66 Prozent, zwei Drittel für Emmanuel Macron, 34 Prozent für Marine Le Pen. Das sieht nach einem strahlenden Sieg, nach einem Triumph aus. Aber die Zahl trügt, sie gibt nur die Prozentverteilung der gültigen Stimmen an.
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Man kann es auch so sehen: Da ist Wahl und viele gingen hin – um Asterix zu wählen. Denn mehr als vier Millionen Franzosen wählten gestern Asterix, Obelix oder sonst eine Fantasiefigur, um auf dem Wahlzettel auszudrücken, daß sie keinen der zwei Kandidaten im Elysee sehen wollten.
Sie wählten also bewußt ungültig. Weitere 25,6 Prozent der rund 47 Millionen Wähler, also noch einmal knapp zwölf Millionen, gingen erst gar nicht zur Abstimmung. Wenn man dann noch die in Umfragen geschätzten fünf Millionen Wähler abzieht, die für Emmanuel Macron in der Stichwahl gestimmt haben, um die Vorsitzende des Front National, Marine Le Pen, zu verhindern, dann schmilzt das stolze Zwei-Drittel-Ergebnis auf rund ein Viertel der Wähler als authentische Anhänger Macrons zusammen. Das ist wenig für eine Demokratie.
Die Parlamentswahlen werfen ihre Schatten voraus
Seine erste Ansprache war denn auch ernst, fast nachdenklich. Frankreichs neuer Präsident, der achte und jüngste in der Geschichte der Fünften Republik, ahnt wohl, daß der Triumph nur von kurzer Dauer sein könnte. Nur jeder vierte Wähler steht zu ihm – auf dieser schmalen Basis kann man nicht dauerhaft regieren. Macrons Ansprache war ein beschwörender Appell an die Franzosen, ihn und seine Bewegung „En marche – Vorwärts“ bei den kommenden Parlamentswahlen im Juni mit einer ausreichenden Mehrheit auszustatten.
Das dürfte schwierig werden. Der linksradikale Jean-Luc Mélenchon hielt noch am Wahlabend eine Ansprache, die man als Kriegserklärung werten kann. Um die sieben Millionen Wähler, die im ersten Wahlgang für ihn gestimmt hatten, will er eine linke Mehrheit im Parlament formen. Desgleichen Le Pen. Sie will eine rechte Mehrheit um ihre elf Millionen Wähler sammeln, wobei man bei ihr auch einige Prozent abziehen müßte: Wähler, die die nicht für sie, sondern gegen Macron gestimmt haben.
Und dann sind da noch die Konservativen, die sich nun hinter François Baroin, den designierten Premier der Republikaner, sammeln werden. Wenn es ihnen gelingt, geschlossen in die Wahlen zu gehen, könnte die Partei eine entscheidende Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung erobern. Macron wäre gezwungen, Baroin zum Premierminister zu ernennen.
Gefühle sind kein Programm
Bei allem Prunk, der den republikanischen Monarchen der Fünften Republik umgibt, er kann nicht gegen das Parlament regieren. Er kann es auflösen – aber auch nur einmal und als Ultima Ratio. Das Parlament dagegen kann den Präsidenten des Amtes entheben. Zum Beispiel, wenn sich herausstellen sollte, daß die Veröffentlichungen der vergangenen Tage – Steuerhinterziehung, Betrug in der Zeit als Banker bei Rothschild – keine Fake-News sind, sondern der Wahrheit entsprechen. Entscheidend ist ja nicht, woher die Informationen kommen und welche Hacker sie ans Licht gezerrt haben, sondern ob sie stimmen oder falsch sind. Eigentlich auch eine Aufgabe der Justiz, die in den Fällen Fillon und Le Pen sehr schnell handelte, sich jetzt aber merkwürdig still verhält.
Auf wen kann sich der strahlende Sieger stützen? Eigentlich nur auf die Trümmer der Sozialistischen Partei, auf die Mitte-Links-Partei Modem und auf einige Bürgerliche. Es ist eben ein Unterschied, ob man eine Person oder ein Programm wählt. Macrons eigentliches Programm ist seine Person, das Image des Neuen, des Unverbrauchten, desjenigen, der außerhalb der politischen Klasse, der politischen Oligarchen und Demagogen einen Weg für die Frustrierten und Verdrossenen sucht.
Macron spricht diese Gefühle an, vor allem bei den jungen Wählern. Aber Gefühle sind kein Programm, Reformen brauchen konkrete Maßnahmen. An seinen Taten wird er gemessen werden und sowohl Melenchon als auch Le Pen und die Konservativen, die zusammen mehr als zwei Drittel der Wähler stellen, sehen Macron als Zögling Hollandes („nur schlimmer“, wie Melenchon sagt) und wollen Oppositionspolitik machen.
Der Schatten der Vierten Republik
Aufgrund des Wahlsystems kann Le Pen mit rund 40 Abgeordneten rechnen, Melenchon mit 50. Die große Mehrheit (450 bis 500) wird zwischen der Parteiensammlung unter dem Etikett „En Marche“ und den Konservativen aufgeteilt werden. En Marche ist dabei, die Sozialistische Partei zu ersetzen und bürgerliche Elemente aus der Mitte aufzusaugen. Wie viele Abgeordnete diese linksliberale Bewegung in der Nationalversammlung haben wird, ist heute völlig ungewiss.
Sicher ist: Die Gefühlsparty ist vorbei. Für Macron beginnt der Abstieg in die Niederungen der Politik. Auch der republikanische Monarch muß sich der Mehrheit beugen, denn „die Verfassung, die wir haben […] heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist.“ So sagten es schon die alten Griechen. Macron könnte natürlich versuchen, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Aber wechselnde Mehrheiten ersetzen nicht das fehlende Vertrauen und dieses Manko kann er nur einmal mit der Auflösung des Parlaments beantworten.
Wenn die Konservativen keine bestimmende Mehrheit gewinnen, um Macron auf ihre programmatische Reformlinie zu zwingen, stehen Frankreich labile Verhältnisse ins Haus. Der Schatten der Vierten Republik kommt auf. Damals hielten sich Regierungen kaum länger als acht Monate (25 Regierungen zwischen 1945 und 1958), eine sogar nur zwei Tage.
Macron muß seine Basis erweitern
Macron hat bis zu den Wahlen Mitte Juni die Chance, seine Basis zu erweitern durch Maßnahmen und Absprachen. Der große programmatische Gegensatz bleibt. Seine Europa-Begeisterung und sein Hang zur Globalisierung und zum Multikulturalismus aber werden es ihm schwer machen, die Mehrheit der Franzosen zu gewinnen. Da müßte er in Brüssel und Berlin fordernder und auch als unkonventioneller Neuling auftreten. Die Gefahr ist groß, daß seine Bewegung einen Kurs einschlägt, den heute schon manche Beobachter so qualifizieren: Vorwärts in die Vergangenheit.
Quelle: Junge Freiheit