
von Wladislaw Sankin
Am Sonntag gewann die deutsche Mannschaft das Confed-Cup-Finale, das in Russlands nördlicher Metropole Sankt Petersburg ausgetragen wurde. Zum ersten Mal überhaupt und vielleicht auch zum letzten Mal holt Deutschland diesen Pokal, der 2021 nicht mehr ausgespielt werden soll.
Was aber gibt es dabei für Deutschlands Mainstreammedien zu kommentieren? Ja, natürlich – Missstände bei den Russen, nun auch beim Bau der Stadien. Ein Großevent in Russland ist immer eine schöne Gelegenheit für deutschen Medien, sich wieder einmal als Wirtschaftsprüfer oder Arbeitsrechtler zu profilieren. Die Headlines versprechen Altbewährtes: «Sklaven, Gigantomanie – Gastfreundschaft» (n-tv), «Der Skandal-Stadien von Sankt Petersburg» (Spiegel). Und vieles mehr…
Doch zwei Kommentare stechen hervor. Sie fangen fast wortgleich an:
Confed-Finale in St. Petersburg. Weit über zehntausend Chilenen feuern ihre Mannschaft an – die deutschen Fans sind kaum wahrnehmbar. Wenige sind angereist, und das, obwohl die Ostseestadt quasi um die Ecke liegt», klagt Thomas Fasbender in Ostexperte.de.
Deutschland hat ein internationales Turnier gewonnen, aber deutsche Fans waren fast keine da. Auch aus anderen Ländern kam kaum jemand, Chile und vielleicht Mexiko ausgenommen», so das Echo von Oliver Fritsch auf zeit.de.
Doch dann entzweien sich die beiden Kommentare.
Der erste gibt für das Ausbleiben der deutschen Fans «einer Handvoll Menschen aus Fleisch und Blut – Korrespondenten, Redakteure, Moderatoren» die Schuld. Überkritisch, einseitig negativ und herabwürdigend seien sie. Mit spitzem Griffel listen sie die Defizite der russischen Demokratie, der russischen Wirtschaft, der russischen Gesellschaft auf. Und da es kein Wunder, dass vielen dann die Lust vergeht, sich in die «asiatische Despotie» zu verirren.
Hasstriefende Berichterstattung auch 2018 zu erwarten
Thomas Fasbender, der Pessimist, erwartet deswegen auch zur WM 2018 keinen Ansturm der Fans aus Deutschland, denn die pfiffigen Journalisten werden in dem großen Land auch da noch irgendwo einen «tropfenden Wasserhahn» finden können. Das Trauma nach der skandalösen Berichterstattung zu den Olympischen Spielen sitzt tief. Wenn nun auch schon das deutsche Aushängerschild Deutsche Welle Profi Benedikt Höwedes vom Russland-Besuch abriet — natürlich nur das Wetter meinend -, dann wird es auch im nächsten Jahr nicht anders sein.
https://twitter.com/dw_sport/status/876765242650480642
Das zweite Kommentar, der am Montag etwa 12 Stunden später erschien, war hingegen von einem ganz anderen Ton erfüllt. «Leute, kommt nach Russland zur WM», rief der Autor, obwohl die «Zeit» in Sachen Russland-Kritik den anderen Medien fast in nichts nachsteht. Hat der Autor in der Zwischenzeit vielleicht sogar Fasbender gelesen und sich das Unbehagen des bekannten Autors zu Herzen genommen?
Man könnte es fast meinen. Der Autor schwärmt von Sankt Petersburg, der «funkelnden Pracht am Finnischen Meerbusen, dem Venedig des Nordens», einer der schönsten Städte der Welt. Von Moskau mit seinem Roten Platz (sowieso ein Muss) und «schnuckeligen Ecken» wie der Lower East Side. Auch von Kasan, «wo Moschee und Kirche friedliche Nachbarn sind».
Fritsch preist auch Kultur, Essen, die schnelle und schöne Metro, günstige Leihwagendienste. Sogar die Hotels und die Sicherheit:
Es gibt keine Bären, Betrunkene und Hooligans auf den Straßen», lobt der «Zeit»-Autor.
