Die größte Privatisierung Europas (Teil 1) Von Wladimir Moschegow

 

Die Vorkriegs Umverteilung des Eigentums: Vom «Dawes-Plan» zum «Marshall-Plan»

 

Im Jahr 1918 hatte Deutschland im Ersten Weltkrieg eine Niederlage erlitten, die das Leben von Millionen Menschen und noch mehr Geld forderte. Dabei gaben die USA Kredite an England, England an Frankreich und Frankreich an Russland.

 

Bis zum Ende des Krieges schuldete England den USA mehr als 8 Milliarden Pfund Sterling (trotz der Tatsache, dass die Ausgaben Großbritanniens für den Bau der stärksten Dreadnought (Fürchtenix) -Flotte der Welt 1907 — 1914 nicht mehr als 50 Millionen Pfund betrugen). Jetzt musste Verlierer Deutschland diese Kredite für Alle bezahlen.

 

Knoten werden geschürzt

 

Während das bolschewistische Russland für anglo-französische Kredite mit dem roten Terror und Plünderungen der Alliierten bezahlen musste, wurden für Deutschland ungeheuerliche Reparationen in der Höhe von 132 Milliarden Goldmark verhängt, eine Summe, die doppelt so hoch wie das Nationaleinkommen Deutschlands für das Jahr 1913 war.

 

Darüber hinaus, wurde Deutschland seiner Armee, Marine, Kolonien beraubt und verpflichtet, den größten Teil seiner Produktionskapazitäten für den Aufbau der Flotte der Alliierten und der Kohleförderung für Frankreich zu verwenden.

 

Bei der Suche von Reserven für die Zahlung der Reparationen entschied sich die Weimarer Regierung in den folgenden Jahren zu einer äußerst hohen Steuer für das große deutsche Kapital. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. Durch das sogenannte «Loch im Westen», das die Banken hilfsbereit anboten, floss Kapital, das scheue Reh, aus dem Land.

 

Nach vier Jahren nennt die Zeitung «New York Times» dazu die Zahl der deutschen Einlagen in den Banken der USA: Zwei Milliarden US-Dollar, das entsprach rund einem Viertel des BIP in Deutschland im Jahr 1923.

Aber der wichtigste Kanal für Kapitalflucht waren in diesem Moment nicht die USA, sondern Holland, wohin nach etabliertem Muster die größten Stahlgusskonzerne Deutschlands überwechselten. In den Jahren 1920 bis 1929 erlebte die Wirtschaft der Niederlande dadurch ein fabelhaftes Wachstum. Auch Banken der Schweiz, Norwegen, Schweden, Dänemark standen nicht zurück. Im Mai 1921 wurde die Reichsbank Deutschlands immer schwächer, musste die Goldanbindung der Deutschen Mark stoppen, und damit den Prozess der Inflation starten.

 

Am 31. August 1921 zahlte Deutschland endlich seine ersten Milliarde Gold-Mark ab. Sobald das Gold nach Westen gegangen war, fiel der interne Wechselkurs der Deutschen Mark sofort von 60 auf 100 Mark für einen Dollar. Ab diesem Zeitpunkt ging das Fallen umso schneller weiter, bald konnte nicht mehr gebremst werden und es kam zum unaufhaltsamen Sturz. Ab Ende des 1921 stiegen die Preise um mehr als 50 Prozent pro Monat. Bis zum Ende des nächsten Jahres überschritten sie das Niveau der Vorkriegszeit um das 1475 fache.

 

Unter solchen Bedingungen konnte Deutschland seine gigantischen Schulden nicht mehr bezahlen. Und im Januar nächsten Jahres, warf Frankreich Deutschland die Verletzung von Verpflichtungen bezüglich der Reparationszahlungen vor und okkupierte das Ruhrgebiet, das industrielle Herz Deutschlands:

 

1800 Quadrat-Meilen des Territoriums,

 

10 Prozent der Bevölkerung,

 

80 Prozent der Gewinnung von Kohle, Eisenerz und der Stahlerzeugung Deutschlands.

 

Schon im Jahr 1919, bei der ersten Neufestlegung der Grenzen Europas, hatte Marschall Foch versucht in Versailles die Grenze zu Deutschland auf dem Rhein zu ziehen (das Ruhrgebiet inbegriffen), um mit dem Rheinland einen Pufferstaat zu schaffen.

