Wie würde das mediale Echo wohl aussehen, wenn Böhmermann in seiner Sendung den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und nicht den türkischen Präsidenten Erdogan in seiner Satire aufgegriffen hätte? Würden die Medien – alternativ oder mainstreamig – genauso ihre Solidarität mit dem Satiriker bekunden? Eher nicht!
Aktuell wird breit über den Fall Böhmermann debattiert und ist nicht mehr nur ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Der Fall wurde zu einem Politikum pervertiert und selbst die Kanzlerin hat sich höchstpersönlich eingeschaltet. Aber nicht nur die Kanzlerin, sondern auch der türkische Präsident Erdogan möchte sich von Böhmermann nicht als „Ziegenficker“, „schwul“ oder „pädophil“ bezeichnen lassen – was aber auch menschlich ist.
Nehmen wir also mal den Fall an, dass Böhmermann einen israelischen Politiker derart angegriffen hätte. Angenommen es wäre Benjamin Netanjahu oder ein anderer bekannter Politiker aus Israel, den er in ähnlicher herabwürdigender Weise beleidigt hätte. Wie würde das mediale Echo dann aussehen, wenn sich der Zentralrat der Juden in Deutschland über den Fall beschwert hätte. Wäre die Sendung überhaupt ausgestrahlt worden? Sicher nicht. Hätte sich die breite Masse ähnlich solidarisch mit Böhmermann gezeigt, wie sie es aktuell gerade macht und in den nächsten Tagen auch weiter tun wird? Nicht wirklich.
Sicherlich bekäme der Satiriker, um es auf Ruhrdeutsch auszudrücken, keine Beine mehr auf die Erde und er hätte sich längst ins mediale Abseits katapultiert. Aber das ist nicht der einzige bigotte Widerspruch, der sich in dieser Debatte abzeichnet. Es gibt sicher andere Gründe, um den türkischen Präsidenten zu kritisieren. Der nicht legitime Abschuss der russischen Su-24 im vergangenen November, der Völkermord an den Kurden oder seine erpresserische Politik gegenüber der EU.
Aber sicher nicht die Tatsache, dass er es sich nicht bieten lassen möchte in einem staatlich finanzierten Rundfunk in dieser Art und Weise beleidigt zu werden. Kein Mensch muss sich als „Ziegenficker“ bezeichnen lassen, schon gar nicht von einem staatlich finanzierten Sender. Jeder Mensch, auch ein türkisches Staatsoberhaupt, ob man ihn mag oder nicht, hat ein Recht sich gegen unwürdige und beleidigende Titulierungen zur Wehr zu setzen.
Zugegeben, es ist aktuell einfach Gründe zu finden, um das türkische Staatsoberhaupt nicht zu mögen. Es gibt aber auch Gründe, um beispielsweise ein Staatsoberhaupt aus einem anderen Land für seine aggressive Politik zu kritisieren. Aber sicher wäre der Aufschrei geringer, wenn das ZDF Böhmermann aus dem Programm genommen hätte, wenn er in ähnlicher Weise mit Netanjahu oder anderen Politikern aus Israel oder meinetwegen auch den USA umgesprungen wäre.
Jedenfalls würde sich Böhmermann in einem solchen Falle mit anderen ehemaligen Journalisten, Moderatoren oder Satirikern einreihen und das solidarische Echo wäre, um es mal vorsichtig auszudrücken, eher verhalten. Möglicherweise hätte er sogar ein paar neue Fans aus anderen politischen Lagern erhalten. Jedoch würde sich kaum einer medial wirksam beschweren, wenn er strafrechtliche Konsequenzen zu erwarten hätten, die – um es wieder einmal vorsichtig ausdrücken – um ein paar Anklagepunkte erweitert worden wären.
Man kann sich sicherlich denken, wovon hier gesprochen wird. Aber zugegeben: Es ist nur eine Frage, die einen imaginären Fall aufgreift und man nicht präzise sagen kann, wie die Reaktion konkret ausgegangen wäre. Aber man kann sich sicher sein, man kennt es aus anderen Geschichten aus der Medienwelt, dass man kein Opfer gefunden hätte, sondern einen neuen Buhmann auserkoren hätte, der von den Zentralräten der Zentralräte heimgesucht worden wäre.
Insoweit können wir uns wieder mit einem weiteren Beispiel von der Scheinheiligkeit der Meinungsfreiheit in der deutschsprachigen Welt begnügen, die mal wieder eine Nebelkerze gezündet hat, um die wahren Kritikpunkte über die türkische Politik bewusst verschleiert und wieder einmal zeigt, dass Meinungsfreiheit in Wahrheit die Freiheit zur Massenmanipulation bedeutet.
Sowieso: Mit den Grundrechten ist es in Europa wie mit einer schlechten Internetversicherung. Was schön in ein bis zwei Sätzen geschrieben und hoch angepriesen wird, das wird im nächsten Satz wieder eingeschränkt. Und über die Möglichkeiten solcher Einschränkungen werden ganze Bücherbände geschrieben, so dass sich sehr wohl der Eindruck aufdrängt, dass es möglicherweise ehrlicher wäre die Meinungsfreiheit zu verbieten, sie aber in bestimmten Ausnahmefällen dann doch zu erlauben.
Quelle: Contra Magazin