Bei Wikileaks veröffentlichte E-Mails lassen erkennen, dass der türkische Energieminister und zugleich Erdoğans Schwiegersohn, Berat Albayrak, unzutreffende Aussagen über seine Rolle beim Öl-Importeur Powertrans gemacht hat. Die Firma steht im Verdacht, Öl aus IS-Gebieten gekauft zu haben, schreibt RT Deutsch.
Ihre besten Tage – sofern sie jemals welche gehabt hat, die diesen Namen verdienen – hat die radikale Linke in der Türkei schon lange hinter sich. Organisatorisch zersplittert, gesellschaftlich isoliert, einem hohen Verfolgungsdruck durch die Regierung ausgesetzt und dazu noch bis in höchste Ebenen von V-Leuten unterwandert ist sie spätestens seit dem Ende der Zusammenstöße rund um den Istanbuler Gezi Park faktisch wirkungslos.
Nun hat die Enthüllungsplattform Wikileaks der türkischen Linken immerhin wieder einmal einen Publizitätserfolg ermöglicht, indem sie knapp 58.000 E-Mails veröffentlicht hat, die der amtierende türkische Energieminister Berat Albayrak erhalten hatte. Die nach eigenen Angaben marxistisch-leninistisch ausgerichtete türkische Hackergruppe «RedHack» soll demnach in den Account des seit November 2015 Regierungsmitglieds und Schwiegersohn des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan eingedrungen sein. Die gekaperten E-Mails habe die Gruppe anschließend an Wikileaks übermittelt.
Die E-Mails, die Wikileaks veröffentlicht hat, stammen aus der Zeit zwischen April 2000 und dem 23. September 2016, mehr als zwei Monate nach dem gescheiterten Putschversuch, den die Regierung dem obskuren Netzwerk des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen anlastet. Die Enthüllungsplattform konnte nach eigenen Angaben die Echtheit der Leaks bestätigen. Inhaltlich offenbaren sie bislang noch nicht bekannte Zusammenhänge über Geschäfte mit Öl aus mutmaßlich von der Terrormiliz IS kontrollierten Beständen sowie Einblicke in die Medienpolitik der türkischen Regierung.
Sucht man in den Onlinearchiven großer türkischer Zeitungen – auch teilweise regierungskritischen wie Hürriyet – nach Meldungen oder Berichten über das Unternehmen Powertrans, finden sich nur wenige Treffer, die sich auf die Zeit nach 2014 beziehen. Powertrans ist ein Unternehmen, das 2011 aus der Taufe gehoben wurde und durch die türkische Regierung mittels einer Ausnahmegenehmigung gleichsam ein Monopol eingeräumt bekam, was die Ein- und Ausfuhr von Öl aus der Kurdischen Autonomieregion im Nordirak anbelangt.
Bereits zum damaligen Zeitpunkt gab es enorme Spannungen zwischen der Autonomieregierung (KRG), die eigenständig Öl in die Türkei exportieren wollte, und der Zentralregierung in Bagdad, die eine Oberhoheit auch über die Ölbestände in der Kurdenregion beanspruchte. Nicht nur die Türkei, sondern auch die USA und Israelgehörten zu den Handelspartnern der Kurdischen Autonomieregierung. In all diesen Fällen spielte das türkische Monopolunternehmen bereits eine bedeutsame Rolle.
Die weit ins irakische Territorium hineinoperierende Powertrans kam jedoch ins Gerede, nachdem die Terrormiliz «Islamischer Staat» im Juni 2014 im Irak und in Syrien weitreichende Geländegewinne erzielen konnte und auf diesem Wege auch die Kontrolle über eine Vielzahl an Ölfeldern erlangte, aus denen zuvor Öl an internationale Abnehmer geliefert wurde.
Über mehrere Monate hinweg hatte der IS ein grenzübergreifendes Territorium inne, das ihm über mehrere Routen den Transport von Öl aus dem Irak über die syrische Hochburg Rakka bis an die türkische Grenze ermöglichte. Darüber hinaus gelang es den Terroristen, über Mittelsmänner und mithilfe von Hehlern und Schmiergeldboten, Öl in die KRG-Gebiete zu schaffen, wo die Abnehmer dieses mit «regulärem» kurdischem vermengten.
Im Oktober 2015 soll der IS einem Bericht der Financial Times zufolge täglich zwischen 34.000 und 40.000 Barrel Öl pro Tag produziert und für Preise zwischen 20 und 45 US-Dollar verkauft haben. Ein nicht unerheblicher Teil davon soll auch im türkischen Hafen von Ceyhan gelandet sein, über den auch die KRG regelmäßig ihr Öl verkauft hat.
In der Zeit nach dem Abschuss eines russischen Su-24-Kampfflugzeuges an der türkisch-syrischen Grenze im November 2015 durch die türkische Luftwaffe und der darauffolgenden diplomatischen Eiszeit zwischen beiden Ländern veröffentlichte die Regierung der Russischen Föderation Bild- und Videoaufnahmen, die belegen sollen, dass sich unter dem Öl, das die Türkei offiziell aus den Kurdenregionen des Nordiraks bezieht, auch solches befindet, das aus IS-kontrollierten Ölfeldern stammt.
