Die Reichsbürger, die Leitmedien und der Verfassungsschutz: Eine Sammlung von Widersprüchen

Aktuell vergeht kein Tag, an dem nicht das Phänomen der „Reichsbürgerbewegung“ in den Leitmedien aufgegriffen wird. Dabei wird nicht nur einseitig, aber dennoch wechselhaft über das Thema an sich gesprochen, sondern auch über eine künftige Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Wer verwirrt hier eigentlich wen?

Von Christian Saarländer

Spätestens nachdem ein SEK-Beamter an seinen Schussverletzungen im Krankenhaus starb, geriet das Reichsbürger-Phänomen in die Schlagzeilen. Doch spätestens dann ging es los mit der widersprüchlichen Berichterstattung, die durch den Schuss eines Reichsbürgers Mitte Oktober ausgelöst wurden. Die ersten Meldungen über den Tod des Polizisten waren Falschmeldungen und danach wurden immer mehr Razzien und kriminelle Vorwürfe in den Medien laut, die das Thema für sich neu entdeckt haben. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis man auf das Bundesamt für Verfassungsschutz kam. Beobachten oder nicht beobachten?

Zunächst hieß es aus dem Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz, man wolle die Reichsbürgerbewegung nicht beobachten – noch nicht. Das berichtete die Tagesschau noch am 21.10.2016 unter Berufung auf den Kölner Stadtanzeiger. Es habe an den Voraussetzungen gemangelt, wie etwa eine „bundesweite Vernetzung“ oder eine dezidiert rechtsextreme Ausrichtung, was zwingende Voraussetzung für eine Beobachtung durch die Bundesbehörde sei, die dem Innenministerium untersteht. Dafür gab es auch auch reichlich Kritik aus dem politischen Umfeld der Grünen und der Linkspartei. Bundestagsabgeordnete Martina Renner von der Linkspartei forderte kurz nach  nach den tödlichen Schüssen eine Entwaffnung durch die Behörden, die von der Polizei unterstützt werden solle.

Doch selbst Polizisten und andere Beamte sollen für die Thesen der Reichsbürger-Bewegung empfänglich sein, wie Sputnik Deutschland unter anderem berichtete. In den letzten zwei Wochen wurde in den Leitmedien dann vermehrt über Vorfälle mit Reichsbürgern, in den verschiedenen Bundesländern berichtet. Gewaltakte, Razzien und andere Übergriffe füllten mitunter die Schlagzeilen. Und seit gestern heißt es exklusiv in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Bewegung doch beobachten werde. War der deutsche Inlandsnachrichtendienst bislang gänzlich untätig gewesen?

Das Phänomen ist sicher nicht neu für den Inlandsnachrichtendienst, wenngleich man von einer relativ jungen Erscheinung spricht, wie beispielsweise das Brandenburger Landesamt für Verfassungsschutz. Dort wurde unter anderem im Jahre 2015 ein Handbuch veröffentlicht, das auch im Internet verfügbar ist. Hierbei handelt es sich um eine wissenschaftliche Aufarbeitung mit dem Reichsbürger-Phänomen, welches von Politikwissenschaftlern, Juristen und anderen Geisteswissenschaftlern verfasst wurde. Auf ganzen 223 Seiten wird sich hier mit dem Reichsbürger-Phänomen auseinandergesetzt, die spätestens nach den Montagsdemos 2014 immer mehr in den Fokus geraten sind. Zwar werden die Reichsbürger hier nicht lobend beschrieben, aber dennoch verzichtet man auf die typischen Pauschalisierungen, die man sonst so aus den gängigen Medienberichten kennt. Also werden sie doch beobachtet und nicht erst seit Oktober 2016. Auch die Verfassungsschutzämter aus anderen Ländern haben über die Reichsbürger in diversen Broschüren oder Berichten als Thema aufgegriffen. War bislang nur das Bundesamt für Verfassungsschutz untätig gewesen?

Insgesamt geht aus den bisherigen Berichte hervor, dass es unterschiedliche Ausrichtungen gibt und man sich in verschiedenen Fragen, über die geltende Verfassung, die Staatsangehörigkeit oder den völkerrechtlichen Status der Bundesrepublik Deutschland, die man innerhalb des Reichsbürger-Umfeldes als eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) sieht. Auch auf Contra Magazin wurde jüngst und auch in den letzten Jahren viel über das Phänomen geschrieben und diverse Einzelaspekte aufgegriffen. Aktuell hat auch RT Deutsch das Thema in der Sendung „Der fehlende Part“ aufgegriffen. „Laut Wikipedia handelt es sich um eine ‘sektenartige Gruppe von Menschen’, die sich Verschwörungstheorien und dem Rechtsextremismus hingeben. Doch so richtig definieren lässt sich die Subkultur nicht,“ resümiert der russische TV-Sender.

Und gerade bei der aktuellen Berichterstattung wäre die Bearbeitung, der Verlauf und die Reaktion des Themas auf der Online-Enzyklopädie sicher einer eigenen Recherche würdig. Denn während man dort über belanglose und unpolitische Themen ein nützliches Nachschlagewerk hat, gilt bei politisch brisanten Themen dann oft das Motto „Wir“ machen Meinung. Ein Artikel bei den Deutschen Wirtschafts Nachrichten hat 2013 unabhängig von der aktuellen Reichsbürger-Debatte beschrieben, wie ein erfahrener Wikipedia-Autor den politischen Meinungskampf im Internet beobachtet. Gerade die aktuelle Flut von  negativen und pauschalisierenden Artikeln, beispielsweise auf Google News, sorgen derzeit für neues Quellenmaterial, was dann auch zu weiteren Widersprüchen führen wird. Aus dem linken politischen Lager wird das paradoxe Verhältnis zum Staatsschutz gerade beim Thema Linksextremismus deutlich. Werden solche Strömungen beobachtet, dann ist die Forderung nach Abschaffung oder Beschränkung des Inlandsnachrichtendienstes groß. In der jüngsten Vergangenheit war es die Diskussion um den Landesverrat und seit etwa 40 Jahren immer wieder rund um das Thema der linksextremen Terrorgruppierung Rote Armee Fraktion (RAF).

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