Neues aus den Unterklassen: Das Prinzip „Teile und herrsche“ funktioniert

In den unteren Schichten tobt der Verteilungskampf. Die Menschen konkurrieren um Jobs, bezahlbare Wohnungen oder Zugangsberechtigungen für die Tafel. Die Angst, zu kurz zu kommen spaltet die Gesellschaft in „Wutbürger“ und „Gutmenschen“. Doch statt Lösungen bieten beide Fraktionen nur Polemik an.

von Susan Bonath

Refugees welcome“ versus „Ausländer raus“

Wenn Grünen- und Linke-Politiker mit „Refugees welcome“-Rufen jeden Kritiker der Flüchtlingspolitik pauschal als Unmensch oder gar „Pack“ abstempeln, tun sie das meist von einem privilegierten Standpunkt herab. Man möchte meinen, sie haben die Lebenswirklichkeit aus den Augen verloren.

In dieser Wirklichkeit kämpft sich manche Alleinerziehende mit 900 Euro netto im Teilzeitjob über den Monat. Männer und Frauen mit zwei, drei Minijobs müssen mit Hartz IV aufstocken. Ein 75-Jähriger trägt morgens um vier Zeitungen aus, weil seine Rente nicht zum Leben reicht. Ein schlecht bezahlter Facharbeiter lernt einen Praktikanten aus Eritrea an, und nicht zu unrecht beschleicht ihn die Angst, sein Lehrling könnte seinen Job schon bald für noch weniger Lohn übernehmen.

Ganz unten möchte niemand landen. Dort, wo Polen, Bulgaren und Deutsche um einen Platz im Obdachlosenasyl konkurrieren. Wo an karitativen Essensausgabestellen die Schlangen länger werden. Wo sanktionierte Hartz-IV-Bezieher mit Kind und Kegel auf der Straße landen, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können. Und wo Letztere dann zusehen müssen, wenn die Kommune statt sie selbst wohnungslose Geflüchtete für viel Geld nach Recht und Paragraf im Hotel einquartiert.

Verlustangst und bedrohter Status

Der Konkurrenzkampf und die Furcht vor dem Verlust kleinster Privilegien treibt die Menschen nach rechts. Rufe nach dichten Grenzen, Internierungslagern, noch weniger finanziellen Hilfen für Flüchtlinge und immer neuen Abschiebungs-Programmen fruchten bei der Mittelschicht wie bei den Abgehängten.

Was aus der Wahrnehmung vielfach verschwindet: Während „Merkels Einladung“ und „Merkels offene Grenzen“ weiter im Fokus der Kritik stehen, setzt die noch amtierende CDU/CSU-SPD-Koalition viele Programmpunkte von AfD, NPD und Co. längst um. Abschiebeknäste in ganz Deutschland, Vorbeugehaft für just verdächtige Asylbewerber in Bayern und Pläne, dies bundesweit umzusetzen, sind inzwischen real. Merkels „Refugees welcome — wir schaffen das“ hinkt längst als inhaltsleere Floskel hinter einer entgegengesetzten Realpolitik zurück.

Die kriegen alles…“

Unerschütterlich hält sich das Gerücht, Flüchtlinge bekämen mehr Geld als einheimische Hartz-IV-Bezieher. Tatsächlich liegen die gewährten Mittel zum Lebensunterhalt für Asylsuchende je nach Alter um 23 bis 55 Euro niedriger. Medizinisch erhalten sie nur eine Notversorgung. Für jeden Arztbesuch müssen sie sich einen Schein in der Ausländerbehörde ausstellen lassen.

Wie Hartz-IV-Bezieher können Flüchtlinge sanktioniert werden, wenn sie sich nicht an Regeln halten oder nicht genügend mitwirken. Es sind ganz andere, die an der Flüchtlingskrise verdienen: Vermieter, Betreiber von Unterkünften, private Unternehmen, Träger von Maßnahmen.

Flüchtlingsunterkünfte sind keine Drei-Sterne-Hotels. Oft werden sich völlig wildfremde Menschen, die nicht selten verschiedene Sprachen sprechen und unterschiedlichen Religionen anhängen, in kleinen Zimmern zusammengepfercht. Betreiber kassieren dafür Kopfpauschalen – und kommen auf horrende Einnahmen.

Geschäft mit den Abgehängten

Wie die Potsdamer Neuesten Nachrichten etwa vergangene Woche berichteten, gewährt die Stadt Heimbetreibern 295 Euro pro Person und Monat – für ein Bett, einen Schrank und das Nutzen von Gemeinschaftsküchen und -bädern. Für ein 20 Quadratmeter großes Dreibettzimmer können so fast 900 Euro zusammenkommen. Zum Vergleich: Einer dreiköpfigen Familie gewährt Potsdam bis zu 712 Euro Warmmiete für 80 Quadratmeter.

Auch Arbeitsprogramme für Geflüchtete schüren Konkurrenz. Hermes in Haldensleben (Sachsen-Anhalt), eine Tochterfirma des Versandhändlers und Multimilliardärs Michael Otto, beschäftigt etwa Asylsuchende zunächst als Praktikanten, um sie später befristet einzustellen. Dafür hat der Konzern den Integrationspreis des Landes erhalten.

