Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will offenbar eine informelle Führung von Paris in der EU erreichen – vor dem Hintergrund von Rückschlägen für die deutschen Führungspositionen. Der russische Politik-Experte Alexej Martynow analysiert, ob und inwieweit Macrons Vorhaben Chancen hat.
In einem Gastbeitrag für die Tageszeitung „Iswestija“ vom Dienstag schreibt Martynow:
„In letzter Zeit sorgt Emmanuel Macron mit Regelungsvorstößen zur Einwanderungskrise und zu afrikanischen Problemen für Aufsehen. Er spricht auch von einer ‚Neugründung Europas‘ …“ Aus Sicht des Experten „zielen die Ambitionen des jungen französischen Präsidenten darauf ab, eine informelle Führung für Frankreich in Europa zurückzuerlangen.“
Derzeit nehme Deutschland die informelle Führungsposition in der EU ein, sowohl wirtschaftlich als auch politisch: „Doch mit der Weiterentwicklung der innenpolitischen Krise in den USA geht die amerikanische politische Förderung für die deutsche Kanzlerin zurück. Mehr noch: Die von Donald Trump verkündete Politik des Protektionismus im Interesse von US-Konzernen rückt aggressiv gegen die Interessen der deutschen Wirtschaft vor.“ Martynow meint:
„Neben der albernen und äußerst nachteiligen Sanktionspolitik gegen Russland, die in der EU von Kanzlerin Merkel vorangetrieben wurde und darauf hinauslief, dass deutsche Großunternehmen den russischen Markt verloren, schwächt all dies den wirtschaftlichen Status Deutschlands drastisch. Im Ergebnis büßt Deutschland derzeit seine führenden Positionen in Europa rapide ein.“
Er schreibt weiter, Macron habe offensichtlich Chancen, seine Ambitionen umzusetzen. Laut französischen Experten stehe „das alte europäische finanziell-oligarchische Kapital von vornherein hinter ihm. Die alte europäische Finanzelite will sich also revanchieren – im Hinblick darauf, dass die USA eine innere Krise erleben und schwächer werden. Genauer gesagt hat sich die Würgeschlinge namens ‚Europäische Union‘ am Hals Europas gelockert. Mehr denn je besteht derzeit eine Chance, diese quasipolitische Konstruktion zu ruinieren und an die Ursprünge der europäischen Wirtschaftsintegration zurückzukehren.“
Der Experte fragt: „Ist das vielleicht eben die Mission des neuen französischen Präsidenten, mit der er von seinen Gönnern beauftragt wurde? Inwieweit richtig die Entscheidung war, auf den jungen und nicht allzu erfahrenden, dafür aber äußerst ambitionierten Emmanuel Macron zu setzen, wird die Zeit zeigen.“
Allerdings sei Macron von einfacher Herkunft und habe keine festen Verbindungen zu der gegenwärtigen Bourgeoisie-Elite der Fünften Republik, hebt Martynow hervor. Dies könne ihm ermöglichen, während seiner fünfjährigen Amtszeit einen Elitenwechsel durchzuführen. Die neue französische Elite solle dann eine Sechste Republik gründen, damit diese entsprechend Macrons Ambitionen die informelle Führung des neuen Europas übernimmt.
Quelle: Sputnik