Donbass: Zeuge ukrainischer Kriegsverbrechen

Als meine Familie und Freunde die Bilder aus Donezk sahen, die ich Ende März gemacht habe, waren sie total überrascht. Überrascht, weil sie solche Bilder nicht in der Tagesschau, Tagesthemen oder n-tv gesehen haben, wo sie üblicherweise ihre Informationen über das Weltgeschehen einholen.

Überrascht auch deshalb, weil sie nun mit eigenen Augen und Ohren sehen und hören konnten, dass im Osten des modernen Staates Ukraine, im Donbass, richtiger Krieg herrscht. Es führte mir einmal mehr vor Augen, wie effektiv doch die Propaganda hierzulande arbeitet. Wenn überhaupt in den Nachrichten über diesen Konflikt gesprochen wurde, dann stets unter dem Titel von «Ukrainekrise» oder «Ukrainekonflikt». Von einem Krieg ist so gut wie nie die Rede.

Und wer sich dann vielleicht doch noch eine Sendung des SPIEGELs, ARD-Auslandsthemen oder dergleichen angeschaut hat, der hat dann doch begriffen, dass im Donbass Krieg herrscht. Aber die Sichtweise war dann verzerrt, weil sie aus der Sicht von der «Nationalgarde» der Ukraine beispielsweise spricht, die aber nichts anderes als der staatliche Mantel über dem neonazistischen Asow-Batallion ist. Und aus dieser Sicht führt die Ukraine keinen Krieg, sondern eine seit nunmehr drei Jahren andauernde «Antiterror-Operation», kurz ATO, gegen Terroristen aus. Jeder gilt als Terrorist, der sich in irgendeiner Art und Weise für die selbstausgerufenen Volksrepubliken von Donezk und Lugansk ausspricht oder sie unterstützt. Und um in diesem Narrativ zu bleiben: diese Terroristen werden natürlich direkt von Russland unterstützt, dass die Ukraine besetzt hält.

Mit anderen Worten verteidigte sich die Ukraine in den Augen meiner Familie und Freunde (und Millionen anderen!) lediglich gegen Terroristen — oder Rebellen, klang besser -, die von den bösen Russen missbraucht werden, weil ja der böse Putin die europäische Demokratie stürzen will. Es ist Polemik, ich weiß. Aber genauso sieht die Meinung aus, wenn man die sprachlichen Etiketten und Nettigkeiten abstreift. Nazis in der Ukraine? Ach hör doch auf… Die ukrainische Armee führt einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung im Donbass? Russische Propaganda…

Aus all diesen Gründen, die auf alten Vorurteilen und moderner Medienmanipulation beruhten, waren sie so unheimlich überrascht, die traurigen Geschichten der Menschen zu hören, die ich in den Dörfern und Stadtgebieten an der Front bei Donezk getroffen habe. Wie zum Beispiel Alina (Name auf Wunsch geändert und kein persönliches Foto erwünscht), die zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter einen massiven Beschuss ihres Wohnhauses in Donetsky Severny am 24. März 2017 überlebt hatte, indem sie sich alle im begehbaren Kleiderschrank versteckt hatten. Ihre 23-jährige Tochter, die zu diesem Zeitpunkt gerade die Eltern besuchte, wurde dabei leicht am Arm verletzt.

Inmitten dieses ganzen Chaos und Zerstörung, erinnerte ausgerechnet der Kühlschrank an ein glückliches Leben vor dem Krieg, wo die Familie sogar einen Badeurlaub im türkischen Side verbringen konnte.

Dass bei diesem massiven Artillerie- und Panzerbeschuss eines Wohnquartiers niemand ums Leben kam, ist schon erstaunlich. Dass aber Alina und ihre Familie den direkten Treffer einer Panzergranate in ihre Wohnung im obersten Stockwerk überlebt und glücklicherweise nur mit leichten Verletzungen davongekommen ist, grenzt schon an ein Wunder. Doch solche Bilder haben weder meine Familie und Freunde in den Nachrichten gesehen, noch die meisten anderen Menschen, die sich auf diesem Weg informieren.

