
Am 29. Juni tappte eine kleine Aufklärungsgruppe von Aufständischen nahe dem Örtchen Schelobok in die Falle. Von den sechs Soldaten kamen zwei angeblich bei einem Schusswechsel ums Leben, der Rest wurde gefangen genommen, berichteten ukrainische Medien. Der Fernsehkanal 1Plus1 war schnell vor Ort und zeigte Bilder eines Gefangenen, auf Knien stehend, die Augen mit Klebeband verbunden, direkt nach der Festnahme. Nach dem kurzen Verhör, drückte man ihm eine Zigarette in den Mund.
Dieses erste Verhör fand vor der Kamera statt. Man zeigte den Militärpass des Gefangenen: Wiktor Ageew, 21 Jahre alt, aus dem sibirischen Barnaul. Für die Ukraine ein sicherer Beweis für die angebliche russische Aggression. Die Meldung verbreitete sich schnell durch ukrainische und kremlkritische Medien. Demnach war Wiktor Ageew ein „Kontraktnik“, ein Söldner, der im Militäreinsatz in der Ukraine tätig war. Er hätte sogar die Nummer der lokalen Militärbehörde genannt, die ihn im südrussischen Nowocherkassk angeworben haben soll. RIA Nowosti sprach von einem „Kidnapping“ der Volkswehrangehörigen.
Ministerium: Anwerbung gab es nicht
Das russische Verteidigungsministerium reagierte nach einigen Tagen mit einer ausführlichen Stellungnahme, wonach es die von Ageew genannte Nummer der Behörde 65246 gar nicht gibt und der nach seiner Schilderung abgeschlossene Dienstvertrag gar nicht zustande kommen konnte. Die Leiter der Lokalbehörden seien nicht befugt, solche Verträge abzuschließen. Dem Vertrag soll ein einmonatiges Intensivtraining vorangegangen sein, was es auch nicht gegeben hat.
Laut Ministerium war Ageew ein Reservist. Denn er wurde im Jahr 2016 nach der Beendigung seines regulären Militärdienstes von seinem Dienst suspendiert. Alles andere sei ukrainische Propaganda. Die Lugansker Volksmiliz zählte Ageew als Militerdienstangehörigen in ihren Reihen. Demnach konnte er nur freiwillig in den Donbass gekommen sein.
Das bestätigte Ageew später, als er sagte, er kam in die Ostukraine, „um die Bevölkerung zu schützen“. Doch, was er vorfände, war ein echter Krieg. Er sprach auch über die Tötung von Ewgenij Erofeew, der gegen Nadeshda Sawtschenko im Mai 2016 ausgetauscht wurde. Der Anwalt von Erofeew widerlegte umgehend das Gerücht.
Es stand also auf jeden Fall fest, dass der 21-Jährige ein russischer Staatsbürger in der ukrainischen Kriegsgefangenschaft war. Das Außenministerium sicherte am 5. Juli zu, dass die Botschaft sich aktiv um das weitere Schicksal des Gefangenen kümmern wird.
Mutter lässt sich auf Interviews ein
Doch parallel zu den behördlichen Stellungnahmen nahm auch eine Parallelgeschichte ihren Lauf – die der Mutter des Gefangenen. Das regierungskritische Enthüllungsportal „Nowaja Gazeta“ begleitete Swetlana Ageewa, die 55-jährige Englischlehrerin aus einem Dorf in Sibirien, auf Schritt und Tritt. Mehrere Videointerviews tauchten in regelmäßigen Abständen im Netz auf.
Zunächst hätte sie keine Ahnung vom mutmaßlichen Einsatz ihres Sohnes in der Ukraine gehabt. Sie bezweifelte auch, dass sich russische Militärangehörige im Konflikt beteiligen würden. Nach wenigen Tagen flehte sie schon den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko an, ihren Sohn zu begnadigen.
Mein Kind hat einen schlimmen Fehler begangen, doch verzeihen sie ihm, Herr Poroschenko», sagte sie in ihrer Videoansprache, die schnell über YouTube verbreitet worden ist.
Schließlich fuhr sie selbst in die Ukraine. Sie erzählte, Russland hätte sie nicht daran gehindert, nur „eine angenehme männliche Stimme am Telefon“ hätte sie vor möglichen Gefahren der Reise gewarnt. Ein Korrespondent der „Nowaja Gazeta“ begleitete Swetlana Ageewa. Er berichtete, dass Swetlana Ageewa an der Grenze freundlich in Empfang genommen wurde, obwohl sie keinen Reisepass besaß. Der Vize-Verteidigungsminister Anatoly Gritzak kümmerte sich höchstpersönlich um den Fall.
Es war soweit. Die Mutter war mit ihrem Sohn vereint. Dieser gab eine kleine Pressekonferenz. Die deutsche Zeitung Bild war auch dabei, als „einziges westliches Medium“. Sie schrieb, hier sitze der Beweis, dass der „Kreml-Führer Waldimir Putin (64) Krieg in der Ukraine führt“.
Während der Pressekonferenz wird Swetlana Ageewa zu ihrem Sohn gelassen. Sie umarmen sich und sie flüstert:
Mein Kind, mein Kind, mein Söhnchen, mein Kindchen.»
Einige Minuten sitzen sie zusammen. Dann geht sie. Und ihr Sohn sagt das, was die Ukraine und der Westen von ihm hören wollen:
Ich bin russischer Soldat.»
Die Bild-Zeitung hält nur noch fest, dass der junge Mann sehr unsicher wirkt und undeutlich spricht. Auch das Boulevardmedium gibt indirekt zu: Dieser Krieger taugt eigentlich nichts. Er ist kein stählerner Profi, keine harte Nuss, eher ein Bubi mit Fusselbärtchen und Rest-Akne. Dennoch, frohlockt Bild, er werde in der Ukraine wegen Kriegsverbrechen bezichtigt. Die ukrainische Seite spricht gar vom „Terrorismus“.
Gerade bei manchen Internetnutzern in Russland wirft diese zur Schau gestellte Geschichte Fragen zur moralischen Verfassung der russischen Militärangehörigen auf – ob sie nun als Freiwillige oder ehemalige Soldaten im Donbass sind. Auf jeden Fall wird die Ukraine den Fall soweit es geht propagandistisch ausschlachten.
Quelle: RT