Springer feuert gegen Regierung: Nach Erdoğan-Satire braucht es Rückgrat und kein Durchmerkeln (von Markus Mähler)

 

Erdoğan: »Am liebsten mag er Ziegen ficken und Minderheiten unterdrücken.« Jan Böhmermann sagte, was man nicht sagen darf. Das regierungsnahe ZDF stellte ihn dafür kalt. Erdoğan reicht das aber nicht. Er diktiert unserer Bundesregierung das Handeln: Macht diesem Fernseh-Hofnarren den Prozess! Merkel lässt diese dreiste Forderung »sorgfältig prüfen«. Sie stellt ihren umstrittenen Flüchtlingsdeal mit der Türkei über unsere Grundwerte. Das Medienecho auf diesen Kniefall ist vernichtend. Springer-Chef Mathias Döpfner stellt sich in einem öffentlichen Brief gegen die Kanzlerin. Die Stimmung im Land ist klar: Aufstehen Angela, deine Knie sind schon wund!

 

Ein Gedicht über Erdoğans Genitalbereich eskaliert zur deutschen Staatskrise. Unsere Kanzlerin merkelt sich außenpolitisch durch und geht vor der Türkei auf die Knie. Sie möchte um keinen Preis den ausgehandelten Flüchtlingsdeal mit Erdoğan gefährden. Innenpolitisch zeigt sie ihrem eigenen Volk aber wieder eine harte Kante, wie sie aus der Flüchtlingskrise bekannt ist: Wer die Staatsräson der Kanzlerin gefährdet, wird gnadenlos abrasiert.

 

Jan Böhmermann ist abrasiert und inzwischen mucksmäuschenstill. Es sieht nach Maulkorb aus. Er bat in einer privaten Twitter-Nachricht an Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) um Beistand. Von dort kam keine Antwort. Deshalb hat er von seinem Haussender ZDF schon gar nichts zu erwarten, wo viele CDU-Politiker im Fernsehrat sitzen.

 

In Mainz beweist man wieder, warum der Spottname »Zweites Deutsches Staatsfernsehen« angebracht ist. Der Satiriker Böhmermann verschwand von der Bildfläche. Wortwörtlich und sogar in der ARD: Er fehlte am Freitagabend bei der Grimme-Preis-Verleihung und blieb auch Anne Wills Talkrunde fern. Das regierungsnahe ZDF löschte gleich die gesamte Late-Night-Show Neo Magazin Royale vom 31. März aus der Mediathek und nicht nur das Spott-Gedicht über Erdoğans Genitalbereich – aus vorauseilendem Gehorsam.

 

 

Deutschland unterwirft sich der Türkei, damit man dort Flüchtlinge zurücknimmt

 

Die Bundeskanzlerin telefonierte aus dem gleichen Grund mit dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoğlu und bezeichnete das Spott-Gedicht über Erdoğans Genitalbereich als »bewusst verletzend«. Seit zwölf Tagen eiert das Kanzleramt herum und liefert unsere Grundrechte auf dem Silbertablett nach Ankara. Merkel verteidigt weder unsere Presse-, noch die Meinungsfreiheit. Das ist die wahre Satire. In der türkischen Regierung reift deshalb die Einsicht, dass Deutschlands Politiker erpressbar sind. Sie tun alles, um den Pakt mit der Türkei zu retten. Sie nehmen für drei Milliarden Euro Flüchtlinge wieder zurück, von denen der größte Teil vorher über die Türkei nach Europa geflohen ist.

 

Ein Autokrat wie Recep Tayyip Erdoğan – der Menschenrechte missachtet – darf in Deutschland nicht einmal mehr satirisch kritisiert werden. Stattdessen kann er uns jetzt diktieren, was deutsches Recht zu sein hat, und mischt sich in innerdeutsche Angelegenheiten ein.

 

 

Die Kanzlerin entschuldigt sich in Ankara für unsere Meinungsfreiheit

 

Ankara ließ der Bundesregierung eine »verbale Note« übermitteln. Diese Forderung kommt wie ein Ultimatum daher. Es soll eine Strafverfolgung des Satirikers Jan Böhmermann in Deutschland geben. Berlin äußerte, man wolle das »sorgfältig prüfen«. Das klang wie eine Vorverurteilung. Der Fall Böhmermann ist der eines Aussätzigen. Darf die Türkei so etwas überhaupt verlangen? Sie ist nach allen Maßstäben ein Unrechtsstaat. Dort sind 1.800 Menschen wegen Beleidigung des Präsidenten angeklagt. Christoph Strässer (SPD) fällte als Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung ein vernichtendes Urteil: »In der Türkei werden Andersdenkende bestraft, und es gibt Attentate gegen Oppositionelle.« Unter dem autokratischen Erdoğan habe sich »die Lage im Land extrem verschlechtert«.

