EU will eine Strategien gegen Flüchtlinge aus Afrika ausarbeiten

 

Am Freitag berieten die EU-Spitzen in Malta über Strategien zur Eindämmung der Migration afrikanischer Flüchtlinge nach Europa. Libyen soll geholfen werden, seine Grenzen zu kontrollieren, die seit dem NATO-gestützten Putsch im Jahr 2011 weithin offen sind.

 

Für eine Handvoll Euro: EU berät über Strategien gegen Flüchtlinge aus Afrika

 

Nachdem die Balkan-Route durch den Flüchtlings-Deal mit der türkischen Regierung abgeriegelt wurde, wendet sich die EU nun dem nächsten Hotspot der vor Elend, Verfolgung und Krieg flüchtenden Menschen zu: dem afrikanischen Kontinent.

 

Eine stetig zunehmende Zahl an Flüchtlingen versucht, über Libyen und das Mittelmeer vor allem nach Malta und Italien zu gelangen. Höchste Zeit also und auch eine gute Gelegenheit für die EU, ein weiteres Exempel hinsichtlich ihrer vermeintlich wertebasierten Flüchtlingspolitik zu statuieren.

 

Auf ihrem Gipfel in Malta streben die EU-Staats- und Regierungschefs daher nun danach, auch für dieses Problem eine Lösung zu finden. Die Herausforderung ist immens, denn seit dem durch eine NATO-Intervention herbeigeführten Sturz Muammar al-Gaddafis versinkt Libyen immer weiter im Chaos.

 

Bis zum Sturz des langjährigen Staatsoberhauptes wurden die Grenzen des Staates streng überwacht. Die EU bezahlte dafür, nicht durch afrikanische Flüchtlinge behelligt zu werden. Sie lieferte Hubschrauber, Schnellboote, NATO-Draht und Radargeräte, um es den libyschen Sicherheitskräften zu erleichtern, die unappetitliche Arbeit vor Ort zu erledigen.

 

Auch der ehemaligen Kolonialmacht Italien war daran gelegen, die womöglich überschwappende Flüchtlingsbewegung vor Ort zu stoppen. Doch die libysche Regierung angemessen für ihre Arbeit zu bezahlen, kam der EU schon vor dem «Regime Change» nicht in den Sinn. Gaddafi forderte einst fünf Milliarden Euro für die schmutzige Arbeit, zahlen mochte die EU indessen nur 50 Millionen.

 

Trotz alledem verpflichtete sich Libyen, Flüchtlinge in Auffanglagern zu sammeln, sie nicht wie jetzt in klapprige Boote steigen zu lassen und sie in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Aufgrund der damals stabilen Verhältnisse wurden laut UNO-Hochkommissariat vor 2011 etwa 50 Prozent der Bootsflüchtlinge systematisch nach Libyen abgeschoben – ohne jegliches Verfahren. Was anschließend mit den Flüchtlingen passierte, interessierte herzlich wenig. Tausende Flüchtlinge wurden in die Wüste geschickt, um dort buchstäblich zu verrecken. Tausende Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, doch Europa konnte aufatmen. Es lässt sich auch wesentlich leichter von Werten und Menschenrechten reden, wenn diese nicht auf dem Prüfstand stehen. Das Sterben spielte sich diskret irgendwo im fernen Afrika ab, die europäische Wohlstandsgesellschaft wurde nicht weiter belästigt.

 

Wehmut mag nun einige EU-Verantwortliche bei dem Gedanken an die gute alte Zeit überkommen. Dass es die so genannte westliche Staatengemeinschaft war, die das ehemals prosperierende Libyen durch die Unterstützung des libyschen Regime Change zu einem Nest für Islamisten und Terroristen machte, scheint aus dem kollektiven Gedächtnis der EU-Granden getilgt worden zu sein. Anders ist es kaum zu erklären, dass die EU sich nun offiziell dazu aufschwingt, Libyen «helfen» zu wollen. Helfen möchte sie eher wohl vor allem sich selbst.

 

Denn nach dem gewaltsamen Sturz Gaddafis wagen nun hunderttausende Menschen die Überfahrt über das Mittelmeer. Zu den Flüchtlingen zählen nun auch Libyer selbst und prompt bringen diese die EU an die Grenzen des vermeintlich Zumutbaren. Abertausende Flüchtlinge kamen bereits bei dem Versuch, rettendes europäisches Ufer zu erreichen, jämmerlich ums Leben und das Sterben geht kontinuierlich weiter. Derweil stellt EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger zur Situation in Libyen fest:

 

«Das ist nicht ein Land, eine Regierung.»

