Iswestija: Schottland erpresst London

 

Die britische Ministerpräsidentin Theresa May müsste wohl gewisse Zugeständnisse an Schottland akzeptieren, falls die Schottische Nationalpartei (SNP) nach der bevorstehenden Parlamentswahl 59 Sitze bekommt, schreibt die Zeitung „Iswestija“ am Donnerstag.

 

 

Die britische Regierungschefin gab zwar unlängst zu verstehen, sie würde die Schotten nicht ewig Referenden über ihre Unabhängigkeit organisieren lassen. Die schottische Erste Ministerin Nicola Sturgeon ist jedoch anderer Meinung: Nach ihren Worten müsste May nachgeben, falls die SNP die Mehrheit der 59 Schottland zustehenden Sitze im britischen Parlament erhalten würde. Laut vorläufigen Umfrageergebnissen dürfte sie jedoch mit nur 56 Sitzen rechnen. Die Abstimmung findet am 8. Juni statt.

Beim SNP-Pressedienst verlautete, Schottland müsste die Möglichkeit bekommen, sich über seinen weiteren Verbleib im Vereinigten Königreich zu entscheiden, wenn die Bedingungen des Brexits bekannt geworden seien. Ein Sprecher betonte, dass Sturgeon sich klar geäußert habe:

„Unsere Zukunft sollte von uns und nicht für uns bestimmt werden.“

Bei einem Volksentscheid 2014 hatten sich 45 Prozent der Schotten gegen den Austritt aus Großbritannien geäußert. Laut jüngsten Umfragen ist diese Zahl inzwischen um höchstens ein Prozent gestiegen. Allerdings droht Sturgeon London mit einem neuen Referendum, betont allerdings, dass man zunächst die Verkündung der Brexit-Bedingungen abwarten müsse.

Alexander Tewdoi-Burmuli vom Lehrstuhl für europäische Integration an der Moskauer Hochschule für internationale Beziehungen erläuterte, dass die SNP tatsächlich auf einem neuen Volksentscheid bestehe und dafür alle politischen und rechtlichen Gründe habe. Erstens hätten sich die Schotten beim Brexit-Referendum vor einem Jahr dagegen geäußert, und zweitens hätte es ein solches Referendum schon gegeben, so dass London keinen Grund habe, eine neue Abstimmung in Schottland zu verweigern.
In Edinburgh hat man nämlich Angst vor dem Szenario eines „harten Brexits“, bei dem Großbritannien aus dem einheitlichen europäischen Markt ausgeschlossen werden könnte. Der Bruch mit London würde negative Folgen für die schottische Wirtschaft haben, denn unter anderem könnte Schottland dann das britische Pfund Sterling nicht behalten. Deshalb stellt sich die Frage nach der Eigenständigkeit seiner Wirtschaft. Und während Großbritannien durch den Brexit kurzfristig verlieren könnte, wäre der Schaden durch den „doppelten Ausstieg“ für Schottland umso größer.

Der Leiter des Zentrums für komplexe europäische und internationale Studien bei der Moskauer Higher School of Economics, Timofej Bordatschow, zeigte sich überzeugt, dass Schottland zwar kaum Chancen auf den EU-Beitritt habe, aber die Behörden in Edinburgh würden diese Geschichte nutzen, um für Schottland möglichst günstige Bedingungen als Teil des Königreichs außerhalb der EU auszuhandeln. Und sollte die SNP am 8. Juni tatsächlich bestens abschneiden, müsste Theresa May die Zugeständnisse an die Schotten akzeptieren.
Egal wie, aber die Brexit-Verhandlungen zwischen London und Brüssel beginnen erst elf Tage nach der britischen Parlamentswahl. Ob das neue schottische Referendum stattfindet, hängt größtenteils davon ab, inwieweit London beim Brexit günstige Bedingungen für sich aushandeln kann. Außerdem wollen die meisten Schotten offenbar doch weiter im Königreich bleiben. Aber nach den Brexit-Gesprächen könnte sich die Situation ändern.

 

Quelle: Sputnik