von Wladislaw Sankin
Gestern reiste der scheidende US-amerikanische Vize-Präsident zum mittlerweile fünften Mal seit dem gewaltsamen Regimewechsel im Februar 2014 in das osteuropäische Land. Er traf sich zunächst mit dem Premier Wladimir Groismann und danach mit dem Präsidenten Petro Poroschenko.
Dem Treffen mit Grossmann wohnten auch die Vertreter der Wirtschaftsressorts in dessen Regierung bei: der für die wirtschaftliche Entwicklung zuständige Vizepremier Stepan Kubiw und der Finanzminister Alexander Daniljuk. Zum Schluss gab Biden eine gemeinsame Presskonferenz mit Poroschenko. Bereits mittags stieg er in den Flieger zur Weiterreise in Richtung Davos, wo er ab heute am dortigen Wirtschaftsforum teilnimmt.
Der Demokrat Joe Biden legt in einigen Tagen sein Amt nieder und übergibt dieses dem Republikaner Michael Pence. Es ist unklar, ob und inwieweit dieser sich mit Fragen rund um die Ukraine befassen wird. Dort wird zurzeit viel über die berüchtigte «Ukraine-Skepsis» des neuen amerikanischen Präsidenten spekuliert. Im für die jetzige ukrainische Führung schlimmsten Fall könnte die neue Administration mit der Suche nach neuen Gesichtern für deren Reihen anfangen oder die «Ukraine-Frage» unverblümt als Wechselwährung auf weltpolitischer Ebene eintauschen.
Von der Begrüßung am Flughafen bis zum gemeinsamen Auftritt war auffällig, wie verlegen und traurig Petro Poroschenko und sein Gast tatsächlich wirkten. Um der Peinlichkeit des Moments entgegenzuwirken, betraten die beiden das vertraute rhetorische Revier der antirussischen Auslassungen und rituellen Beschwörungen von «Reformen». Auch der «Kampf gegen die Korruption» wurde in den Reden wie immer großgeschrieben.
So verglich der US-Vizepräsident die Umsetzung der demokratischen Reformen in der Ukraine mit dem ersten Flug zum Mond:
John Kennedy sagte einmal in Bezug auf den ersten Flug zum Mond: Wir können das nicht mehr verschieben. Ich glaube, dass die Ukrainer die Bildung eines neuen demokratischen Staates nicht verschieben können und wollen.
Der Aufruf zu Reformen ist aber seit jeher das rhetorische Mantra in der Ukraine, sowohl innen- als auch außenpolitisch. Musste Joe Biden bloß deshalb wieder mit Viktoria Nuland und Jeffrey Payett, also den Schlüsselpersonen des Staatsstreichs im Schlepptau, nach Kiew reisen? Nur um diesen bescheidenen PR-Effekt zu erzeugen? Man denke nur an seine gewaltigen Reden wie jene in der Rada vom April 2015 oder die berühmte Leitung des Kabinetts aus dem Präsidentensessel im April 2014 — dagegen wirkt der Abschied in Januar 2017 wie eine Trauerfeier.
Viele Experten sprechen sogar von möglichen negativen Folgen des Besuchs. Warum sollte Poroschenko den künftigen amerikanischen Präsidenten einmal mehr mit Getuschel mit seinen schärfsten Gegnern aus dem Lager der Demokraten ärgern? Die Ukraine hat eigentlich schon genug Peinlichkeiten im Umgang mit Trump und dessen Team angesammelt. Doch aus der Sicht der Amerikaner war das Treffen wichtig genug. Mit Schwierigkeiten bekamen sie es noch in den Terminkalender des scheidenden amerikanischen Vize-Präsidenten zwischengeschoben: Bereits um 7:30 traf der 75-jährige Biden beim 38-jährigen ukrainischen Premier Grossmann ein.
Es war also offensichtlich mehr als nur ein Abschied, denn so sentimental sind die Beteiligten dann doch wieder nicht. Man kann zwar davon ausgehen, dass Joe Biden seinen Protegé mit einigem Insiderwissen auf die neue Administration einstimmte. Mit Sicherheit standen aber auch andere praktische Dinge im Vordergrund.
So reiste z. B. diesmal auch Hunter Biden, einer der Vorstände des Erdgasförderers Burisma Holdings, mit seinem Vater mit. Seit April 2014, als er sein Amt bei der Holding bekam, gibt es Spekulationen über eine Interessenverstrickung der Familie Biden über die Firma, die auch die Schiefergasvorkommen in der Ukraine erforschen und fördern sollte. Hunter Biden gilt in seiner Heimat als professioneller Lobbyist.
Nur wenige Wochen vor dem Treffen kam zudem die Nachricht, dass die ukrainischen Behörden ihre Ermittlungen gegen den Hauptanteilseigner der Holding, Nikolai Slotschewski, einstellten. Der Unternehmer war zu Janukowytsch-Zeiten der Minister für Umwelt und natürliche Ressourcen. Gegen ihn wurde seit März 2014 ermittelt. Auch seine Konten in England mit einem Guthaben von 25 Millionen Dollar wurden eingefroren.
Der geflüchtete Oligarch und Rada-Abgeordnete Alexander Onitschenko, der große Mengen an belastendem Material über Poroschenko an US-amerikanische Justizbehörden übergeben hatte, berichtete, dass die Vertreter des amerikanischen Justizministeriums ihn ausführlich über die Beziehungen zwischen Slotschewski und den beiden Bidens ausgefragt hätten. Es gibt auch Hinweise, dass Igor Kononenko, der ebenso Rada-Abgeordneter ist und als Freund von Poroschenko gilt, zusammen mit Slotschewski in das Gas-Geschäft einsteigen will.
Auch die Verhandlungen über die Weitergabe der IWF-Kredite könnten Thema der Gespräche gewesen sein. Seit Oktober 2016, als der nächste Transfer der IWF an die Ukraine auf die unbestimmte Zeit vertagt wurde, gab es in dieser Angelegenheit keine nennenswerten Fortschritte. Anscheinend konnte Biden Poroschenko auch dazu überreden, der Anhebung des Rentenalters zuzustimmen — sie ist eine der zentralen Forderungen des IWF.
Das politische Leben in der Ukraine steht derzeit weitgehend still. Alle warten auf die Amtseinführung des neuen US-Präsidenten am 20. Januar und dessen erste außenpolitische Schritte. Es ist durchaus denkbar, dass beide Präsidenten, Trump und Poroschenko, die einzigen Milliardäre ihrer Zunft, eine gemeinsame Sprache finden können. Nur wird das für die Ukraine auf jeden Fall ein Spiel mit neuen Regeln werden.