Die georgischen Behörden protestieren gegen den Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Abchasien. In Tiflis meint man, dies komme einem Angriff auf die Souveränität des Landes gleich.
Warum Lawrow nach Abchasien reist
Sergej Lawrow wird sich zwei Tage in Abchasien aufhalten. Sein letzter Besuch der Republik im Jahr 2011 liegt bereits sechs Jahre zurück.
Laut der Außenamtssprecherin Maria Sacharowa wird der Minister in Suchum an der feierlichen Eröffnung des neuen Botschaftsgebäudes teilnehmen und Gespräche mit der Führung der Republik – mit Präsident Raul Chadschimba und Außenminister Daur Kowe — führen.
„Der Besuch von Russlands Außenministers in der Republik Abchasien ist berufen, der Entwicklung der russisch-abchasischen Beziehungen, die auf den Prinzipien der Verbundenheit und der strategischen Partnerschaft beruhen, einen zusätzlichen Impuls zu verleihen und die Zusammenarbeit zwischen den außenpolitischen Behörden unserer Länder zu festigen“, erläuterte Sacharowa.
Wie es im Außenministerium hieß, ist die Zusammenarbeit zwischen Moskau und Suchum in der Sicherheitssphäre angesichts der komplizierten Situation in der Region besonders aktuell.
„Georgien fährt fort, auf die Territorien von Abchasien und Südossetien Anspruch zu erheben, es lehnt Vereinbarungen über die Nichtanwendung von Gewalt mit ihnen ab und strebt dabei beharrlich in die Nato“, wird im russischen Außenministerium betont. Ferner hieß es, dass sich gemäß einer bilateralen Vereinbarung eine russische Militärbasis in Abchasien befinde und dass die russischen Grenzer beim Schutz der abchasisch-georgischen Grenze helfen würden.
Welche Position vertritt Tiflis
Im georgischen Außenministerium wurde Lawrows Reise nach Abchasien scharf kritisiert.
„Der Besuch von Russlands Außenminister in der Abchasischen Region ist eine Verletzung der Staatsgrenze Georgiens, und die rechtswidrige Eröffnung einer neuen diplomatischen Vertretung Russlands ist ein grober Verstoß gegen das Prinzip der Achtung der Souveränität und territorialen Integrität Georgiens“, heißt es in der Erklärung des georgischen Außenministeriums.
Georgiens Präsident Georgi Margwelaschwili sagte diesbezüglich, das Funktionieren einer beliebigen ausländischen Vertretung auf dem Landesterritorium sei nur bei Zustimmung aus Tiflis möglich.
„Andernfalls ist ein solches Handeln ein grober Verstoß gegen die georgische Gesetzgebung als auch gegen das Völkerrecht“, meint der Staatschef.
Margwelaschwili hat an die Weltgemeinschaft appelliert, Russlands Vorgehen „streng zu verurteilen“. Dabei merkte er an, dass Georgien zu einer Zusammenarbeit mit Moskau bereit sei.
Georgien bekunde seine Bereitschaft, „eine beliebige Frage auf diplomatischem Wege zu regeln“ und rufe Russland „zu einem konstruktiven Dialog“ auf, ergänzte der Präsident.
Zwei Seiten des Problems
Der Vize-Direktor des russischen Nationalen Instituts für Entwicklung der modernen Ideologie, Igor Schatrow, meint hierzu, dass der Protest aus Tiflis von zwei Seiten her betrachtet werden müsse.
Einerseits sei eine solche Erklärung von Seiten Georgiens die übliche diplomatische Praxis, denn Georgien habe die Unabhängigkeit Abchasiens nicht anerkannt, weshalb es beliebige Handlungen seitens jener Länder, die Abchasien als unabhängigen Staat anerkennen, verurteile und rüge. Hier gelte es, der Rhetorik Aufmerksamkeit zu schenken, meint der Experte. Und diese sei recht aggressiv: „Anschlag auf die Souveränität“, „Verstoß gegen das Völkerrecht“. Und deshalb fragt der Experte, woher dies komme, „bedenkt man, dass Sergej Lawrow Abchasien ja nicht zum ersten Mal besucht“, wie er im Gespräch mit Radio Sputnik sagte.
Laut dem Politikwissenschaftler versucht Georgien damit, sich als „von Russland gekränktes Land“ darzustellen, denn das Interesse für die Problematik Abchasiens und Südossetiens habe in der Weltgemeinschaft jetzt abgenommen, sodass Georgien mit dieser Rhetorik erneut die Aufmerksamkeit auf das für Tiflis aktuelle Problem lenken wolle. „Da es in gewissen Kreisen jetzt üblich ist, über Russland als über einen ‚Aggressor‘ zu sprechen, haben sich die georgischen Spitzenpolitiker in dieses Spiel eingeschaltet, um auch sich selbst als ein ‚von Russland gekränktes Land‘ darzustellen“, ergänzte Schatrow.
Zudem meinte er, dass sich diese Reise des russischen Chefdiplomaten in keinerlei Weise auf die Beziehungen zu Georgien auswirken werde, aber „zu Provokationen diplomatischen Charakters“ führen könnte.
Zur Unabhängigkeit Abchasiens
Abchasien und Südossetien hatten im August 2008 ihre Unabhängigkeit erklärt. Den Anlass hierzu gab der vom damaligen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili unternommene militärische Versuch, Zchinval (die heutige Hauptstadt Südossetiens – Anm. d. Red.) einzunehmen.
Moskau hatte die Souveränität der beiden Republiken sofort anerkannt, wonach Georgien die diplomatischen Beziehungen zu Russland abbrach. Die Vertreter der neuen georgischen Regierung, die im Oktober 2012 an die Macht kam, bekundeten wiederholt ihr Streben nach einer Normalisierung der Beziehungen zu Russland, was sie als eine ihrer wichtigsten Prioritäten bezeichneten.
Im Februar 2017 hatte Surab Abaschidse, der Sonderbeauftragte des georgischen Premierministers für die Verbindungen zu Russland, erklärt, dass die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zu Russland von der Regelung der mit Abchasien und Südossetien verbundenen Problematik abhänge.
„Solange kein sehr ernsthafter Fortschritt, keine Definition vom Standpunkt der Regelung dieser Konflikte her erfolgt ist, kann diese Frage nicht auf der Tagesordnung stehen. Dies ist unsere Position“, erklärte Abaschidse.
Die Unabhängigkeit Abchasiens erkennen gegenwärtig vier UN-Mitgliedsländer an – Russland, Venezuela, Nikaragua und Nauru. Außerdem haben die selbsterklärte Republik Bergkarabach sowie die selbsterklärten Volksrepubliken Lugansk und Donezk im Donbass diplomatische Beziehungen zu Suchum aufgenommen.
Quelle: Sputnik