Sie wissen auch nicht, dass es einen einfachen, aber perfiden Grund gibt, weshalb die ukrainische Regierung diesen Krieg nicht als solchen deklariert. Denn in diesem Fall obläge die Kriegsführung den Genfer Konventionen, zu deren Signatarstaaten sich auch die Ukraine zählt. So heißt es im 1. Zusatzprotokoll von 1977, unter Kapitel III. Art. 52 ganz klar:

«1. zivile Objekte dürfen weder angegriffen noch zum Gegenstand von Repressalien gemacht werden. Zivile Objekte sind alle Objekte, die nicht militärische Ziele im Sinne des Absatzes 2 sind.

  1. Angriffe sind streng auf militärische Ziele zu beschränken. Soweit es sich um Objekte handelt, gelten als militärische Ziele nur solche Objekte, die auf Grund ihrer Beschaffenheit, ihres Standorts, ihrer Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitragen und deren gänzliche oder teilweise Zerstörung, deren Inbesitznahme oder Neutralisierung unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt.
  2. Im Zweifelsfall wird vermutet, dass ein in der Regel für zivile Zwecke bestimmtes Objekt, wie beispielsweise eine Kultstätte, ein Haus, eine sonstige Wohnstätte oder eine Schule, nicht dazu verwendet wird, wirksam zu militärischen Handlungen beizutragen.»

Es gibt in diesem Fall keinerlei Spielraum für Interpretationsmöglichkeiten: ein Angriff auf ein ziviles Haus/Wohnhaus, ist laut Genfer Konvention ein Akt des Kriegsverbrechens. Vorausgesetzt natürlich, es herrscht Krieg. Dadurch, dass Kiew aber den Krieg als eine «Antiterror-Operation», oder ATO, deklariert, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass die Menschenrechtler und Völkerrechtler eine interessante Diskussion ob der Frage führen würden, ob die Genfer Konventionen streng genommen anwendbar sind, oder eben nicht. Für die betroffenen Menschen stellt sich diese Frage gar nicht. Für sie ist der Fall mehr als glasklar.

Von Donetsky Severny sind wir weiter nach Yasinuvata gefahren, wo wir tags zuvor zusammen mit einer OSZE-Patrouille den Bahnhof besucht und ihnen ein bisschen über die Schulter bei der Arbeit zugeschaut haben. Dazu muss gesagt werden, dass das OSZE-Team (bestehend aus einer Deutschen, einem Amerikaner mit deutschem Namen und Vorfahren und einem serbischen Norweger) strikte Anweisungen hatte, keinerlei Interviews oder offizielle Informationen/Meinungen an mich weiterzugeben. Es sei deshalb nur so viel gesagt: die offensichtliche Leitung des Teams oblag der Deutschen, deren Aufgabe es ist, die Zahl und nach Möglichkeit die Art der Waffenstillstandsverletzungen festzuhalten. Mehr auch nicht. Es gehört nicht zu ihren Aufgaben, mit dem Finger auf irgendjemanden zu zeigen und ihn des Bruches des nichtvorhandenen Waffenstillstands zu beschuldigen. Und zumindest was dieses Team, an diesem Tag am Bahnhof von Yasinuvata betraf, haben sie auch nichts dergleichen unternommen. Sie haben lediglich die «Bumms» und Gewehrfeuer gezählt und festgehalten, was ihrem Job gemäß dem  OSZE-Mandat entspricht.

Ungefähr die Hälfte des Bahnhofareals war gefüllt mit Bahnladungen voller Kohle, abgebaut in den zahlreichen Minen rund um Donezk. Doch sie können den Bahnhof Yasinuvata aufgrund der Blockade durch nationalistische und neonazistische Kräfte nicht verlassen. Diese Blockade, die die Bevölkerung in der Ukraine sehr hart getroffen hat, da sie auf diese Kohle zum Beheizen ihrer Häuser und Wohnungen angewiesen sind, zeigt wie machtlos die Regierung von Petro Poroschenko in Kiew in Wirklichkeit ist.