Was selten publik wird: Bei Hermes packen Hunderte Leiharbeiter für Mindestlohn mit. In der Produktion fest angestellt sind vor allem Frauen mit 100-Stunden-Teilzeitverträgen. „Mit gut zehn Euro Stundenlohn und Schichtzulagen kann man auf einen Tausender kommen“, weiß die Beschäftigte Katrin P. (Name geändert). Sie selbst habe keine Angst um ihren Job, da sie schon seit 15 Jahren dort arbeite. Für Leiharbeiter und befristet Beschäftigte sehe das jedoch ganz anders aus.

Wohlfühloptimismus versus Panikmache

Dass die Lohnarbeitswelt immer unsicherer, prekärer und flexibler wird, ist kein Geheimnis. Platte CDU-Wahlkampf-Prognosen von einer Vollbeschäftigung in wenigen Jahren ändern daran nichts. Auch weitere Steuersenkungsfantasien von FDP und AfD für die besonders Vermögenden sind Wolfspläne im Schafspelz. Sie können am Ende nur zulasten des Sozialstaats gehen. Dass die Genannten gemeinsam mit der SPD, den Grünen, weiten Teilen der Linken und vielen anderen Parteien an einem wirtschaftlichen Eigentums- und Lohnarbeitsmodell des 19. Jahrhunderts festhalten, das angesichts des technischen Fortschritts längst ausgedient hat, macht es nicht besser.

Wenn die besonders humanistische Wohlfühlfraktion den wachsenden sozialen Verwerfungen schlicht mit „mehr Mitmenschlichkeit“ begegnen will, ist das naiv. Es ist zynisch gegenüber jenen Einheimischen, die teils zurecht – Hartz IV sei dank – um ihre hart erkämpfte Existenzgrundlage fürchten. Wer annimmt, die Wirtschaft würde nicht auf die Geflüchteten als künftige Billigjobber-Reserve schielen, ist weltfremd.

Doch wer glaubt, dass die Bundesregierung deutsche Arbeiter mit mehr Rechten und höheren Löhnen beschenken würde, wären keine Flüchtlinge da, befindet sich genauso auf dem Glatteis der Fantasie. Zur Erinnerung: Die Agenda 2010 mit harten Repressalien gegen „arbeitsunwillige“ Hartz-IV-Bezieher war es, die seit 2005 zu acht Millionen Beschäftigten im weiter wuchernden Niedriglohnsektor geführt hat.

Das Spiel mit der Angst betrifft nicht nur die Arbeitswelt. Auch die Sicherheit sei in Gefahr. Nun weiß man nicht genau, ob das BKA Beruhigungspillen verstreut, wenn es mitteilt, die Kriminalität sei seit Ewigkeiten nicht gestiegen. Was man weiß: Letztes Jahr gab es in Deutschland jeden Tag zehn gewalttätige Angriffe auf Flüchtlinge. Andererseits: Auch über Sexualstraftaten von Flüchtlingen berichteten Medien recht häufig.

Die meisten Frauen dürfen wissen, dass dies nicht heißt, deutsche Männer täten so was nicht. Missbrauch in der eigenen Familie, Sexurlaub in Thailand oder anderswo und Kinderpornoringe sind kein „Privileg“ von Flüchtlingen. Sexuelle Gewalt ist seit je her ein Problem von Gesellschaften, in denen es ein Oben und ein Unten gibt. Es ist zu einfach, es allein „den anderen“ in die Schuhe zu schieben.

Wirtschaftskriege produzieren Wirtschaftsflüchtlinge

Wenn es ums Abschieben geht, unterscheiden Parteien von stramm rechts bis hin zur Union und Teilen der SPD gerne zwischen politischen und Wirtschaftsflüchtlingen. Sie tun so, als hätte Wirtschaft nichts mit Politik zu tun, als wären Elend und Hunger angenehmer als Angst vor Bombenhagel. Menschen fliehen, wenn ihre (Über)Lebensperspektiven schwinden. Das ist seit Jahrhunderten nicht anders.

Staaten führen Kriege längst nicht nur mit Waffengewalt. Freihandelsabkommen, Kapitalexport, Einverleibung von Ressourcen durch private Unternehmen treiben Milliarden Menschen unter die Fuchtel des globalen Marktes – und meist auch in wirtschaftliche Notlagen. Es geht um private Profit-Interessen von Konzernen, die weltweit miteinander verschmolzen sind.

Aktuelle Fusionsabsichten von Bayer und Monsanto, Linde und Praxair (Deutschland – USA) oder Thyssenkrupp und Tata (Deutschland-Indien) weisen die Richtung. Riesige Konzerngiganten dirigieren Markt und Preis. Sie kaufen auf, expandieren und wachsen immer weiter. An nationale Grenzen halten sie sich nicht. Wo von der Energie über Nahrung bis hin zu Krankenhäusern alles privatisiert wird und wo Armeen aufgerüstet werden, versiegt der Sozialetat. Und wo immer weniger menschliche Arbeit benötigt wird, wächst zugleich zwangsläufig die Zahl der Bedürftigen. Wer hier nach nationalen Lösungen sucht, kommt zu spät.

 

Quelle: RT