Ob Russland lieber Europa als China wählt: Kritik an Gabriels Analyse

 

Eine „vorsichtige Zuwendung der Russen zu Europa“ geht laut Sigmar Gabriel darauf zurück, dass sich Moskaus Hoffnungen in Sachen China und Trump nicht bewahrheitet hätten. Doch diese Analyse ist nach Ansicht der russischen Onlinezeitung vz.ru kaum stichhaltig.

Vz.ru bezieht sich auf das jüngste „Stern“-Interview des deutschen Außenministers. Dieser sagte nämlich zum Thema Russland: „Wladimir Putin hatte die Hoffnung, mit China einen Partner auf Augenhöhe zu finden. Das hat sich nicht bewahrheitet. Die Chinesen sagen sehr selbstbewusst: Es gibt eigentlich nur noch zwei Supermächte, das sind wir und die Amerikaner. Die zweite Hoffnung der Russen, dass sie mit der neuen US-Regierung besser zurechtkämen als mit der Regierung Obama, die sie für zu unberechenbar und für zu weich gehalten haben, hat sich ebenfalls nicht bewahrheitet. Deshalb gibt es wieder eine vorsichtige Zuwendung der Russen zu Europa.“

Die russische Onlinezeitung kommentiert, Gabriels Analyse enthalte einen Fehler, und erläutert: „Russland wandte sich nicht einfach so von Europa ab. Dies geschah, nachdem sich Russland im Jahr 2014 davon überzeugt hatte, dass Europa geopolitisch völlig unselbständig ist. Bei aller harten Konfrontation mit dem Westen unterschied man hierzulande immer zwischen Europa und den USA – oder, genauer gesagt, zwischen Kontinentaleuropa und den Angelsachsen. Man war sich darüber im Klaren, dass Kontinentaleuropa bei seiner Druck-Politik gegen Russland sich der Initiative der Angelsachsen fügt.“

„Die Zuwendung zu China – ebenso wie die Wendung nach Osten und nach Süden im Allgemeinen – war dabei keine bloße Reaktion auf den Konflikt mit dem Westen, sondern auch eine völlig bewusste geschichtliche Wahl des Kremls: Für uns war es längst an der Zeit, wieder eine Russland-zentrische Politik zu betreiben sowie die übermäßige Orientierung am Westen und die Abhängigkeit von ihm loszuwerden. Diese war ursprünglich noch unter Peter I. zustande gekommen, doch erst in der postsowjetischen Zeit krankhaft geworden“, so der Kommentar.

Viele Interessen und Ziele Russlands stimmen laut vz.ru mit denen Chinas überein: „Dies führte natürlicherweise zu einem Ausbau der Kooperation der beiden Länder in den verschiedensten Bereichen – vom rein wirtschaftlichen bis hin zum militärisch-geopolitischen. Gabriels Meinung, wonach Moskau keine Partnerschaft auf Augenhöhe mit China bekommen habe, ist in diesem Sinne tief fehlerhaft. Was er China zuschreibt („Es gibt eigentlich nur noch zwei Supermächte, das sind wir und die Amerikaner“), hatten eben die Amerikaner den Chinesen Anfang des laufenden Jahrzehnts angeboten. Schon damals fiel China nicht auf diesen Trick rein – erst recht wird es jetzt nicht darauf reinfallen.“

Zwar sei Russland wirtschaftlich nicht so gewichtig wie China, „doch erstens bedeutet eine wirtschaftliche Ungleichheit noch keine Ungleichheit der Beziehungen. Wirtschaftlich bleibt Russland gegenüber China zurück, außenpolitisch liegt es aber vorn. Außerdem kooperieren die beiden Länder erfolgreich in den verschiedensten Projekten – von militärischen bis hin zu energiewirtschaftlichen. Zweitens haben die strategischen Interessen Russlands und Chinas sehr viel Gemeinsames, was die beste Voraussetzung für gleichberechtigte Beziehungen ausmacht. Probleme, Verzögerungen und Ungereimtheiten beim konkreten wirtschaftlichen Zusammenwirken zwischen Russland und China sind unvermeidlich und darauf zurückzuführen, dass eine reale Arbeit von einem wirklich riesigen Ausmaß beginnt.“

In Bezug auf Moskaus Politik gegenüber Washington schreibt vz.ru: „Tatsächlich rechnet Putin nach wie vor damit, dass die neue US-Administration darauf hinarbeiten wird, den Widerstand zu lockern und auf die harte Konfrontationspolitik gegen Russland zu verzichten. Doch fast die wichtigste wirtschaftliche Auswirkung eines solchen Wandels wäre eben ein Rückgang des US-Drucks auf Europa. Dieser Rückgang würde den Europäern ermöglichen, ihre Interessen zu verteidigen – d.h. damit zu beginnen, die Sanktionen gegen Russland abzubauen.“

Wirtschaftlich erhoffe sich Russland von Trump also eine Wiederkehr normaler Bedingungen für den europäisch-russischen Handel. Eigentlich habe sich Russland von Europa nie abgewendet. Russland habe Europa immer eine gleichberechtigte Zusammenarbeit angeboten. Europa habe aber dem US-Diktat nachgeben müssen: „Wir erklärten sofort unsere Bereitschaft, auf die Zeit zu warten, wenn Europa wieder in der Lage sein wird, seine Politik selbständig zu bestimmen und seine Interessen zu verteidigen. Falls sich diese Zeit nähert, werden wir mit Vergnügen die für uns günstigen Wirtschaftsprojekte wiederaufnehmen – aber nicht auf Kosten unserer Partnerschaft mit China.“

 

Quelle: Sputnik