Die Operation zur Befreiung Rakkas von den Extremisten des „Islamischen Staates“ hat die Zukunft der Regelung der Syrien-Krise auf der regionalen und globalen Tagesordnung in den Vordergrund rücken lassen, schreibt die „Nesawissimaja Gaseta“ am Mittwoch.
Die von US-amerikanischen Denkfabriken aufgegriffene Idee zur Bildung einer kurdisch-arabischen Allianz im Nordosten Syriens wird von den Demokratischen Kräften Syriens umgesetzt, wo die kurdischen Selbstverteidigungskräfte dominieren. Gerade diese Kräfte wurden von den USA als Verbündete im Kampf gegen den IS am Boden gewählt. Eine Zeitlang sagte Washington, dass die Amerikaner nach dem Ende der Operation in Rakka dieses Gebiet verlassen würden. Doch die Kurden werden Waffen und Technik zur Gewährleistung der Sicherheit in den eingenommenen Gebieten brauchen. Rakka ist eine von Arabern besiedelte Stadt. Die Loyalität der Einwohner gegenüber den von Kurden geprägten Demokratischen Kräften Syriens steht infrage. In diesem Zusammenhang ist die Präsenz der Amerikaner für einige Zeit notwendig, um mögliche negative Folgen zu verhindern. Zudem statten die Amerikaner aktiv die Stützpunkte und andere Militärinfrastruktur auf den von syrischen Kurden kontrollierten Gebieten aus.
Allerdings wird vieles davon abhängen, ob US-Präsident Donald Trump von der notwendigen Präsenz der USA in diesem Gebiet überzeugt werden kann. Wie sieht die Strategie zum Abzug der USA aus, und wird die Unterstützung der Kurden in Syrien vorteilhaft sein? Diese Frage ist besonders aktuell, weil Washington ansonsten versuchen wird, die Beziehungen zu Ankara zu normalisieren, und dabei deutlich mehr gewinnen wird. Einige US-Experten betonen die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines einheitlichen politischen Raums in Syrien via Dialog der Kurden mit Damaskus bei Unterstützung vonseiten Moskaus. Unter diesen Bedingungen könnten die USA die Verantwortung und Kosten für ihre Kräfte in Syrien vermeiden. Andere Experten sind der Meinung, dass der IS nach dem Abzug der US-Truppen wieder erwachen könnte. Die Beibehaltung der US-Präsenz soll als vorbeugende Maßnahme und Abschreckung des Irans betrachtet werden. Damit würde vom Beschluss Trumps die Zukunft Syriens abhängen.
Für Moskau ist es wichtig, eine Strategie zum Abzug aus Syrien auszuarbeiten. Die direkte Einbeziehung Russlands in die Syrien-Krise 2015 wurde von Erklärungen begleitet, dass Moskau die Aufrechterhaltung einer Verbindung zwischen Damaskus und den syrischen Kurden anstrebe. Russland unterstützte die Kurden diplomatisch und lobbyierte die Teilnahme des PYD-Chefs Saleh Muslim am Verhandlungsprozess. Die Position Moskaus besteht in der Aufrechterhaltung der territorialen Integrität Syriens und in der Herausbildung des künftigen Staatsaufbaus durch alle Konfliktseiten, darunter auch Kurden, via Verhandlungen. Der von Russland bei den innersyrischen Verhandlungen vorgelegte Verfassungsentwurf sah die Schaffung einer breiten kulturellen Autonomie für sie vor. Das betont das Interesse Russlands an der Aufrechterhaltung der Integrität Syriens bei der Gewährleistung der Rechte der Kurden.
Im März 2017 wurde es unter russischer Beteiligung geschafft, eine Vereinbarung zur Übergabe eines Gebiets westlich von Manbidsch durch die Demokratischen Kräfte Syriens an syrische Regierungskräfte zu erzielen. Dies ermöglichte die Einrichtung einer Pufferzone zwischen den protürkischen Gruppierungen des Euphrat-Schilds und den Demokratischen Kräften Syriens. Ankara musste von der Offensive in den Osten Abstand nehmen, was für Damaskus, Kurden und die USA vorteilhaft war. Darüber hinaus wurde mit dem Vorrücken der syrischen Armee in den Osten der Provinz Aleppo erreicht, einen Logistik-Korridor zwischen den von Kurden und der Regierung kontrollierten Gebieten zu eröffnen. Damit wurde das Fundament für die Wiederherstellung der Wirtschaftsverbindungen zwischen den syrischen Regionen gelegt.
Am 17. März erklärten die Kurden einseitig die Gründung einer föderativen Region im Norden Syriens, die nicht von innersyrischen und äußeren Kräften anerkannt wurde. Die offizielle Position der syrischen Kurden sieht eigentlich nicht die Unabhängigkeit als Ziel vor. Mit umfassender Unterstützung durch die USA und die Offensive auf Rakka erstreben sie de facto künftige Vereinbarungen mit dem Regime über die kurdische Autonomie. Russlands Pragmatismus und die Kontakte mit den kurdischen Vertretern am Boden ermöglichen die Anpassung an verschiedene Szenarien, unabhängig vom Status der kurdischen politischen Gebilde. Bei einem richtigen Herangehen kann Moskau zusätzliche Hebel in der Region bekommen.
Die Kurden begreifen sehr wohl den zeitweiligen Charakter der Nahost-Allianzen. Nach der Befreiung Rakkas riskieren sie den Verlust der Unterstützung der USA. Die Aufrechterhaltung der Kontakte zu Russland ermöglicht Vereinbarungen mit dem Regime und den Schutz gegen die Türkei. Doch vieles wird von dem Beschluss der USA nach der Befreiung Rakkas und der Fähigkeit Moskaus abhängen, den politischen Prozess zur innersyrischen Regelung in Gang zu setzen.
Quelle: Sputnik