von Ali Özkök
Frankreich baut in Nordafrika und der Subsahara kontinuierlich seinen geopolitischen Einfluss aus. Die USA unterstützen das und fordern sogar ein noch beherzteres militärisches Eingreifen von Paris. Für den neuen Präsidenten Macron sind Friedensgespräche in Libyen ideal geeignet, um Frankreichs Weltgeltung aufzupolieren.
RT Deutsch sprach darüber mit dem Libyen-Experten und Doktoranden für Geopolitik an der französischen Universität Paris VIII, Jalel Harchaoui:
Frankreich lud Anfang August die beiden rivalisierenden Führer Libyens nach Paris ein und überzeugte beide Seiten von einem Waffenstillstand. Was sind die Interessen Frankreichs in dem kriegsgeschüttelten Land?
Ich bin mir nicht sicher, ob die Pariser Friedensgespräche wirklich in einen greifbaren Waffenstillstand in Libyen münden werden.UN-gestützter Premierminister Fayiz al-Sarradsch und General Chalifa Haftar unterschrieben den 10-Punkte-Plan von Macron nicht.
Um ihre Frage zu beantworten: Seit dem Besuch des ehemaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac 2004 in Tripolis bei Muammar al-Gaddafi entwickelte sich ein französisches Interesse an Libyen. Unabhängig von Italiens so genanntem historischem Erbe in Libyen hat Frankreich die Gelegenheit ergriffen, Waffen, Infrastruktur und Erdöl-Ausbeutung voranzutreiben. Libyen ist ein Schlüsselterritorium, um der Flüchtlingskrise beizukommen und nützlich für jeden, der in der afrikanischen Subsahara, dem Maghreb oder dem Nahen Osten aktiv ist. All das ist bedeutsam für Frankreich.
Waren das die Beweggründe, warum Präsident Macron erneut Libyen die Hand ausstreckte?
Keines dieser Argumente löste die forcierte Initiative des neuen französischen Präsidenten aus. In erster Linie musste Macron beweisen, dass die französische Diplomatie Gewicht hat. Mit einem neuen, jungen, mächtigen Mann im Élysée-Palast wollte Frankreich beweisen, dass es noch immer ein Mediator auf Weltklasse-Niveau ist. Andere geopolitische Krisen hätten es für Frankreich nicht möglich gemacht, schnell positiv klingende Schlagzeilen zu generieren. Deshalb entschied sich die Regierung Macron für Libyen.
In einem früheren Bericht erklärten Sie, dass Frankreich eine Allianz mit Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten eingegangen ist, die den libyschen General Haftar im Libyen-Konflikt aktiv unterstützen. Könnten Sie uns diese Dreier-Allianz mit Blick auf Nordafrika erläutern?
Unabhängig von Libyen unterhält Paris extrem enge Beziehungen zu den Führungen in Kairo und Abu Dhabi. Frankreich unterhält seit 2009 eine permanente Militärbasis in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Kairo und Abu Dhabi näherten sich zwischen 2013 und 2014 einander an. Zuvor bevorzugte Präsident Nicholas Sarkozy noch die Zusammenarbeit mit Katar. Das hat sich geändert. Alleine ab 2015 lieferte Frankreich an die Regierung Abdelfattah al-Sisis in Ägypten 24 Rafale-Kampfflugzeuge, zwei Mistral-Hubschrauberträger, eine Fregatte und Raketen im Wert von 5,2 Milliarden US-Dollar. Materielle Fragen sind bedeutsam in diesen Beziehungen, aber es herrscht auch eine ideologische Kompatibilität zwischen den Führern der drei Staaten.
Hinzu kommt ein weiterer Trend seit 2013. Die französische Unterstützung für den Machthaber des Tschad, Idris Déby, at in den letzten vier Jahren deutlich zugenommen. Bemerkenswert ist, dass Déby 2011 noch Sarkozys Krieg in Libyen vehement abgelehnt hatte. Wenn man geografisch einen Schritt zurückgeht und dann einen Blick auf Libyen wirft, dann erscheint General Chalifa Haftar wie ein natürlicher, logischer Freund von Paris in Libyen.
Übrigens ist die französische Haltung, versteckt hinter öffentlichen Stellungnahmen, nicht das Ergebnis der Haltung einer neuen Regierung. Sie ist weit älter als die Macron-Initiative.
Laut ihren Beobachtungen glauben Sie, dass Frankreich auf die eine oder andere Weise an sein «koloniales Erbe» andocken und wieder versuchen will, Nordafrika und die Subsahara zu dominieren?
Frankreich ist definitiv daran interessiert, Einfluss entlang der Maghreb-Sahel-Zone auszuüben. Es ist viel aktiver und engagiert als noch vor sechs oder sieben Jahren.
Das Verb «dominieren» ist interessant. Mit Blick auf den Maghreb-Sahel-Raum würde ich sagen, dass Frankreich eine regionale Ordnung fördert, die Frankreichs Sicherheits-, Politik- und Wirtschaftsinteressen dienlich ist.
Sollten Entscheidungsträger in Paris zu naiv und eindringlich herangehen, dann werden sie zweifellos als Akteure wahrgenommen, die andere beherrschen wollen. Das ist eine unbeabsichtigte Konsequenz aus einer unflexiblen außenpolitischen Haltung.
Beispielsweise verschlechterte sich die Sicherheitslage im Norden Malis zuletzt deutlich. Für die von Frankreich geführte Operation Barkhane ist kein Ende in Sicht. Die Einheit soll 4.000 Mann umfassen und kostet 500 Millionen Euro im Jahr. Viele scharfsinnige Analysten sagen, der Grund, warum Frankreich in der Region noch nicht versagt hat, ist, weil es einen engen, sicherheitsorientierten Ansatz verfolgt. Ein weiterer Punkt ist: Wenn du fremde Länder beeinflussen willst oder die Sicherheit dort garantieren willst, dann geht es nicht nur mit einer Peitsche und ohne Zuckerbrot. Paris achtet genau darauf.
