Pjöngjangs Atomwaffen dienen der Abschreckung und Abwehr von Aggressionen. Zu diesem Schluss kam bereits 2013 auch der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses (CRS). Die NATO-Aggression gegen Libyen war Nordkorea allerdings eine Lehre.
von Rainer Rupp
Die nuklearen Fähigkeiten Nordkoreas [Demokratische Volksrepublik Korea – DVRK] dienten «mehr der Abschreckung von Angriffen und dem internationalen Ansehen des Staates als der Führung eines Krieges». Zu diesem Schluss kam im Frühling 2013 der CRS, seines Zeichens der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses.
In seiner viel beachteten Studie über das nordkoreanische Atomwaffenprogramm fasste dieser unter anderem die gemeinsame Beurteilung aller (!) US-Geheimdienste zusammen, die der Director of National Intelligence, Dennis Blair, in seiner jährlichen Einschätzung der Bedrohungslage (Annual Threat Assessment) vom 31. Januar 2013 dem Geheimdienstausschuss des US-Senats vorgetragen hatte.
Laut dieser gemeinsamen Einschätzung würde Pjöngjang «höchstwahrscheinlich den Einsatz von Atomwaffen nur unter engen Voraussetzungen erwägen», zitiert der CRS-Bericht den damaligen Chef der Chefs der US-Nachrichtendienste Blair.
Demnach gingen die Geheimdienstler nicht davon aus, dass Pjöngjang versuchen würde, Atomwaffen direkt gegen US-Truppen, US-Basen oder amerikanisches Territorium einzusetzen. Es sei denn, dass die nordkoreanische Führung von außen angegriffen und unmittelbar vor einer vernichtenden militärischen Niederlage stehen würde, die den unwiederbringlichen Verlust seiner Kontrolle über das ganze Land zur Folge hätte.
Seither hat sich an der Einschätzung der Lage auf der koreanischen Halbinsel so gut wie nichts geändert. Davon zeugt auch die Aussage von William Perry, des US-Verteidigungsministers unter Präsident Bill Clinton, wonach Nordkorea «niemals als Erster» angreifen würde. Gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN sagte er im November 2016:
Ich glaube nicht, dass das nordkoreanische Regime selbstmörderisch ist. […] Unprovoziert wird es keinen Atomangriff gegen jemanden starten», so Perry.
Nordkorea nutzt aggressive Rhetorik als Verhandlungsmasse
Die bereits erwähnte Studie des wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses CRS macht zudem deutlich, dass die Anstrengungen Pjöngjangs zum weiteren Ausbau seines Atomwaffenprogramms «eine Antwort auf die vom Regime wahrgenommenen Bedrohungen durch die Vereinigten Staaten» seien.
Zugleich nütze Nordkorea seinen Status als Nuklearwaffenstaat als wichtiges Unterpfand in seinen diplomatischen Beziehungen, so die CRS-Studie weiter. Daher überschneide sich bedrohliche Rhetorik der DVRK-Regierung oft «mit Zeiten innerpolitischer Krisen oder der Aufnahme von Verhandlungen» mit den USA. Als Beispiel dafür verweist die CRS-Studie auf den Januar 2008, als die staatlichen nordkoreanischen Medien erklärt hatten, dass Nordkorea «als Antwort auf Versuche der USA, den Atomkrieg zu initiieren», seine Abschreckungskapazitäten weiter ausbauen werde.
Tatsächlich aber – so der Dienst des US-Kongresses – habe Pjöngjang damit nur seinen Unmut darüber ausdrücken wollen, dass Nordkorea immer noch nicht von der US-Liste der Staaten, die den Terrorismus unterstützen, gestrichen worden wäre. Ähnliche Drohgebärden mit dem Ziel, diplomatische Hebel anzusetzen, habe es seither von Pjöngjang aus öfter gegeben.
Tatsächlich hatte das jahrzehntelange westliche Rätselraten über nordkoreanische Absichten und dessen nukleare Einsatzdoktrin erst Anfang April 2013 ein Ende gefunden. Nachdem knapp ein Jahr zuvor, im Mai 2012, die Führung in Pjöngjang den Status als Atomwaffen besitzendes Land in der Verfassung Nordkoreas festgeschrieben hatte, war am 1. April 2013 das Gesetz zur Konsolidierung der Position als Kernwaffenstaat verabschiedet worden. Dieses sollte — so der CRS — Klarheit über die nordkoreanische Einsatzdoktrin für die Atomwaffen verschaffen sollte.
Nordkorea: «Werden niemals Atomwaffen gegen nicht nuklearen Staat einsetzen»
Die offizielle, nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA hat laut CRS den Inhalt des Gesetzes wie folgt zusammengefasst:
Atomwaffen dienen der Abschreckung und Abwehr von Aggressionen und militärischen Angriffen des Feindes gegen die DVRK.
Sie seien dazu da, «tödliche Vergeltungsschläge gegen die Hochburgen der Aggression zu führen, solange die Welt nicht atomwaffenfrei ist». Laut diesem Gesetz dürfen die nordkoreanischen Nuklearwaffen also nicht für einen Angriff, sondern nur zur Abwehr einer Invasion oder eines Angriffs einer feindlichen Atommacht — etwa der USA — eingesetzt werden.
Der Einsatzbefehl dazu könne nur vom Obersten Befehlshaber der koreanischen Volksarmee kommen. Zugleich macht das Gesetz klar, dass die DVRK niemals Atomwaffen gegen einen nichtnuklearen Staat — beispielsweise Südkorea — einsetzen, noch diesen damit bedrohen würden, «sofern dieser nicht einen feindlichen Atomwaffenstaat bei einer Invasion oder einem Angriff gegen die DVRK unterstützt».
Die Festschreibung des Status als Nuklearwaffenstaat in der Verfassung im Jahr 2012 und die Verabschiedung des Gesetzes zur Konsolidierung der Position als Kernwaffenstaat 2013 stellen auch eine direkte Reaktion auf den nicht provozierten Überfall der wichtigsten Staaten der NATO-Angriffskriegsbündnisses — der USA, Großbritanniens und Frankreichs — gegen Libyen am 19. März 2011 dar. Damals machte ein hochrangiger Diplomat Nordkoreas bereits deutlich, welche Lehren sein Land daraus ziehen würde:
Die ganze Welt kann nun sehen, welche Konsequenzen die Aufgabe seines Atomprogramms für Libyen hat. Libyens nukleare Demontage, die in der Vergangenheit von den USA so hoch gelobt wurde, war nichts anderes als ein Wegbereiter für die Aggression. Damit haben die USA mit solch süßen Worten wie ‘Sicherheitsgarantie’ und ‘Verbesserung der Beziehungen’ Libyen dazu gebracht, sich selbst zu entwaffnen, nur um es anschließend aufzufressen.
Die Libyen-Lektion hat in Nordkorea die Gewissheit verfestigt, dass es ohne seine nukleare Verteidigung verloren ist. Und je aggressiver die USA mit dem Säbel rasseln, desto geringer sind die Chancen, dass Nordkorea freiwillig auf seine Nuklearwaffen verzichtet.
Quelle: RT