Das Entsetzen über Donald Trump ist dem deutschen Mainstream auch einen Monat nach den Wahlen noch ins Gesicht geschrieben. Kein Medienkommentar, in dem die Hüter unseres Ancien régime nicht ihre kulturelle Überlegenheit ausspielen. Wobei sich triefender europäischer Hochmut mit der Verachtung für die amerikanischen Parvenüs paart.
Eine abstoßende Mischung, doch es ist alles nur Fassade. In Wahrheit hocken die Höflinge in ihren Redaktionen und Kabinetten, eng aneinandergerückt, und rätseln, wieso ihr Zeitgeist über Nacht gestrig geworden ist. Bei der Beschreibung der zugrundeliegenden Probleme herrscht durchaus noch Konsens: soziales Auseinanderdriften, ökonomische Desillusionierung, Verlust von Identität und Solidarität.
Aber wie reagieren unsere medialen und politischen Eliten? Als Antwort ein Bild aus dem Tierreich: die Schlange und das Kaninchen. Die Schlange ist die Zukunft; selbstbewußt und unbekümmert, die gespaltene Zunge als Vorhut, gleitet sie der Gegenwart entgegen. Wer ist wohl das Kaninchen, steif wie festgefroren, kaum sichtbar die vor Angst bebenden Flanken?
Kaninchenlogik
Sagen wir, es sind unsere herrschenden Klassen. Genau wie das Kaninchen folgen sie zwei logischen Impulsen. Nummer eins: Die Schlange sieht mich nicht. Vielleicht geht die Zukunft vorüber, und alles bleibt, wie es ist. Impuls Nummer zwei: Jede Handlung, jede Aktion birgt das Risiko, ein Fehler zu sein.
Die Zukunft ist alternativlos, was sollte man auch tun? Zuwanderung – man kann doch keine Mauern errichten. Wir-Gefühl und Identität – ist unsere Kultur etwa besser als andere? Islamischer Fundamentalismus – man kann doch nicht alle über einen Kamm scheren. Demografischer Niedergang – sollen wir wieder Mutterkreuze einführen? Und so weiter und so fort.
Deutschland ist heute so konservativ wie zu Zeiten der Heiligen Allianz nach 1815. Damals schützte Preußen gemeinsam mit Österreich-Ungarn und dem russischen Zaren die europäische Ordnung, und die galt den Altvorderen gerade so ehern wie die heutige uns. Nur keinen Schritt vom Status quo abweichen.
Jenseits der Grenzen pure Revolution
Dabei tobt jenseits der Grenzen die pure Revolution. Im Osten gräbt man nach neu-alten Modellen nationaler Identität. England probt den Brexit, und das supersäkulare Frankreich bringt gleich zwei konkurrierende, rechte Hoffnungsträger hervor. Und des Deutschen Vaterland? Rüstet sich wacker für Merkel, die Vierte.
Was geschieht derweil auf der anderen Seite des Atlantiks? Kaninchenlogik kann man Donald Trump nicht vorwerfen. Das Etikett „dekadent“ ist erst recht fehl am Platz. Viel eher ist der flamboyante Milliardär ein Ausweis der Jugendlichkeit seines Landes, dessen Staatlichkeit noch keine 250 Jahre zurückreicht.
Die europäischen Nationen haben locker das Vier- oder Fünffache auf dem Buckel. Erst im vergangenen Jahrhundert hat die USA sie nach fast 500 Jahren als Weltmacht abgelöst. Diese Jugendlichkeit zeigt sich auch in Trumps angekündigter Politik. Zuwanderung – natürlich kann man eine Mauer bauen. Wir-Gefühl und Identität – wenn die USA in hundert Jahren noch eine überwiegend europäisch geprägte Gesellschaft sein wollen, müssen sie was dafür tun.
Zurückweisung der absurden Minderheit
Islamischer Fundamentalismus – hat im Westen nichts zu suchen und wollen wir nicht. Mittel und Wege werden sich finden. Demografischer Niedergang – Mutterkreuze sind aus der Mode, aber den Primat der Familie aus Vater, Mutter und Kindern kann man auch anders stärken.
Im gesamten Westen hat sich ein Milieu Geltung und Gehör verschafft, das aus allen Rohren für „identity liberalism“ wirbt. Die Verfechter sehen darin die Krönung der westlichen Aufklärung. Auf den Punkt gebracht: Das autonome Individuum bestimmt selbst, was er/sie/es ist, weshalb, wie oft und warum, und die höchste Stufe der Emanzipation hat derjenige/diejenige/dasjenige erreicht, der/die/das dreimal am Tag seine/ihre Geschlechtszugehörigkeit neu bestimmt.
Trumps Sieg und die Siege der europäischen Rechten sind auch eine entschiedene Zurückweisung dieser so winzigen wie absurden Minderheit, die sich ohne jede intellektuelle, wirtschaftliche oder historische Bodenhaftung anmaßt, den politischen Diskurs zu dominieren.
Immer eines voraus
Und da ist noch eine zweite, zahlenmäßig wesentlich stärkere Gruppe, die all jenen als rotes Tuch dient, die nur eine Stimme haben, am Wahltag alle vier Jahre. Gemeint sind die Scheinheiligen. Bei der politischen Korrektheit spielt ja immer nur die Sprache eine Rolle. Nur nichts Falsches sagen.
Mancher Schwarzer in den USA hat sich vor dem 8. November schon gefragt, ob Hillary Clinton all die schönen Worte auch wirklich so meint – und dann sein Kreuzchen bei Donald Trump gemacht. Ist es hierzulande viel anders? In der ARD reden sie vollmundig über Integration und Inklusion – beschämt sei, wer schlecht darüber denkt.
Wenn die Mächtigen sich zu allem Überfluß auch noch als die Besten darstellen, als Vorbilder, die frei von Sünde sind, wird das Volk mißtrauisch. Zu recht. Ob unter Kaisern oder Kanzlerinnen, den Großkopfeten hat der einfache Mensch immer eines voraus: den scharfen Blick dafür, ob der Kaiser oder die Kanzlerin nun Kleider trägt oder nicht.
Von Thomas Fasbender. Junge Freiheit