 

Über diese himmelschreiende Ungerechtigkeit in Erdoğans Heimat verlor Regierungssprecher Steffen Seibert (ehemals Moderator beim heute-journal des ZDF) kein Wort im Kanzleramt. Er erklärte den Journalisten am Montag ungewöhnlich lange, was die Bundesregierung vorhat. Nach rationalen Maßstäben nämlich etwas Unmögliches. Seiberts viele und vor allem nichtssagende Worte machten klar, dass die Kanzlerin weiter auf Kuschkurs segeln wird.

 

Gleichzeitig wolle Merkel »unmissverständlich« klar machen, dass Artikel fünf des Grundgesetzes, der die Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft umfasst, »selbstverständlich höchstes Gut« sei und »weder nach innen noch nach außen verhandelbar«.

 

 

Keine Hilfe für Böhmermann: Der kanzlerhörige Politikbetrieb duckt sich geschlossen weg

 

Doch genau das Gegenteil deutet sich wieder an: Merkel wird nach außen weich und nach innen hart auftreten. Ein irrwitziger Spagat, dem inzwischen niemand mehr folgen mag. Das Medienecho ist vernichtend: Die Kanzlerin entschuldigt sich in Ankara für unsere Meinungsfreiheit und stützt damit einen Autokraten.

 

Dazu der sehr treffende Kommentar der Kieler Nachrichten: »Die Bundesregierung hat es versäumt, der türkischen Kritik am weit harmloseren extra-3-Video einen deutlichen Hinweis auf die Werte und Grundrechte entgegenzusetzen, die in Westeuropa gelten. Hofnarr Böhmermann setzt noch einen obendrauf und hält der Kanzlerin so den Spiegel vor. Einer Angela Merkel, die den Ausweg aus der Flüchtlingskrise ausgerechnet in einem Pakt mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan sucht, der die Meinungs- und Pressefreiheit mit Füßen tritt. Auf die offenkundigen Widersprüche im Handeln der Kanzlerin hinzuweisen, die in der Asylfrage Humanität zu ihrem Markenzeichen machen wollte, ist geradezu die Pflicht der Satiriker – wenn sich in der Berliner Koalition schon niemand traut.«

 

 

Wer die Freiheit der Satire einschränkt, schränkt auch die Freiheit der Meinung ein

 

Der Bundesregierung ist das Rückgrat abhandengekommen. Sie hat dem Satiriker jeglichen Beistand verweigert und brachte es nicht einmal fertig, die Forderung der Türken nach Strafverfolgung abzuschmettern. Eine politische Bankrotterklärung. Ausgerechnet Mathias Döpfner, Vorstandschef von Axel Springer, gibt nun Böhmermann eine Rückendeckung, nachdem sich der kanzlerhörige Politikbetrieb geschlossen weggeduckt hat. In einem öffentlichen Brief unter dem Titel »Böhmermann hat recht!« schreibt Döpfner über »die Leisetreterei der Bundesregierung« und »die Selbstaufgabe des demokratischen Abendlandes«.

 

In was für einem Abendland leben wir? In einem, das seine Freiheit nicht mehr verteidigt. Gerade dann, wenn es darauf ankommt: Wer Satire einschränkt, schränkt auch die Freiheit der Meinung ein und damit ist auch die Presse nicht mehr frei. Das Erschreckende ist, dass nicht nur ein obrigkeitshöriger Sender wie das ZDF bloß noch aus vorauseilendem Gehorsam zensiert und schweigt, wenn es um nicht weniger als die eigene Freiheit geht.

 

Weil es um diese Freiheit inzwischen so armselig bestellt ist, erbarmte sich Springer-Chef Döpfner und bietet im letzten Absatz seines Briefes an: »Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen. Vielleicht lernen wir uns auf diese Weise vor Gericht kennen. Mit Präsident Erdoğan als Fachgutachter für die Grenzen satirischer Geschmacklosigkeit.«

 

Es ist eine Ohrfeige für alle, die sich selbst als Feiglinge entlarvt haben.

 

 

Quelle: KOPP

 

 

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