Während die OSZE-Beobachter sofort den Ort verlassen müssen, der unter Beschuss kommt, verlassen wir die relative Sicherheit des Bahnhofs Yasinuvata und fahren mit drei Offizieren der Armee der Donezker Volksrepublik zur Frontbesichtigung an eine strategisch äußerst wichtige Position: die Hauptstraße zwischen Donezk und Gorlovka (oder Horliwka wie es die Ukrainer nennen). Diese Straße markiert gegenwärtig die Frontlinie und gleichzeitig die «Grenze» auf der Höhe Donezk und Gorlovka der Volksrepublik Donezk.

 Wir befinden uns direkt unter der Brücke die auf dieser Google Maps Karte als «Yasinuvata 2 Station» markiert ist.

Auf der anderen Seite der Straße, etwa 300 — 500 Meter entfernt, befindet sich ein Wäldchen mit Gartenlauben das zur Stadt Avdeevka gehört, wo sich die Stellungen der ukrainischen Armee — und des neonazistischen Rechten Sektors — befinden. Von hier aus terrorisieren sie die Zivilbevölkerung in den Vororten von Donezk, wie etwa Spartak, Yasinuvata oder Donetsky Severny.

Während die ukrainische Armee versucht, diesen strategisch wichtigen Brückenkopf zu erobern, um die Versorgungslinie zwischen Donezk und Gorlovka zu unterbrechen und die «Volksrepublik» faktisch in zwei Teile zu brechen. Um dieses Szenario zu verhindern, hat die Einheit unter der Führung des 23-jährigen Kommandeurs Maxim, den sie hier «Maloj», kleiner Junge, nennen, einen Guerillakrieg gegen die in punkto Ausrüstung und Manpower haushoch überlegenen Armee der Ukraine begonnen. Es sollten Sabotageakte sein, die die Ukrainer beschäftigt hält und sie vom Abfeuern ihrer Artillerie abhält, oder zumindest verzögert. Doch die Nadelstiche haben eine größere Wirkung erzielt, als es die Einheit von Maxim jemals gedacht hat, erzählt er. Deshalb hat er unter Rücksprache der militärischen Führung in Donezk den Plan geändert, und versucht die Streitkräfte der Ukraine aus dieser Gartenlaubensiedlung zu verdrängen, um seinen Brückenkopf und die Menschen in den hinter uns liegenden Ortschaften besser abzusichern. Eine Herkulesarbeit für einen so jungen Mann, der kaum dem Teenageralter entsprungen ist.

Überhaupt schockierte mich der Zustand dieser strategisch wichtigen Forward Operating Base (FOB), wie es die amerikanische Armee nennen würde. Angesichts der Hintergrundinformationen die ich im Vorfeld erhalten habe, erwartete ich irgendwie auch eine entsprechende Basis vorzufinden. Stattdessen waren es Männer, vielleicht zwischen 30- und 40 Jahren alt, die nicht einmal alle die gleiche Uniform anhatten und unter dem Kommando von Maloj, dem jungen Kerl, standen. Sie haben sich unter dem Brückenpfeiler eine Art Basis aus leeren Munitionskisten gebaut, während auf dem «Parkplatz» volle Kisten mit 82mm Mörsergranaten lagen.

Die Bilder die ich vom Wäldchen der Gartenlaubensiedlung gemacht habe, sind durch die Schießscharte, ebenfalls bestehend aus leeren Munitionskisten und dazwischen einem schweren Maschinengewehr, entstanden. Maloj warnt mich, nicht zu lange aus dieser Position herauszuschauen, da sie rund um die Uhr von Scharfschützen der ukrainischen Armee beobachtet werden und die nur auf eine Gelegenheit wie diese warten. Erst am 5. März habe es einen seiner Soldaten erwischt, der sich in der Nacht leichtsinnigerweise neben den «Schießstand» zum urinieren gestellt hatte. Dieser Leichtsinn kostete ihm einen Tag vor seinem 22. Geburtstag das Leben und seiner schwangeren Freundin ihren Freund und künftigen Vater ihres Kindes.