 

Jedoch stießen die Franzosen sogleich auf den Widerstand der Briten (die natürlich nicht zulassen konnten, dass daraus eine übermäßige Stärkung Frankreichs erfolgt), mussten sich mit der Schaffung einer Remilitarisierung des Rheinlandes begnügen und sich weiterhin gegen Deutschland und die Tschechoslowakei richten. Vier Jahre später hatte Frankreich jedoch wieder einen Grund sich an seine Pläne zu erinnern.

 

Die Franzosen waren sich sehr wohl bewusst, dass der Verlust des Ruhrgebiets Deutschland nie wieder mit voller Kraft auferstehen lassen würde. Im Gegenteil eröffnete die Herrschaft über die Ruhr große Perspektiven für Frankreich, seine Schwerindustrie bekam Kohle, Koks, Eisenerz und die Elsässer Textilfabriken bekamen die deutschen Märkte. Poincare träumte von einem Kohlen-Eisen-Syndikat unter der Schirmherrschaft des französischen Kapitals auf der Basis des Ruhrgebiets.

 

Wenn man bedenkt, dass Frankreich zu diesem Zeitpunkt sowieso Osteuropa kontrollierte (mit Hilfe der Tschechoslowakei und seiner Marionetten-Militär-Blöcke wie der Kleinen Entente), dann hätte die Besetzung der Ruhr Frankreich auf einen Schlag zur wirtschaftlich und politischen Hegemonie in Kontinentaleuropa gemacht. Die Versuchung war einfach zu groß und die «verbotene Frucht» zu nah. Und Poincare hat es gewagt.

 

Aus den zentralen Zeitschriften verschütteten sich wieder einmal expressive Eskapaden des Marschalls Foch: «Falls es Krieg gibt, dann gewinnt die Partei, die als erste den Rhein in Besitz nehmen kann!». Die «Rheinische Provinz muss von Preußen befreit werden!» Nach solch kräftigem Propaganda-«Beschuss» begann dann tatsächlich die Besetzung. Vor Angst, allein einen so riskanten Schritt zu gehen, nahm Poincare sicherheitshalber noch Belgien als Verbündeten.

 

Und dann, am 11. Januar 1923 rücken Siebzehntausende von Militärs der Franco-Belgischen Armee in Deutschland ein, besetzen das Ruhrgebiet innerhalb von sechs Tagen, okkupieren seine Städte (Essen, Bochum, Dortmund), Minen, Bergwerke, Fabriken, Bahnhöfe und Häfen. Ohne eine Armee kann Deutschland keinen Widerstand leisten. Versuche des «passiven Widerstands» werden mit allen Arten von Grausamkeit unterdrückt. Am 31. März 1923 wurden Teilnehmer einer Demonstration der Arbeiter in Essen erschossen. Es folgten beispielhaft Hinrichtungen von Saboteuren. Allein während der Besetzung werden bis zu 400 Menschen angegriffen und umgebracht.

 

Natürlich war die Besetzung der Ruhr eine grobe Verletzung der Versaillers-Vereinbarungen. Aber auf die erstaunten Fragen der Engländern antworteten die Franzosen, dass dies die einzige Möglichkeit für sie wäre, die Deutschen zum Zahlen zu zwingen. Was Deutschland selbst betrifft, eine ohnehin gequälte Wirtschaft konnte einen solchen Schlag nicht überleben. Und während Zehntausende von deutschen Arbeitern unter Druck französischer Gewehre Kohle gewinnen und mit Zügen nach Westen abtransportieren musste, stürzte die Deutsche Mark in den Abgrund, hin zu einem historischen Maximum der Hyperinflation.

 

Die plötzlich verarmte Bevölkerung des Landes kehrte verzweifelt zu demselben Zustand des Hungers zurück, der bereits in den Jahre 1918−1919 Deutschland zu der Unterzeichnung der Versaillers Vereinbarungen gezwungen hatte (es kostete die Deutschen Hunderttausende von Menschenleben).

 

Nun lag Deutschland wieder darnieder wie eine besiegte Beute, mitten in Europa, zum Tode verurteilt,. Und wieder streckten sich viele gierige Hände in seine Richtung aus um die besten Stücke vom Deutschland-Kuchen nicht zu verpassen. Unter vielen Beispielen dieser Art war das dabei Herausragende die Besetzung des deutschen Hafen Memel (jetzt Klaipeda) durch Litauen.

