Türkei: Experte über das, worüber Russlands Präsident Putin mit Präsident Erdogan sprechen wird
09.03.2017 18:02
Bei den am 10. März in Moskau geplanten russisch-türkischen Gesprächen auf höchster Ebene wird die Situation in Syrien im Mittelpunkt stehen. Es soll konkret um vier Punkte gehen, die der türkische Politikwissenschaftler Kerin Has im Interview mit der Agentur Sputnik näher kommentiert hat.
„Erstens geht es um die Fortsetzung des türkisch-russischen Zusammenwirkens, ähnlich dem, was in Aleppo und in solchen Regionen wie Idlib zu beobachten war. Zweitens geht es um die Fortsetzung des diplomatischen Prozesses in Astana sowie um seine Erweiterung durch die Einbeziehung neuer Akteure. Insbesondere wünscht Russland die Teilnahme der USA, Saudi-Arabiens und Katars. Drittens geht es um mögliche Varianten eines Zusammenwirkens der Türkei mit Russland bei den Operationen in Manbidsch und Rakka, die die türkische Regierung nach dem Abschluss der Operation in Al-Bab auf die Tagesordnung gesetzt hat. Soviel mir bekannt ist, dauern die diesbezüglichen Verhandlungen an, und hierbei ist es wichtig, welche Politik US-Präsident Donald Trump betreiben wird. Bislang sind die Positionen der Seiten nicht klar formuliert und nicht konkretisiert. Viertens geht es um Russlands Position in Bezug auf die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und andere kurdische Kräfte, um ihre Rolle im künftigen Syrien und die Überwindung der zu dieser Frage bestehenden Unstimmigkeiten mit der Türkei“, sagte der Politikwissenschaftler.
Wie Kerim Has ferner betonte, wird auch die Teilnahme an der Operation gegen die syrische IS-Hochburg – die Stadt Rakka — zur Sprache kommen. In diesem Sinne werde eine Vereinbarung zwischen den USA und Russland von entscheidender Bedeutung sein, äußerte er.
„Angesichts der heutigen Situation auf dem Festland“, so der Politikwissenschaftler, „kann die Türkei nicht allein entscheiden, an den Kampfhandlungen zur Befreiung von Rakka teilzunehmen. Das kann nur in dem Fall realisiert werden, wenn es ihr gelingt, Russland und auch die USA von dieser Notwendigkeit zu überzeugen. Russland äußert seit geraumer Zeit den Wunsch, im Anti-Terror-Kampf in Syrien mit Washington zu kooperieren. Und hier rückt die Operation in Rakka als eine Frage in den Vordergrund, bei der die USA und Russland ein Zusammenwirken anbahnen könnten. Aber da diese beiden Länder keine regionalen Akteure sind, entsteht ein Bedarf an Personal und Militärs, die direkt am Boden Kampfhandlungen gegen den Daesh (auch IS) führen können.“
Darauf eingehend, dass sich die türkische Seite bei den Verhandlungen mit Russland auch auf die kurdischen Gruppierungen konzentrieren werde, merkte Kerim Has an, dass die Position der russischen Seite ihnen gegenüber eine langfristige Perspektive habe und auf die Lage in der Region orientiert sei. Er erinnerte daran, dass die Türkei nach der Operation in Al-Bab in Richtung Manbidsch vorrücken wolle. Allerdings hänge die Möglichkeit, diese Idee in die Tat umzusetzen, von Moskau ab.
Der Politikwissenschaftler verwies darauf, dass erst unlängst unter Russlands Vermittlung die von der PYD kontrollierten Territorien westlich von Manbidsch an die syrische Regierungsarmee übergeben worden seien. Deshalb hänge das weitere Vorrücken der türkischen Streitkräfte nach der Operation in Al-Bab direkt vom Kräfteverhältnis auf der Linie Ankara-Washington, aber ebenso von dem auf der Linie Ankara-Moskau ab.
„Moskau möchte“, so Has, „dass kurdische Vertreter an den Gesprächen in Genf und Astana teilnehmen. In dieser Frage hält Russland seit langem an ein und derselben Position fest. Hier sind deshalb Meinungsdifferenzen mit der Türkei offensichtlich. Es wird interessant sein zu beobachten, ob die beiden Länder hier die in Fragen der PYD vorhandenen Kanten glätten können. Allerdings wird dies in vielem von Trumps neuer Syrien-Politik abhängen“, so der türkische Experte.
Darauf angesprochen, ob die Spannungen in den Beziehungen zum Westen dazu beitragen könnten, dass Ankara engere Beziehungen zu Russland aufbaut, erwiderte Has, dass die Türkei beim Entstehen derartiger Spannungen ihren Blick gewöhnlich nach Osten – nach Eurasien und Russland – richte. „Nennen wir es eine außenpolitische Orientierung, Ankara versucht auf diese Weise, seinen außenpolitischen Vektor zu ändern, wobei es dem Ausbau der mannigfaltigen Beziehungen zu Russland die Priorität einräumt. Insbesondere widerspiegelt sich dies in den Verhandlungen zwischen der türkischen und der russischen Seite über Lieferungen russischer Luftabwehrkomplexe S-400.“
Am 10. März trifft sich Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan. Beide Staatschefs werden den Vorsitz in der sechsten Sitzung des Russisch-Türkischen Rates für Zusammenarbeit auf höchster Ebene ausüben. Im Zuge der bilateralen Gespräche und in der Ratssitzung sollen die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern, ebenso ihre Zusammenarbeit in der Verteidigungsindustrie erörtert werden. Ein wichtiges Thema sollen die Ereignisse im Nahen Osten, vor allem aber in Syrien sein.