„Zu Dialog und Verständigung mit Russland gibt es bei allen Meinungsverschiedenheiten keine Alternative.“ Das hat der ehemalige bayrische Ministerpräsident und EU-Kommissar Edmund Stoiber in einem Beitrag in der aktuellen Mai-Ausgabe der Zeitschrift „Welttrends“ festgestellt. Er wirbt für mehr Zusammenarbeit und den Abbau der Sanktionen.
Von Tilo Gräser
Stoiber fordert in seinem Ende März geschriebenen und nun veröffentlichen Text schon im Titel auf: „In Vertrauen investieren“. „Wir müssen auf Entfremdung reagieren, nicht indem wir uns zurückziehen, sondern indem wir gerade jetzt mehr gemeinsam machen“, schlägt der CSU-Politiker vor. Er habe aber manchmal „den Eindruck, dass anders als zu Zeiten von Willy Brandt derjenige sich heute rechtfertigen muss, der den Dialog ohne harsche Vorwürfe sucht“. Selbst für seinen Vorgänger Franz-Josef-Strauß sei 1987 bei dessen Begegnung mit dem damaligen KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow angesichts der Kriegserfahrungen beider klar gewesen: „Nie wieder!“ „Das darf auch heute als Lehre aus der Geschichte nie vergessen werden“, betont Stoiber.
Die aktuellen Beziehungen der EU und den USA mit Russland seien seit mehr als zwei Jahren „einer starken Belastungsprobe“ ausgesetzt. Allerdings macht der bayrische Ex-Ministerpräsident die dafür verantwortlichen „Erschütterungen“ nur auf der russischen Seite aus: Die Krim, die Ostukraine und der russische Einsatz in Syrien. Die Rolle der westlichen Politik bei diesen Konflikten hinterfragt er nicht weiter. Dennoch spricht er sich für bessere Beziehungen vor allem zwischen Deutschland und Russland aus und bezieht dabei den wirtschaftlichen Austausch ebenso mit ein wie die öffentliche Meinung und die „gefühlte emotionale Nähe zweier Völker, die kulturelle Dimension“.
Zwischen beiden Ländern gebe es eine besondere emotionale Verbindung, meint Stoiber, „im Guten wie im Schlechten“. Er verweist dabei unter anderem auf die Zarin Katharina die Große, eine Deutsche, die von den Russen als eine ihrer „größten Herrscherinnen“ angesehen werde. Zugleich erinnert er als Beispiel für die „dunkle Seite“ an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Seine Schlussfolgerung: „Deutschland muss sein Verhältnis zu Russland deshalb immer vor dem Hintergrund einer besonderen historischen Rolle definieren.“ Allerdings hätten in der EU nicht alle Mitgliedsstaaten „dieselbe emotionale Nähe zu Russland“, deutet er die Probleme an.
„Russland ist eine Weltmacht“
Für den CSU-Politiker, der im März den bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer bei dessen Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau begleitete, ist grundlegend klar: „Russland ist zweifellos eine Weltmacht, nicht nur militärisch. Allein durch seine schier unfassbare Größe und die nahezu endlos vorhandenen Rohstoffe hat es eine Sonderstellung in der Welt.“ Das gelte unabhängig davon, wie die russische Politik bewertet werde. Stoiber setzt damit einen Gegenpunkt zur Äußerung des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der das Land als „regionale Macht“ herabstufte. Das sei „eine der unsensibelsten und auch falschesten Aussagen“ eines US-Präsidenten gewesen. Sie habe den russischen Stolz tief getroffen und zur wachsenden Entfremdung zwischen den beiden Atommächten beigetragen, bedauert er in seinem Text.