Genuss mit Gewissensspiegel: der «Zeit»-Katechismus für die Russlandreise
Und, was besonders löblich ist: Man braucht für solche Sicherheit «keine Maschinengewehre auf den Tragflächen der Flugzeuge». Also man darf, man soll sogar nach Russland kommen, versöhnt der Autor den imaginären Leser, der nach seiner Vorstellung im Streit mit den Russen liegen soll. Denn
schließlich sind Russen und Deutsche einander nicht unähnlich.
Doch so viel Versöhnung darf es natürlich nicht einfach zum Nulltarif geben. Die «Zeit» ist ein politisches Medium und wenn jemand erwartet hätte, Herr Fritsch hätte es den Deutschen ohne Vorbedingungen erlaubt, nach Russland zu reisen, der täuscht sich. Und so liest sich sein Leitfaden für den Umgang mit dem Land fast wie eine kirchliche Fastenordnung.
Man darf «die schönste Musik» vom weltberühmten Dirigenten Walery Gergiew im St. Petersburger Mariinski-Theater nur dann anhören, wenn man diesem für vier Stunden «seine politischen Äußerungen» [Pro-Putin – Red.] gönnt.
Man darf der russischen Mannschaft nur dann zuschauen, wenn man die Augen darob zudrückt, dass sie «möglicherweise gedopt» wurde.
Und überhaupt zur WM reisen sollte man nur, wenn man es selbst bei den «Menschenrechts- und Arbeitsrechtsverletzungen des Hausherrn Putin» für wenige Tage nicht so genau nimmt. Aber eigentlich besser wäre vielleicht doch, zu Hause zu bleiben, weil
es natürlich gute Gründe gibt, die Fußball-WM im kommenden Jahr zu verweigern.
Oliver Fritsch wird es womöglich demjenigen nicht übelnehmen, der es vorziehen sollte, die WM trotz dieser Einladung zu ignorieren: Zu viel an Augenzwinkerei und Vorbedingungen wie «Kritik an Russland ist wichtig» stellt der Autor, auch wenn er anscheinend mit seinem Artikel darum bemüht ist, die Neugier in Bezug auf das Land beim Lesen zu erwecken.
Übermäßiges Social Engineering verdirbt das Geschäft zur WM-Zeit
Ein Großevent wie die WM ganz ohne Begeisterung bei deutschen Fans — so etwas ist auch für die unabhängigen und kritischen deutschen Volkserziehungsmedien nicht geschäftsfördernd. Sauertöpfische Kritik und volkspädagogischer Maßregelungsdrang alleine verkaufen sich halt nicht immer gut. Deshalb waren 2006 in den Monaten des «Sommermärchens» trotz erheblicher Vorbehalte aufseiten der GEW schwarz-rot-goldene Fahnenmeere erlaubt, deshalb bastelt man jetzt offenbar in Medien wie der «Zeit» an einem Konzept, um auch dem loyalen Konsumenten 2018 ein dosiertes Maß an WM-Fieber ohne allzu schlechtes Gewissen zu ermöglichen.
Inwieweit die Deutschen bei ihrer Reiseplanung solche Artikel beachten oder nicht, ist schwer zu sagen. In den ersten neun Monaten des Jahres 2016 vermeldete die russische Tourismusbehörde fast 500.000 Einreisende aus Deutschland, wobei die Deutschen den größten Anteil aller Ausländer stellen, die zu Businesszwecken kommen. Sie sind die zweitgrößte Touristengruppe in Russland nach über einer Million Chinesen.
Als Reiseziele sind dabei die Städte Moskau und St. Petersburg die Spitzenreiter. Aber auch Kasan und die Städte des so genannten Goldenen Rings sind sehr beliebt. Auch Wanderungen und Abenteuerreisen in Russland erfreuen sich steigender Beliebtheit. Zur WM 2018 erwarten die Veranstalter über eine Million Besucher aus aller Welt.
Quelle: RT