Der gerade erst angelobte Erdoğan-Schwiegersohn und Energieminister Albayrak war jahrelang Geschäftsführer des Firmenkonglomerats Calık Holding. Neben einer Reihe anderer Unternehmen, deren Geschäftssitze zum Teil in Südostasien oder auf Inseln angegeben waren, die als Steuerparadiese gelten, besaß auch die Calık Holding Anteile an Powertrans. Die Enthüllungen über IS-Öl, das in die Türkei geliefert wurde, fielen nun auch auf den Monopolisten zurück, der sich der Situation angepasst und auch mit dem IS Handel getrieben haben soll.
Albayrak ließ daraufhin mittels seiner Anwälte erklären, dass er keinerlei Beziehungen zu Powertrans pflege. Wie die Leaks enthüllen, hatten diese ihm zuvor empfohlen, zu erklären, dass er «keine Beziehungen mehr» dazu pflegen würde, Albayrak bestand jedoch darauf, dass er bereits anfänglich keine gehabt hätte.
Der Inhalt der nun veröffentlichten Leaks vermag diese Darstellung jedoch nicht zu bestätigen. Vielmehr legen die geleakten Mails den Eindruck nahe, Albayrak sei auch bei Powertrans selbst der Dreh- und Angelpunkt gewesen und ohne ihn seien keine wesentlichen Entscheidungen getroffen worden. So habe er unter anderem auch über die Besetzung von Positionen, Gehälter, operative und organisatorische Fragen zumindest mitentschieden.
Insgesamt 30 der geleakten Nachrichten weisen eindeutig darauf hin, dass Albayrak bei dem Monopolisten, der auch mit dem IS Geschäfte getätigt haben soll, eine bedeutsame Rolle spielte. Eine bewusste Absicht, gezielt Öl aus IS-Beständen zu erwerben, um Geld zu sparen oder gar die Terrormiliz aus ideologischer Überzeugung heraus zu unterstützen, lässt sich jedoch auch aus dem Inhalt der Leaks nicht ableiten oder gar nachweisen.
Ein weiterer interessanter Aspekt der enthüllten Mails betrifft auch die Medienpolitik der türkischen Regierung. So soll Albayrak versucht haben, hinsichtlich des weiteren Schicksals der im Oktober 2015 unter Zwangsverwaltung gestellten Ipek-Mediengruppe auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Die Gruppe stand im Verdacht, in Geldwäsche-Netzwerke zu Gunsten der Gülen-Bewegung involviert zu sein und dieser zu helfen, Vermögen außer Landes zu schaffen. Der Minister hat sich offenbar dafür eingesetzt, die Gruppe unter staatlicher Kontrolle zu behalten oder an regierungsnahe Unternehmen zu verkaufen.
Aus dem E-Mail-Bestand geht zudem hervor, wie die türkische Regierung seit der Zeit der Krawalle im Gezi-Park aktiv den Aufbau einer Gegenöffentlichkeit zu den überwiegend kritischen Medienberichten in westlichen Publikationen unterstützt hat. Vorwiegend in den sozialen Medien soll demnach eine regierungsnahe «Troll-Armee» proaktiv Inhalte verbreiten, die Ankaras Regierungspolitik und die regierende AKP in einem positiven Licht erscheinen lassen.
Dabei sollen durchaus beträchtliche Geldsummen im Spiel sein. So weist die in Wien erscheinende Tageszeitung «Die Presse» auf eine Mail hin, aus der hervorgeht, dass ein offenbar regierungsnaher Studentenverein die Zahlung von 250.000 Euro für offene Rechnungen rund um dessen Gebäude begehrt habe. Ob und wie viel davon bezahlt wurde, geht aus dem Material jedoch nicht hervor. Dem Wall Street Journal zufolge, das bereits im Jahr 2013 über eine angebliche «Troll-Armee» berichtet hatte, soll das Social-Media-Team der türkischen Regierung nicht weniger als 6.000 umfassen.
Die Gruppe «RedHack» soll den Account des Ministers am 23. September gehackt haben und wollte durch die Drohung mit einer Veröffentlichung am 26. September offenbar inhaftierte Angehörige der prokurdischen HDP freipressen. Als die Regierung sich davon unbeeindruckt zeigte, stellte Redhack das Material auf Google Drive und Dropbox. Ankara blockierte daraufhin den Zugang zu mehreren Cloud-Diensten und verhaftete einige mutmaßliche Aktivisten.
Für Internetnutzer in der Türkei ist das Archiv nur schwer zu erreichen, da Zugänge rasch unterbunden werden und Medien vor Ort es vorziehen, sich keiner Gefahr staatlicher Strafverfolgung infolge einer Veröffentlichung der Leaks auszusetzen. Der Zugang zu Wikileaks selbst ist in der Türkei bereits seit Juli 2016 gesperrt. Die Enthüllungsplattform hatte wenige Tage nach dem Putsch E-Mails aus dem Bestand der Regierungspartei einem breiten Publikum zugänglich gemacht.
Quelle: RT Deutsch