Welcher Instrumente bedient sich Frankreich konkret, um seinen Wiedereintritt in Nordafrika für lokale Akteure interessant zu machen?
Zur Unterstützung der Militärkampagne von Haftar in der Kyrenaika entsandte Frankreich Militärberater, Agenten und Spezialeinheiten.
Darüber hinaus bietet es diplomatische Deckung für politische Akteure, die es in den diversen afrikanischen Konflikten unterstützt. Auf diese Weise kann Frankreich seine Partner international legitimieren. Zum Beispiel kritisierte die französische Politik aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate für ihre Völkerrechtsbrüche in Libyen. Das Emirat transferiert Waffen und unterhält in Ostlibyen eine Luftwaffenbasis.
In der Retrospektive: Denken Sie, dass die Nachwirkungen des Arabischen Frühlings der französischen Machtprojektion in Nordafrika zugute kamen?
Bleiben wir bei Libyen. Das wurde von französischen Autoritäten ab Ende 2013 keineswegs als Erfolg bewertet. Aber zur gleichen Zeit war Frankreich sehr glücklich darüber, jene inzwischen sehr sichtbare Sicherheitsrolle übernehmen zu können, die es heute in Afrika und im Nahen Osten spielt. Aus militärischer Perspektive sind viele Führungspersönlichkeiten stolz auf das hohe Ansehen, das die französischen Streitkräfte genießen. Fakt ist: Aus diplomatischer und sicherheitspolitischer Sicht hat Frankreich, wo es als Protagonist agiert, wenig vorzuzeigen. Dazu zählen Syrien, Nord-Mali, die Zentralafrikanische Republik oder die israelisch-palästinensische Friedenskonferenz, die vergangenen Januar in Paris stattfand. Keiner dieser Konflikte kann als Erfolg für Frankreich bezeichnet werden.
In welchem geopolitischen Kontext muss man die so genannte G5 Sahel Anti-Terroreinheit lesen, die 5.000 Soldaten aus Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und dem Niger vorsieht?
Paris versprach 2013, dass seine Operation Serval im Norden von Mali darin besteht, alle Sicherheitsverantwortung auf die in der Region heimischen Akteure zu übertragen. Viereinhalb Jahre danach ist diese Übergabe nicht erfolgt. Frankreich scheint mit der Operation Barkhane auf absehbare Zukunft festzuhängen.
Das primäre Motiv hinter der Pariser G5-Sahel-Initiative ist der Wunsch, irgendwie einen Weg zu finden, die Last mit anderen Staaten zu teilen.
Haftar reiste am 12. August nach Moskau, um den russischen Außenminister zu sprechen. Wie kann das Treffen im Rahmen des Machtgleichgewichts zwischen Russland und Frankreich in der Libyen-Frage eingeordnet werden?
Für Moskau sind westliche Staaten in der Regel nicht sehr vertrauenswürdig — auch wenn diese die richtige Seite in einem Konflikt unterstützen. Macron gab Russland im Libyen-Konflikt mehr Anerkennung. Er signalisierte auch, dass er beim Antiterrorkampf in islamischen Ländern, einschließlich Libyen, gerne mit Russland zusammenarbeiten will.
Moskau bleibt skeptisch. Also wenn der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte, dass sich intervenierenden Staaten am Mediationsprogramm der Vereinten Nationen halten müssen, dann meint er:
«Frankreich sollte nicht versuchen, die Libyen-Diplomatie alleine anzuführen.»
Wie gestaltet sich das Kooperationsverhältnis von Frankreich und den USA in Afrika? Verschiedene Medien berichten, dass ein Konkurrenzverhältnis existiert. Andere meinen, dass sich beide Staaten darauf geeinigt hätten, die Macht zu teilen.
Es gibt ganz sicher auf dem afrikanischen Kontinent keine Dynamik des Wettbewerbs oder des Antagonismus zwischen Frankreich und den USA.
Die USA haben eine Tradition, den afrikanischen Kontinent nicht als ein wichtiges strategisches Ziel für Aktivitäten zu betrachten. Afrika ist für die USA nicht so wichtig, das man bedenken. Als der damalige Verteidigungsminister der USA, Robert Gates, die Schaffung der Militärkommandantur AFRICOM beschloss, fiel US-Politikern auf, dass sich amerikanische und französische Interessen in Afrika «schneiden» könnten. Und auch mit der Schaffung von AFRICOM verlässt sich Washington auf die Hilfe von Frankreich und anderer europäischer oder Golfmächte in Afrika, wenn es um Sicherheitsfragen geht.
Die USA, einschließlich der Trump-Regierung, wollen, dass Frankreich eine größere Rolle in Afrika übernimmt. In Afrika verfolgen die USA eine doppelte Strategie. Sie setzen auf eine versteckte Militärpräsenz oder auch «Light Footprint» genannt. Hinzu kommt eine enge Kooperation mit europäischen oder Golfmächten. Frankreich passt hervorragend in die Strategie der USA als Partner. Die USA wollen sogar, dass Frankreich eine noch größere Rolle in Afrika spielen sollen als bisher.
Jalel Harchaoui ist Politikanalyst und bereitet gegenwärtig eine Doktararbeit zum Thema Geopolitik an der Universität Paris VIII vor, die sich der internationalen Dimension des Libyen-Konflikts widmet.
Quelle: RT