
In dem Interview mit der WOZ schildert David Cornut, Kampagnenverantwortlicher bei der Schweizer Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die Erkenntnisse aus seiner Recherchen zur aktuellen Lage der Jesiden im Nordirak. Im August 2014 fielen tausende Kämpfer des IS in die Sindschar-Berge im Nordirak ein. Über 10.000 Menschen starben in den ersten Tagen. In den folgenden Monaten nahm die Terrormiliz etwa 7.000 Frauen und Kinder gefangen.
Vor allem jesidische Frauen und Mädchen haben die Terroristen versklavt, vergewaltigt und gefoltert. Rund eine halbe Million Jesiden flohen in die kurdischen Gebiete im Irak und in Syrien. Seitdem ist es, was dieses Thema betrifft, wieder ruhiger geworden. Zwar wird der IS militärisch immer weiter abgedrängt, doch noch immer sollen ungefähr 3.000 Jesiden in seiner Gewalt sein. Amnesty International hatte 2014 die Massaker an den Jesiden als erste internationale Organisation dokumentiert und öffentlich gemacht.
Befreiung spült meist Geld in die Kassen der Terroristen
In dem Interview zeichnet Cornut ein erschütterndes Bild. Frauen und Mädchen sollen von IS-Mitgliedern jahrelang gefoltert und vergewaltigt worden sein. Von denen, die entkommen konnten, sollen viele immer noch Selbstmordgedanken haben. Die Befreiung von Gefangenen funktioniert vor allem durch die Infiltration der Kommunikationskanäle des IS. Frauen und Kinder würden über Instant-Messaging-Dienste gehandelt – so könne man sie ausfindig machen. Doch die Befreiung sei teuer. Cornut erzählt von einer «bettelarmen Familie», die 21.000 US-Dollar auftreiben musste, um ein Mädchen zu befreien. Das Geld geht an Schmuggler.
Cornut erläutert weiter, dass die IS-Kommunikation mehrheitlich nicht auf Arabisch, sondern auf Englisch geführt werde, da so viele Ausländer unter den Extremisten seien. Die Jesiden würden für einen Kaufpreis zwischen 5.800 und 50.000 US-Dollar angeboten. Über ein siebenjähriges Mädchen soll es geheißen haben, dass es gut zuhören könne und den Koran kenne. Dazu soll es Fotos gegeben haben, auf denen das Mädchen wie eine Prostituierte geschminkt und zu obszönen Stellungen gezwungen worden sei. Laut Cornut sei das kein Einzelfall. Gegenüber der WOZ erklärte er:
Der IS ist eben nicht nur eine bewaffnete Dschihadistengruppe, sondern auch ein Netzwerk von Pädophilen.
Amnesty International habe die Regierungen aller Länder, in die IS-Kämpfer zurückkehren, dazu aufgefordert, Informationen auszutauschen, um eine strafrechtliche Verfolgung zu ermöglichen. Das sei besonders jetzt relevant, weil es nach dem Verlust des IS-Kalifats so viele Rückkehrer gäbe wie nie zuvor. Doch die Rückkehrer würden in Europa meist lediglich als «Gefährder» behandelt.
Dabei haben sich viele schrecklichster Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Die jesidischen Aktivisten könnten dafür Beweise liefern»,
betont Cornut. Zudem kritisiert er, dass die Anti-IS-Koalition unter der Führung der USA in Rakka und in Mossul nach wie vor Sprengköpfe mit weißem Phosphor einsetze. Dies gefährde im erheblichem Masse auch die Zivilisten.
Völkermordabsicht des IS gilt als erwiesen
Es gäbe über eine halbe Million Flüchtlinge in der Region. Viele Familien bräuchten finanzielle Unterstützung, da sie sich durch das Freikaufen von Verwandten massiv verschuldet hätten. Eine ganze Generation sei in Gefahr. Jungen würden im Rahmen einer Gehirnwäsche mit Amphetaminen vollgepumpt, um aus ihnen Terroristen zu machen. Wenn sie befreit würden, gefährdeten sie oftmals sogar ihre eigenen Familien.
Laut Cornut hätten die Jesiden eine lange Geschichte der Verfolgung hinter sich. Sie seien gleichermaßen von Saddam Hussein als auch später von Al-Kaida gezielt angegriffen worden. Dann kam der IS. Ein UNO-Bericht aus dem letzten Jahr bestätige, dass es sich beim Vorgehen der Terroristen im juristischen Sinn um einen Genozid handelt. Cornut gegenüber der WOZ:
Das heißt, es kann nachgewiesen werden, dass der IS die Jesiden als Volk willentlich und planmässig zu vernichten versucht.
Er begrüße die kurzfristige materielle Hilfe der europäischen Staaten, diese sei wichtig, reiche aber nicht. Die internationale Gemeinschaft brauche auch dringend eine Strategie für die Nachkriegszeit, und dazu gehörten auch sozial und wirtschaftlich nachhaltige Projekte in der Region. Nur so könnten weitere Konflikte verhindert werden. Die Stabilisierung der Region sei im direkten Interesse der europäischen Staaten.
Quelle: RT