 

Nach der Versailles-Manipulation (Zwangsübergabe einen Streifen deutschen Bodens an Polen, um für Polen einen Zugang zum Meer zu schaffen, den sogenannten «polnischen Korridor»), waren die alten deutschen Städte Memel, Danzig und Königsberg vom Rest Deutschlands abgeschnitten. Mit diesen nunmehr «frei hängenden» Städten Ostpreußens war Etwas zu tun notwendig. Aber was? Jedwede Entscheidung hätte eine adäquat neue Herausforderung gebracht. Infolgedessen wurde entschieden, ihnen den Status von freien Städten mit einer deutschen Selbstverwaltung unter Zuständigkeit der UNO (damals noch Völkerbundes) zu geben. Dabei gerieten Danzig in den Einflussbereich von Polen und Memel des von Litauens.

 

In Bezug auf das mögliche Schüren von allerlei neuen Konflikten war es kaum möglich, eine bessere Lösung zu finden. Im Jahr 1939 wurden gerade Memel und Danzig zur Zündschnur des Zweiten Weltkriegs. Aber die Knoten der künftigen Tragödie werden jetzt fast noch nicht ersichtlich. In jenen Tagen, als die Franco-Belgischen Truppen ins Ruhrgebiet einmarschierten, gab es plötzlich in Memel bewaffnete litauische Truppen. Sie entwaffneten ein kleines französisches Kontingent und eroberten die Stadt.

 

Natürlich waren die Handlungen Litauens ein direkter Akt von Banditentum. Aber genau das Gleiche begingen die Franzosen zur selben Zeit im Ruhrgebiet! Die Briten, die sich intensiv mit der Klärung der Beziehung zu Frankreich beschäftigten, hatten dabei keine Zeit sich noch mit Memel zu befassen. Im Endeffekt (worauf Litauen auch gehofft hatte), wurde der Skandal einfach totgeschwiegen.

 

So erreichte erst fünf Jahre nach dem Ende des Weltkrieges und der Ausrufung des Präsidenten Wilson von einer «Neuen Ära des Friedens und Gerechtigkeit», internationales Recht wieder seinen historischen Grund zurück.

 

 

Die Hyperinflation

 

Nach der Eroberung der Ruhr beginnt in Deutschland das, was später Hyperinflation genannt wird. Im November 1923 kostet eine Goldmark bereits eine Trillion Papier-Mark. Ein Ei kostete 8 Millionen Mark. Die Arbeitslosigkeit hat sich verdreifacht, in den Arbeiter-Slums grassieren Hunger und Elend, die Kindersterblichkeit erhöht sich um bis zu 20%. Da das Geld für Särge fehlte, mussten die Deutschen ihre gestorbenen Kinder und Verwandten in Kartons oder Säcken begraben.

 

Für Spekulanten öffnet sich ein wahres «Klondike». Die Zinssätze der Geldverleiher wachsen auf 35 Prozent am Tag. In drei Tagen wachsen Preise auf das Doppelte, pro Monat auf das Tausendfache.

 

Die Preise in den Geschäften ändern sich mehrmals täglich. Die neuen Banknoten mit neuen größeren Werten werden zweimal in der Woche gedruckt.

 

«Es gab solche Tage, dass die Zeitung am Morgen fünfzig und am Abend hundert kostete; wer Valuta wechseln wollte, verzögerte diesen Wechsel für ein paar Stunden, denn um vier Uhr bekam er um ein Vielfaches mehr als sechzig Minuten bevor… Für hundert Dollar war es möglich den Stadtteil mit siebenstöckigen Häuser am Kurfürstendamm zu kaufen. Fabriken kosteten nicht mehr als bisher irgendein Handkarren», erinnerte sich Stefan Zweig, der diese Zeit als «Hexen Sabbat der Inflation» bezeichnete.

 

«Wirtschaftliche Massen-Morde», so nennt Herbert George Wells diesen Wahnsinn. Und der Deutsche Banker Hjalmar Schacht nennt das «ein Beispiel für geschickte Maßnahmen zur wirtschaftlichen Zerstörung Deutschland».