 

Folglich könne man das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei nicht «eins zu eins» auf Libyen übertragen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigt sich auf dem Malta-Gipfel derweil besorgt:

 

«Die Situation der Flüchtlinge ist dramatisch in Libyen. Wir brauchen eine politische Lösung für ein stabiles Libyen. Daran ist noch viel zu arbeiten».

 

Ob sie sich des Zynismus ihrer Worte bewusst ist, darf bezweifelt werden. Auf dem Gipfel einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs nun auf einen Zehn-Punkte-Plan, um die ungewollte Zuwanderung über das Mittelmeer zu stoppen. Ziel ist es laut Vereinbarung, die zentrale Mittelmeerroute von Nordafrika Richtung in Richtung Europa zu kappen. Der entsprechende Plan sieht vor, vor allem die libysche Küstenwache soweit auszubilden und auszurüsten, dass diese künftig fähig sein wird, von Schlepperbanden organisierte Fahrten über das Mittelmeer zu verhindern. Wie unter dem Revolutionsführer Gaddafi müssten die Geflohenen auch dann wieder auf unabsehbare Zeit in Libyen ausharren, bevor sie eventuell erneut in die Wüste geschickt werden.

 

Dies möchte die Europäische Gemeinschaft jedoch vermeiden. EU-Ratspräsident Donald Tusk strebt deshalb neben der Stärkung des Grenzschutzes auch eine Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Libyen an. Es geht vor allem auch darum, Libyen in die Lage zu versetzen, seine südliche Landesgrenze besser zu kontrollieren. Dass es den Einsatzkräften des kriegsgeschüttelten Landes künftig gelingen wird, die 1.700 Kilometer lange Grenze quer durch die Sahara zu versiegeln, wird jedoch bezweifelt.

 

Auch die Aufnahmebedingungen sollen verbessert werden. Zur Umsetzung der Vorhaben will die EU 200 Millionen Euro zur Verfügung stellen. In den kommenden fünf Jahren sollen sechs Milliarden Euro fließen, um die Einwanderung aus Afrika zu unterbinden. Gaddafi hatte allerdings wesentlich weniger verlangt und erste EU-Finanzminister stellen sich bereits quer.

 

Der italienische Regierungschef Paolo Gentiloni schloss bereits am Vorabend des Treffens in Malta ein eigenes Abkommen mit der libyschen Einheitsregierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradasch. Demnach stehen ebenfalls die libysche Küstenwache, der Grenzschutz und die südliche Grenze im Fokus. Zur bilateralen Vereinbarung zählen auch «vorübergehende Aufnahmelager in Libyen unter ausschließlicher Kontrolle des libyschen Innenministeriums». Zu den Vereinbarungen äußerte sich Gentiloni wie folgt:

 

«Das ist ein wichtiges Abkommen in den Beziehungen zwischen Italien und Libyen. Es bezeugt die Bereitschaft Italiens, sich stark für eine Stabilisierung der Lage in Libyen zu engagieren.»

 

Vonseiten Italiens wurden auch bereits Absprachen mit Niger, Tunesien und Libyen getroffen, die den Namen Fonds für Afrika tragen. Der Fonds ist zurzeit mit 200 Millionen Euro gefüllt. Hinzu kommen nochmals 430 Millionen Euro, die Italien als Kooperationsgelder für 2017 bereit gestellt hat. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und der Paritätische Wohlfahrtsverband stellen die EU-Maßnahmen jedoch grundsätzlich in Frage. In einem offenen Brief an Angela Merkel sprachen die Organisationen von einem

 

«Tiefpunkt europäischer Flüchtlingspolitik.»

 

Die Organisation Ärtze ohne Grenzen nutzte für ihre Kritik folgende Worte:

 

«Die EU stellt die Realität in Libyen falsch dar: Das Land ist kein sicherer Ort für Schutzsuchende. Menschen in Libyen festzuhalten oder sie dorthin zurückzuschicken, führt die Grundwerte der EU — Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit — ad absurdum.»

 

Die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping, sprach indes von einem «schmutzigen Deal». Demnach

 

vergeht sich die Bundeskanzlerin an den Menschenrechten und macht sich schuldig am humanitären Bankrott der Europäischen Union.

 

Im vergangenen Jahr waren 181.000 Menschen über das Mittelmeer nach Italien gekommen. Ein neuer Rekordwert. Offiziell ertranken 5000 Menschen bei dem Versuch, das Meer in Richtung Europa zu überqueren. Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher. Nach Angaben von EU-Vertretern warten derzeit 300.000 bis 350.000 Flüchtlinge in Libyen auf die Überfahrt nach Europa. In der Malta-Erklärung heißt es, dass die Umsetzung des europäischen Zehn-Punkte-Plans für Libyen im März und Juni kontrolliert werden soll.

 

Quelle: RT