Der bayrische Politiker geht weit, aber überschreitet dennoch nur wenige seiner eigenen Grenzen. So stellt er nicht die Ursachen und Gründe der antirussischen Sanktionen in Frage. Aber er macht klar: „Die Sanktionen gegen Russland schaden beiden Seiten.“ Und: „Die Frage muss erlaubt sein, ob die bisherigen Sanktionen ihr Ziel erreicht haben, ob dies der richtige Weg ist. Nichts ist ein größerer Friedensgarant als gegenseitige Interessen und enge Wirtschaftsbeziehungen.“ Solche könnten durch ihre stabilisierenden Effekte selbst für mehr Sicherheit und weniger Angst bei den am meisten antirussisch agierenden osteuropäischen und baltischen EU-Mitgliedern sorgen. Stoiber ruft dazu auf, „keine künstlichen Denkverbote“ aufzustellen, und regt an, weiter über die Idee eines gemeinsamen Wirtschafstraumes zwischen Lissabon und Wladiwostok nachzudenken.
Aus seiner Sicht ist die Umsetzung des Minsker Abkommens durch Moskau und Kiew zentral für die weiteren Beziehungen zwischen Russland und der EU. Für eine schrittweise Annäherung sei eine „vernünftige Grundlage“, Fortschritte bei „Minsk II“ mit gelockerten Sanktionen zu belohnen. Trotz schlechterer Rahmenbedingungen fordert er: „Wir dürfen den Gesprächsfaden zu den Spitzenrepräsentanten Russlands nicht abreißen lassen.“
Stoiber versus Transatlantiker
„Die engen deutsch-russischen Beziehungen in den Bereichen Wissenschaft und Bildung sowie die zivilgesellschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit sind die unersetzlichen Grundlagen für die gegenseitige Verständigung unserer Völker“, ist sich der CSU-Politiker sicher. Er will das gerade angesichts der gegenwärtigen Krise fortsetzen und ausbauen: „Investieren wir also in Vertrauen und in die Jugend!“ In Wissenschaft und Bildung zusammenzuarbeiten, das fördere langfristige Kontakte zwischen den Menschen beider Länder und könne langfristig den politischen Dialog wiederbeleben.
Stoiber will auch mehr wirtschaftliche Kooperation, besonders im Rohstoffbereich. Als Mitglied des Präsidiums des Deutsch-Russischen Rohstoff-Forums wirbt er in seinem „Welttrends“-Beitrag für ein neues bilaterales Abkommen zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit in diesem Bereich. Der Ex-Ministerpräsident Bayerns stellt klar: „Russland wird auch langfristig einer der wichtigsten Energie- und Rohstofflieferanten für Deutschland bleiben.“ Mit Blick auf den künftigen deutschen Bedarf an Rohstoffen für Zukunftstechnologien, von denen viele in Russland lagern, sei eine „nachhaltige Rohstoffpartnerschaft“ notwendig.
Am Ende seines Textes stellt Stoiber fest: „Zu eng sind wir wirtschaftlich verbunden; zu viel haben wir historisch zusammen und gegeneinander durchgestanden, um zu glauben, Europa und Russland könnten sich aus dem Weg gehen.“ Ob Kanzlerin Angela Merkel das las, was der CSU-Politiker nach seinem Besuch im Kreml aufschrieb, bevor sie Putin in Sotschi traf, ist nicht bekannt. Die mageren Ergebnisse ihres Besuches deuten zumindest nicht darauf hin. Sie dürfte eher dem Ratschlag folgen, der in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift der einflussreichen Transatlantiker unter den deutschen Politikern und Politologen, „Internationale Politik“ Mai/Juni 2017, zu lesen ist. Dort schreibt Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Titel-Schwerpunkt „Die Putin-Projektion“ über den „gefährlichen Scheinriesen“ Russland und meint: „Wir können Russland nicht verändern und müssen es so hinnehmen, wie es ist. Aber wir sollten es auch nicht stärker und größer machen, als es ist.“ Das zeigt, wie selten, aber auch wichtig Meinungen wie die des ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber sind, bei all ihren Grenzen.
Quelle: Sputnik