«Die Vereinigten Staaten von Amerika sind de facto ein Gottesstaat»

Obwohl die Überschrift auf den ersten Blick gewagt erscheint, entwickeln sich die Vereinigten Staaten von Amerika in Richtung einer Theokratie. Es ist ein äußerst schleichender Prozess, der seit dem sogenannten «Krieg gegen den Terror» von US-Präsident George W. Bush an Fahrt gewonnen hat.

von Zlatko Percinic

Man nehme mal nur eine kleine Statistik zur Hand: laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2007 zur Frage der Religiosität unter jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren, bezeichneten sich54 Prozentder AmerikanerInnen dieser Altersgruppe als hochreligiös. Damit liegen die USA noch vor der Türkei (41 Prozent), Israel (39 Prozent), Italien (33 Prozent) und nur knapp hinter Marokko mit 58 Prozent. Zum Vergleich: in Deutschland und der Schweiz zählen sich nur 14 Prozent der jungen Menschen zwischen 18-29 Jahren zu den Hochreligiösen. Einer anderen Umfrage aus dem Jahr 2010 zufolge wünschen sich 65 Prozent der Deutschen, dass christliche Werte in Zukunft eine größere Rolle spielen, und nur 27 Prozent das Gegenteil. Das soll keine Wertigkeit darstellen, sondern einfach nur einen Trend festhalten.

Die religiösen Staaten von Amerika

Die Gründerväter der USA hatte mit Sicherheit eine andere Vision davon, wie das Land eines Tages aussehen sollte, verglichen mit der heutigen Glaubensfrage. Nicht umsonst hält der erste Zusatz (vom Kongress ratifiziert am 15.12.1791) der amerikanischen Verfassung fest:

Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, welches eine Religion einführt oder deren freie Ausübung verbietet.

Der Grund dafür lag in dem Wunsch nach freier Religionsausübung egal welcher Art, ohne Angst haben zu müssen, deswegen vom Staat oder sonst wem verfolgt zu werden. Hätten sich die Gründerväter auf eine Staatsreligion einigen müssen, wäre das gesamte Projekt der Vereinigten Staaten vermutlich gescheitert. Weiterhin wollten die Verfasser sicherstellen, dass nicht eines Tages eine Sekte oder Religionsgemeinschaft Einzug in die Regierung erhält und so eine Theokratie begründen könnte. 
Es wurde großen Wert daraufgelegt, ja keine Referenz zu irgendeiner Religion auf Regierungsebene zu erweisen, so darf beispielsweise der Glaube keine Rolle bei der Verteilung von irgendwelchen Kabinettsposten spielen.

Interessant ist es auch zu beobachten, wie ein neuer Präsident vereidigt wird. In der Verfassung ist der Eid, den der frisch gewählte Präsident abgeben muss, bereits vorgegeben:

Ich schwöre (oder gelobe) feierlich, dass ich treu das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten verwalten werde, und werde nach bestem Wissen und Gewissen, die Verfassung der Vereinigten Staaten bewahren, beschützen und verteidigen.»

Die Möglichkeit, den Satz mit «Ich schwöre» oder «Ich gelobe» zu beginnen, wurde ebenfalls in der Absicht eingebaut, dass ein Präsident sich nicht gezwungen sieht zu schwören, was eine gewisse Religiosität voraussetzen würde.

Dann gibt es aber noch den Zusatz «So help me God», also «so helfe mir Gott». Dieser Zusatz in der Vereidigung basiert nicht auf einem vorgegebenen Zusatz in der Verfassung, sondern ist ein Element, das freiwillig zugeführt wurde und sich insbesondere in den letzten Jahrzehnten größter Beliebtheit erfreut.

Was auf Regierungsebene verboten wurde, wurde aber dafür auf Bundesebene bei den verschiedenen Staaten eingeführt:

In Massachusetts, einem Staat mit 6,5 Millionen Einwohnern, steht in der Verfassung unter Artikel 2 geschrieben:

Es ist das Recht als auch die Pflicht aller Menschen in der Gesellschaft, öffentlich und bei gegebenen Anlässen, das Höchste Wesen, den Großen Schöpfer und Erhalter des Universums zu verehren.

In Maryland, einem kleinen aber sehr Bevölkerungsreichen Staat mit fast 5,9 Millionen Einwohnern, steht in der Verfassung unter Artikel 37:

Es sollte kein religiöser Test jemals als Qualifikation für irgendein Ministerium dieses Staates erforderlich sein, abgesehen von einer Erklärung des Glaubens an die Existenz Gottes, noch sollte der Gesetzgeber irgendeinen anderen Vereidigungsschwur vorschreiben als diesen Schwur, der in der Verfassung vorgeschrieben ist.

In Arkansas, wo der ehemalige US-Präsident Bill Clinton herstammt, mit drei Millionen Einwohnern, steht in der Verfassung unter Artikel 19:

Keine Person, die das Wesen eines Gottes leugnet, soll ein Amt in den zivilen Abteilungen dieses Staates halten, noch Befugt sein als Zeuge vor einem Gericht auszusagen.“ (auch Bill Clinton leistete demzufolge denselben Eid ab)

Nachdem die einzelnen Staaten die wahre Macht innerhalb der USA darstellen, ist es dann tatsächlich so weit hergeholt, wenn man sagt, dass die USA in gewisser Form auch eine Art Gottesstaat darstellen? Insbesondere dann, wenn man bedenkt, dass in aller Regel die US-Präsidenten sich aus Gouverneuren und Senatoren rekrutieren, und dass am Anfang ihrer Karrieren, dieser Schwur auf Gott erfolgte? Ist dieser Glaube, oder besser gesagt, ist dieser Schwur dem «Schöpfer des Universums» zu dienen und dem man über Jahre und Jahrzehnte befolgte, nur deshalb hinfällig, weil man Präsident wurde und der Glaube zumindest auf dem Papier keine Rolle spielen darf?

Wie wichtig der Faktor «Religion» bei Präsidentschaftswahlen ist, zeigt sich auch daran, wie sehr die jeweiligen Kandidaten bemüht sind, die entsprechenden Religionszugehörigkeiten für sich zu gewinnen. Manchmal könnte genau die religiöse Minderheit den Ausschlag geben, um das Präsidialamt doch noch gewinnen zu können. Eine aktuelle Studie der University of Kentucky bestätigte, dass die Menschen insbesondere in Amerika, aber auch in anderen Ländern, niemals für einen atheistischen Kandidaten stimmen würden.

Nicht umsonst ließ sich der republikanische Senator Christopher Shays im Jahr 2005 dazu verleiten, seine Partei als «eine Partei der Theokratie» zu beschimpfen. Man höre sich nur mal an, wie sich US-Politiker seit einiger Zeit in religiöser Sprache üben.

Sogar die Washington Post schlug Anfang des Jahres Alarm, als der Zeitung ein Dokument des Council for National Policy zugespielt wurde, zu dessen Mitgliedern der nun zurückgetretene Steve Bannon und die aktuelle Erziehungsministerin Betsy DeVos gehörten. Darin wird die Reformierung der Schulbildung gefordert, weg von der säkularen Erziehung und hin zur Religiosität. Und das natürlich ausschließlich im christlichen Sinne, wie sich auch der amerikanische Oberste Gerichtshof immer mehr in diese Richtung orientiert. 57 Prozent der republikanischen Wähler gaben in einer Umfrage aus dem Jahr 2015 auch genau das als Ziel an: die Erhebung des Christentums zur amerikanischen Staatsreligion.