. Deutschland braucht den Fortschritt so nötig, dass es sich nicht geniert hat, bei einer Kombination von Puff und Pestbaracke zu bleiben, die heute ukrainischer Staat heißt. Frankreich, die USA – alle sind so schnell es ging weggegangen und geben sich jetzt den Anschein, dass sie nie dort waren.
 
Russland (Gryslow) und die DVR (Puschilin) verhöhnen ganz offen den unglücklichen Deutschen, indem sie ihm erklären, dass sie nichts dagegen haben, Herrn Steinmeiers Bitte zu erfüllen, die Wahlen bis zum Juli 2016 zu verschieben – aber die Ukraine verzichtet von selbst.
 
Eben das ist die Wahrheit. Das ganze Paradoxon besteht darin, das selbst wenn die DVR/LVR ihre Bereitschaft erklären werden, die Wahlen nach den ukrainischen Gesetzen durchzuführen und bei der Sabotage des Minsker Prozesses durch Kiew ein Auge zudrücken, der Letztgenannte wird dennoch nicht wünschen, daran teilzunehmen. Kiew ist Frieden, sogar zum Preis von der vollen Kapitulation des Donbass, nicht nötig. Kiew muss alle töten, am besten hintereinander weg bis Kamtschatka.
 
Wenn es möglich wäre, dann hätte nicht nur Steinmeier einem solchen Plan zugestimmt, sondern auch Kerry hätte geholfen, ihn zu realisieren. Aber alle töten kann die Ukraine nicht, nicht einmal auf jenen Territorien der Volksrepubliken, die sich heute unter ihrer vorübergehenden Kontrolle befinden. Dieser nicht stattfindende Staat ist geschäftsunfähig. Seine Macht – ist eine Fiktion. Mit ihm gibt es nichts mehr zu besprechen.
 
Und genau darin besteht das Hauptproblem Deutschlands und auch das eben von Steinmeier persönlich. Sie dachten, dass das in Kiew verantwortungsvolle Partner sind, dabei gibt es dort nur Schattenkrieger. Deutschland ist in der Sackgasse. Wobei es sich nicht um ein Patt handelt, bei dem man einfach aufstehen und irgendwohin gehen kann. Es ist Zugzwang wenn jeder weitere Zug die Lage nur noch verschlimmert. Und das Ende von Zugzwang wird nur dann erreicht werden, wenn die Mannschaft der Clowns-Mörder, die sich noch ukrainische Macht nennt, das unglückliche Land verlässt und nach Den Haag fährt, um sich vor Gericht einzufinden.

 

 

Übersetzung: Thomas Roth

Originalquelle: Actualcomment

Quelle auf Deutsch: Contra Magazin