Der Chef der Libyschen Nationalen Armee, General Chalifa Haftar, hat sich am Montag in Moskau mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow getroffen, schreibt die Zeitung „Kommersant“ am Dienstag.
Bei den Gesprächen ging es unter anderem um Militärhilfe für die Libysche Armee. Der Besuch Haftars fand vor dem Hintergrund der eskalierenden Lage in Libyen statt, die durch den Beschluss der italienischen Behörden ausgelöst wurde, Kriegsschiffe vor die libysche Küste zu entsenden. Laut „Kommersant“ wollen die Behörden in Moskau, die für die Fortsetzung des Dialogs zwischen Haftar und seinem Hauptopponenten, dem Vorsitzenden der libyschen Einheitsregierung, Fajes al-Sarradsch, eintreten, im Herbst die beiden Konfliktparteien zu direkten Gesprächen nach Russland einladen.
Die neue Krise in Libyen begann, kurz nachdem sich die einander bekämpfenden Seiten auf Annäherungskurs befanden. Am 25. Juli hatte in Paris unter Vermittlung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des UN-Sondergesandten für Libyen, Hassan Salame, ein Treffen zwischen Haftar und al-Sarradsch stattgefunden. Dabei einigten sich die beiden Kontrahenten auf einen Waffenstillstand sowie landesweite Wahlen in Libyen im Frühjahr 2018.
Doch fast unmittelbar nach dem Pariser Treffen teilte der italienische Premier Paolo Gentilloni mit, dass Tripolis Rom offiziell um technische Unterstützung im gemeinsamen Kampf gegen die Flüchtlingsschleuser im Mittelmeer gebeten habe. Es handelt sich um Widerstand gegen illegale Einwanderer, die aus Libyen nach Europa gelangen wollen. Nach UN-Angaben geht es um mehr als 114.000 Flüchtlinge, die seit Jahresanfang bis 30. Juli das Mittelmeer passiert haben — 85 Prozent davon strandeten zuerst in Italien.
Die italienische Regierung, die an der Lösung der Flüchtlingsfrage interessiert ist, schickte Schiffe seiner Marine vor die libysche Küste.
Doch nach der Ankunft von zwei Schiffen in libyschen Hoheitsgewässern wurde das Land von Protesten erfasst – auf Plätzen in Tripolis, Tobruk und Bengasi versammelten sich Menschen, die die Einheitsregierung zum Rücktritt aufforderten, weil sie nicht imstande sei, die nationale Souveränität zu verteidigen. In Bengasi verbrannten Protestierende die italienische Staatsflagge. Das in Tobruk ansässige Repräsentantenhaus verurteilte das Vorgehen Italiens. Haftar warf im Interview mit der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“ al-Sarradsch verantwortungsloses Verhalten vor und befahl seinen Kräften, sich gegen die ausländische Invasion zu wappnen. Auch die Anhänger von al-Sarradsch erinnerten ihn an die Kolonialzeit, die Massenbesiedlung Libyens durch Italiener unter der faschistischen Regierung von Benito Mussolini in den 1940er-Jahren.
Haftar bietet sich als wichtigster Garant des Rückgangs des Flüchtlingsstroms nach Europa an. Ihm zufolge sind seine Truppen bereit, die libysche Grenze auf einer Länge von 4000 Kilometern zu sperren, wobei der Bau von Militärlagern mit Garnisonen vorgesehen ist. Für diese Ziele bittet Haftar die EU um 20 Milliarden US-Dollar. Die Wahl seiner Kandidatur erklärt er damit, dass er jetzt den größten Teil Libyens kontrolliere, über eine vollständige Armee und viel billige Arbeitskraft verfüge.
Die Flüchtlingsfrage wurde während des Moskau-Besuchs von Haftar ebenfalls angeschnitten, obwohl vor allem andere Fragen besprochen wurden. Es ging um die Aussichten der politischen Regelung in Libyen, um die Rolle Russlands in diesem Prozess und um mögliche russische Hilfen für die Libysche Nationale Armee. Lawrow zufolge ist die Situation in Libyen weiterhin schwierig und die Bedrohungen durch Extremisten nicht gebannt. Der russische Chefdiplomat hob hervor, dass die russischen Behörden die Tendenz zur Intensivierung der politischen Regelung und einer vollständigen Wiederherstellung der Staatlichkeit in Libyen aktiv unterstützen würden.
Haftar sagte bei dem Treffen, dass er die Vermittlung Moskaus bei der Versöhnung der einander bekämpfenden Seiten in Libyen begrüßen würde.
Wie der Leiter der russischen Kontaktgruppe zur Libyen-Regelung, Lew Denjgow, betonte, wolle auch al-Sarradsch in der nächsten Zeit nach Russland kommen, vielleicht schon im September. Die russischen Behörden pflegen den Dialog mit allen Konfliktteilnehmern in Libyen. Die russischen Behörden rechnen damit, im Herbst in Russland direkte Verhandlungen zwischen Haftar und al-Sarradsch zu organisieren. Bislang gebe es keine konkreten Informationen, doch diese Frage werde unter anderem beim Treffen mit al-Sarradsch besprochen, so Denjgow.
Laut dem Politologen Grigori Kossatsch würden die Vermittlungsbemühungen Moskaus kaum zu einem ernsthaften Durchbruch bei den innerlibyschen Prozessen führen. „Libyen liegt im europäischen Verantwortungsbereich, wo Frankreich, Italien und andere EU-Staaten die erste Geige spielen.“ Es werde Russland unglaublich schwer fallen, seine Positionen in Libyen zu stärken, so der Experte.
Quelle: Sputnik