Maloj erhob den Vorwurf, dass dieser Scharfschütze ein NATO-Soldat einer Spezialeinheit war und zeigte mir Fotos von seinen Aufklärern, die aus dem Wäldchen stammen sollen und Soldaten mit polnischen Abzeichen zeigt. Auch die abgehörten Funksprüche würden belegen, dass viele unterschiedliche Nationalitäten «auf der anderen Seite» für die ukrainische Armee und deren nationalistischen Verbündeten kämpfen. Sein Mann wurde auf jeden Fall von einer 10.5mm .416 Kaliber Patrone erschossen, die man hier sonst überhaupt nicht kennt. Auch die ukrainische Armee benutzt dieses Kaliber nicht, sondern die üblichen 7.62mm Patronen für Scharfschützengewehre.

Sobald wir uns nur ein paar Meter vom Brückenpfeiler entfernen, sieht man bereits deutlich die Spuren, mit welcher Feuerkraft und mit was für Waffen die Handvoll Männer übersät wurden, um sie zum Rückzug zu zwingen. Selbst vor dem Einsatz des international geächteten und verbotenen weißen Phosphors oder Nagelbomben schreckte die ukrainische Armee nicht zurück.

Laut Maloj beginnen die Ukrainer täglich ab 16:00 Uhr mit dem Beschuss, der normalerweise bis Mitternacht oder 1:00 Uhr andauert. Es ist kurz nach 15 Uhr, als wir uns abseits der dicken Betonpfeiler der Brücke von Yasinuvata befinden, als plötzlich lautes Maschinengewehrfeuer das Rauschen des Windes unterdrückt. Obwohl wir klar als nicht Kombattanten zu erkennen sind, nimmt uns die ukrainische Armee unter Beschuss. Alle ducken sich reflexartig und rennen zurück zur Brücke. Alle, außer Svetlana, meine Übersetzerin.

Dieser Angriff auf uns scheint sie so überrascht und schockiert zu haben, dass sie sich weder geduckt hat, noch losgerannt ist. Es waren zwar nur wenige Sekunden in diesem Zustand, doch Sekunden in denen sie unter akuter Lebensgefahr stand. Glücklicherweise ist an diesem Nachmittag niemanden von uns etwas passiert, dennoch machte ich mir im Nachhinein große Vorwürfe, dass ich sie trotz schlechtem Bauchgefühl mitgenommen und in diese schreckliche Lage gebracht habe.

Durch den unerwarteten Beschuss, der nebst schwerem Maschinengewehrfeuer auch drei Einschläge von Mörsergranaten nur wenige Meter von uns entfernt beinhaltete, konnten wir nicht umgehend die Brücke verlassen. Erst nach etwa zwanzig Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, fühlten sich unsere drei Begleitoffiziere sicher genug, diesen Platz zu verlassen und in einer Höllenfahrt uns alle in Sicherheit zu bringen. Das ist auch der Moment, wo Svetlana in Tränen ausbricht und ihr die ganze Anspannung im Gesicht geschrieben steht. Obwohl sie zwar seit drei Jahren den Krieg miterlebt hat, musste sie nie solch eine Erfahrung machen. Mit einem Schlag wurde ihr klar, weshalb es kein Zurück mehr zur Ukraine geben kann. Sie hat mir eigenen Augen miterlebt, mit welcher Leichtigkeit die ukrainische Armee Kriegsverbrechen begeht und welche Freude ganz offentsichtlich besteht, wehrlose Zivilisten umzubringen.

Quelle: RT