Die deutschen Medien und die Politik sind auf einem „antirussischen Trip“.

Die deutsche Politik ist in der Mehrheit wie die meisten deutschen Medien auf einem „antirussischen Trip“. So sieht es der Politologe Erhard Crome. Er kritisiert, dass in Berlin die Behauptung Barack Obamas von der „Regionalmacht Russland“ übernommen wurde. Eine Rolle spielen für ihn dabei die osteuropäischen Nationalisten in der EU.

Die jüngsten Russland-Besuche des bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und des Berliner Regierenden Bürgermeisters Michael Müller sind „ein Zeichen, dass nicht alle sogenannten Eliten in Deutschland auf diesem antirussischen Kurs sind“, stellte er in einem Sputnik-Gespräch fest.

„Aber die offizielle Regierungspolitik spricht eine andere Sprache.“ Crome verwies auf die „völlig verfehlte Lageeinschätzung“ des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der Russland als „Regionalmacht“ einstufte. Diese Vorstellung habe sich in Teilen der außenpolitischen Eliten Deutschlands seit dem Ende des Kalten Krieges und des Zusammenbruchs der Sowjetunion „ganz tief drin“ festgesetzt. Im Gegenzug würden in dieser Sicht die USA und Deutschland – „praktisch als die EU-Hegemonialmacht“ – durch ihre wirtschaftlichen und anderen Interessen eine weltpolitische Rolle spielen.

„Man bildet sich ein, dass es ohnehin keine militärische Auseinandersetzung mehr geben würde, sondern alles, was gegenwärtig stattfindet im Osten Europas, nur ‚Säbelrasseln‘ ist und Russland von irgendwas abschrecken soll“, so der Berliner Politikwissenschaftler. „Aber im Kern liegt die Vorstellung, dass der Westen gewonnen hat und Russland im Gefolge des Endes der Sowjetunion sei der Verlierer und dürfe keine weltpolitische Rolle mehr spielen.“

Medien und politische Klasse auf antirussischem Trip

Crome verwies dabei unter anderem auf „die Biographien jüngerer Journalisten, die in wichtigen Medien heute eine Rolle spielen“, auf deren berufliche Herkunft und Hintergründe. „Dazu gehört dann auch der ganze Kanon, dass sich internationale Politik sich nicht nach Interessen richten dürfe, sondern dass es um werte und Prinzipien und Menschenrechte und Ähnliches ginge. Am liebsten redet man gar nicht über Interessen.“ Auch die Mehrheit der politischen Klasse sei „auf diesem antirussischen Trip“. Das sieht der Experte „keine großen Unterschiede zwischen Gernot Erler, Frank-Walter Steinmeier und Norbert Röttgen“.

Die in der EU dominierende politische Haltung gegenüber Russland sie nicht zuletzt dadurch bedingt, dass „alle Nationalisten aus Polen, den baltischen Ländern und anderen EU-Ländern mit am Tisch sitzen.“ Diese würden „aus eigenen Gründen – da hat der Nationalismus oftmals mehr mit Innenpolitik zu tun –“, Russland als äußeren Feind darstellen.

„Völlig verfehlte Sanktionen“ mit beiderseitigen Opfern

Die Sanktionen gegen Russland haben sich aus Sicht Cromes „als völlig verfehlt erwiesen – für beide Seiten!“ „Russland ist ein Opfer dessen und Deutschland mit seinen Exportinteressen natürlich auch.“ Die Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump nach dem Motto „America first!“ zeige, dass die Alternativen der deutschen Wirtschaft „nur in Eurasien liegen“ könnten. „Das heißt, neben China, Indien und anderen müsste dann natürlich Russland eine der ersten Adressen sein“. Die Sanktionen müssten in Folge dessen sofort aufgehoben werden. Es seien neue Impulse für die Zusammenarbeit notwendig.

Nach Trumps Wahlsieg befinden sich die transatlantischen Kräfte in der deutschen Politik in einer schwierigen Lage, fügte Crome hinzu: „Wenn man das jetzt mal ironisch formuliert: Die nordatlantisch erzogenen politischen Eliten Deutschlands und Westeuropas sind in einer ähnlichen Situation wie die kleinen sozialistischen Länder in Osteuropa unter Gorbatschow. Die Vormacht macht nicht mehr das, was man erwartet hat. Sie macht nicht mehr das, woran man gewöhnt war. Und jetzt weiß man nicht, was man tun soll.“

Keine Alternative zur friedlichen Zusammenarbeit

Der Politikwissenschaftler warnte davor, dass die Bundesregierung den US-Wünschen nach mehr Aufrüstung folgt. Die Bundeswehr dürfe nicht zu einer kriegsfähigen Armee ausgebaut werden, „die dann möglicherweise auch Landkrieg in Europa führen können sollte“. Crome spitzte im Interview zu: „Die Vorstellung, mit deutschen Truppen russische Rohstoffe zu erlangen, ist vor Stalingrad abschließend gescheitert.“

Er befürchtet, dass sich der gegenwärtige „eigenartige Schwebezustand“ fortsetze, wenn sich das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau nicht verbessert. Als Beispiel nannte er den Konflikt in der Ostukraine: „Solange die deutsche Außenpolitik davon ausgeht, dass nur die russischen Separatisten in der Ostukraine und in deren Rücken Russland für die Zuspitzung der Lage in der Ukraine verantwortlich seien und kein kritisches Wort gegenüber Kiew gesagt wird, kommt man natürlich zu keiner Lösung im Ukraine-Konflikt.“

So habe die Minsk-Vereinbarung zwei Seiten, erinnerte Crome: „Da gibt es Dinge, die die Separatisten tun müssen, und da gibt es Dinge, die die Kiewer Regierung tun muss. Solange die das nicht tut, ist das nicht erfüllt. Bloß, die Nichterfüllung wird ja immer Russland angelastet.“