Moskau. Das auch innerhalb der EU und erst recht in den USA umstrittene russisch-europäische Pipelineprojekt „Nord Stream 2“ ist geostrategisch von großer Brisanz. Es würde die Stellung der russischen Energieversorgers Gazprom auf dem europäischen Markt weiter stärken und gleichzeitig die Westeuropäer, allen voran Deutschland, gegenüber unsicheren Drittländern wie Polen und der Ukraine klar privilegieren.
Auch für Kremlchef Putin hat das Projekt deshalb Vorrang, weshalb er jetzt in Moskau die Gelegenheit zu einem persönlichen Treffen mit Shell-Chef Ben van Beurden wahrnahm, um dabei für „Nord Stream 2“ zu werben; Shell ist neben der österreichischen OMV, Engie, Uniper und Wintershall einer der Anwärter auf eine Partnerschaft mit Gazprom beim Bau der Pipeline Nord Stream 2, die ab 2019 in Betrieb gehen soll und auf eine Kapazität von 55 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich ausgelegt ist.
Die vier europäischen Energieversorger haben jüngst Gazprom die Bereitstellung von 4,75 Milliarden Euro (was der Hälfte der geplanten Baukosten entspricht) an langfristigen Krediten zugesichert, die potentiell später in Anteile umgewandelt werden können. Doch nun ist das Abkommen durch eine Gesetzesinitiative des US-Senats gefährdet: die Senatoren wollen größere Investitionen in russische Pipelines rundweg verbieten und andernfalls mit Strafen belegen.
In Berlin und Wien hat dies bereits zu Verstimmung geführt. In einer gemeinsamen Erklärung verbaten sich der österreichische Bundeskanzler Kern und Bundesaußenminister Gabriel die Einmischung aus Übersee. Es gehe in dem Fall offensichtlich darum, Konkurrenz für amerikanisches Flüssiggas auszuschalten, kritisierten die beiden. Bundeskanzlerin Angela Merkel pflichtete später ihrem Außenminister in der Kritik bei.
Shell-Chef van Beurden bekräftigte trotz der drohenden Sanktionen beim Treffen mit Putin das Interesse an der Erweiterung der Ostseepipeline, die die „Energiesicherheit Europas gewährleisten“ werde. Dennoch will sich die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 gegen einen möglichen Absprung einiger Europäer absichern: russischen Medien zufolge hat sie Konsultationen über den Einstieg chinesischer Banken als Kreditgeber des Projekts geführt.
Der Vizedirektor des russischen Fonds für nationale Energiesicherheit, Alexej Griwatsch, kommentierte die Berichte mit den Worten: „Nord Stream 2 bietet eine gute Rendite und wenig Risiko. Chinesische Banken dürften sich dafür interessieren.“ Auch der Direktor des Moskauer Instituts für aktuelle Wirtschaft, Nikita Isajew, glaubt an Unterstützung aus dem Osten. Das Interesse der Chinesen an Nord Stream 2 sei aus politischen Erwägungen her echt. „China versucht derzeit im Kampf gegen die USA die Achse Peking-Berlin aufzubauen und nach Möglichkeit dabei Moskau einzubeziehen“, sagte er.
Auch Kremlchef Putin gab sich bei seinem Treffen mit dem Shell-Chef zuversichtlich. Die Erweiterung der Ostseepipeline habe alle „Aussichten auf Erfolg“, sagte er. Er betonte auch, daß es sich um ein rein „kommerzielles Projekt“ handle, das darauf abziele, Europas steigenden Energiebedarf zu decken. „Mir scheint, wir müssen nur in absoluter Freundschaftlichkeit einen Dialog mit unseren Partnern führen“, resümierte Putin. Dabei ist auch dem russischen Präsidenten die Brisanz des Vorhabens bewußt – und daß weiter mit Störfeuer aus Übersee zu rechnen sein wird.
Quelle: Zuerst