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird derselbe Schacht die Situation vorsichtig erklären, die Tatsache, dass Deutschland «keine andere Möglichkeit hatte sich über Wasser zu halten, als durch Inflation seine eigene Währung zu zerstören». Die Briten nennen die Hyperinflation immer noch einen Versuch der Deutschen, sich durch die Ausgabe von Papiergeld Reparationen zu entziehen.

 

Aber Schacht «rutscht» in seinem Buch «Magie des Geldes» (1967) «aus» und schreibt, dass nicht die Weimarer Regierung, sondern die Reichsbank privat Spekulationsgeschäfte führte. Sie gab der deutschen Wirtschaft immer mehr neue Tonnen von Papiergeld heraus und ausländische Spekulanten verdienten daran mit einfachster Manipulation: zuerst die Währung leihen, dann verkaufen, dann kaufte sie sie zu einem niedrigeren Preis an und zahlte dann die Schulden ab.

 

So oder so, die gleichzeitigen Aktionen des Reichsbankpräsidenten Rudolf Havenstein und der internationalen Spekulanten ergaben ein bemerkenswertes Ergebnis. In kürzester Zeit waren die größten Produktionsstätten des Landes in den Händen der «aus dem nichts» entstandenen Oligarchie.

 

So wie ein gewisser Richard Kahn, der ein Vermögen mit der Liquidation von Weinlagerungen in der Nachkriegszeit machte, er kaufte die größte staatliche Munitionsfabrik Deutschlands «Deutsche Werke» zum Metallschrottpreis. Ähnliches passiert in ganz Deutschland.

 

Als die Reichsbank nicht mehr in der Lage war, die unstillbare Nachfrage nach Geld zu bewältigen, Geld «aus dem Nichts» durften das dann auch die anderen privaten Banken machen. Das Land verwandelte sich in ein «Eldorado». Wie eine Invasion von Heuschrecken überschwemmten Wolken von Schurken aus Osteuropa Deutschland, kauften die Immobilien und alles, was auch nur einen kleinsten Wert hatte, zumindest einen größeren Wert als der Preis des Papiers. Jeder, der Eintausend Dollar in der Tasche hatte, konnte in Deutschland grandiose Geschäfte machen.

 

Die Neureichen stiegen schnell in Deutschland ein und blühten mitsamt ihren ganzen Familien-Clans auf: die Brüder Ciprut, die Brüder Rotter und die Brüder Sklarek. Die letztere Familie umgarnte mit ihren Machenschaften die Verwaltung Berlins und stahl so 10 Millionen Goldmark aus der Schatzkammer. Und in einen lauten Korruption-Skandal mit den Brüdern Barmat war auch die politische Spitze des Landes verwickelt, vom  ehemaligen Reichskanzler Bauer (Führer der Sozialdemokraten) bis zum Präsidenten Friedrich Ebert hin. Die geschickten Scharlatane Barmat, zahlten reichlich an die korrumpierte Macht und bekamen dank gefälschter verbuchter staatlicher Darlehen 38 Millionen Goldmark und etwa den gleichen Betrag aus den Taschen zehntausender einfacher Anleger. Es scheint, die Republik erreichte die untere Grenze ihrer Auflösung. Überhaupt erinnert das, was in diesen Monaten mit dem Land geschah, banal an einen Raubzug mit Gewalt.

 

Während die französische Armee im Ruhrgebiet das Messer ans Herz Deutschlands legt, schaltet der Manager der Reichsbank Havenstein (er wird geschützt vom britischen Botschafter Edgar Vincent, 1. Viscount D’Abernon), einen Geld-Druck mit voller Leistung ein und die großen Spekulanten leeren die Taschen des Opfers.

 

Was die großen Bonzen nicht auffressen wollten, picken kleinere Plünderer auf. Die Hyperinflation führte zur totalen Beraubung Deutschlands. Aber das war noch nicht die schlimmste Folge der Besetzung. Die Vorteile der schweren Lage des Landes benutzten nicht nur Plünderer. In den «roten Gebieten» des Landes werden die Kämpfer der Komintern aktiviert und Separatisten an den Peripherien des Landes. Deutschland war am Rande des totalen Zusammenbruchs und des revolutionären Chaos.

 

 

Von Wladimir Moschegow

Quelle: www.svpressa.ru

Übersetzung: fit4Russland

 

Teil 2 folgt