Europa will das Flüchtlingsproblem outsourcen — schafft es das?

In der vergangenen Woche ist in Paris der Migrationsgipfel mit den Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Spaniens und drei afrikanischer Länder — Tschad, Niger und Libyen — über die Bühne gegangen, schreibt die Zeitung „Wedomosti“ am Donnerstag.

Bei dem Gipfel wurde nach konkreten Lösungen für ein Ende der Flucht von Schutzsuchenden aus Afrika nach Europa gesucht. Viele Flüchtlinge kommen über die Grenzen Nigers und Tschads nach Libyen, von wo aus die Reise nach Europa beginnt. Das ist ein gefährliches, riskantes und sehr teures Unterfangen – 4000 bis 7000 Euro pro Kopf. In den vergangenen zwei Jahren kamen bei solchen Reisen mehr als 8500 Menschen auf See ums Leben, noch mehr werden vermisst. Die Situation ist außerdem schwierig, weil der Migrantenstrom gestoppt werden soll, aber auch die Menschenrechte eingehalten und das internationale Ansehen Europas nicht beeinträchtigt werden sollen.

So wird vorgeschlagen, in den afrikanischen Ländern Libyen, Niger und Tschad Aufnahmestellen für Flüchtlinge einzurichten, die in den Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention fallen und mit einem Asyl in Europa rechnen können. Die Gipfelteilnehmer unterstützten die Idee eines gemeinsamen Patrouillierens des Kontinents mit den Militärkräften Malis, Mauretaniens, von Burkina Faso, Nigers, Tschads, Frankreichs und der UN-Mission in Mali (MINUSMA) im Kampf gegen den Menschenschmuggel.

Der Mechanismus zur Auswahl jener, die Asyl beanspruchen können, ist nicht ganz klar. Zudem ist nicht klar, wer den endgültigen Beschluss in dieser Frage trifft. Die Idee Macrons über die Schaffung eines Sitzes der Flüchtlingsbehörde Ofpra in Libyen war noch im Juli wegen der Intransparenz der Umsetzung abgelehnt worden. Bei dem Gipfel im August war dieselbe Idee schon gebilligt worden, obwohl der Präsident Tschads Idriss Deby sagte, dass in seinem Lande keine Zentren eröffnet würden. Die nationalen Dienste würden die Migration jener fördern, die sich bereits in Tschad befinden und den Flüchtlingsstatus gemäß der Genfer Konvention hätten.

Nach Angaben der Internationalen Migrationsorganisation ist der Flüchtlingsstrom aus Afrika nach Europa zurück gegangen. Von Januar bis August kamen 121 517 Flüchtlinge – vorwiegend nach Italien, Griechenland, Spanien und nach Zypern. Diese Zahl war im Jahr 2016 um das Dreifache höher gewesen und lag bei 363 401 Menschen. Die meisten von diesen Menschen bekommen jedoch kein Asyl und werden in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Der Preis für solche Reisen steigt für die europäischen Steuerzahler mit jedem Jahr an. So kostet die Auslieferung eines Menschen aus Deutschland nach Albanien 1000 Euro, nach Nigeria – bis zu rund 9000 Euro. Die Frontex-Ausgaben stiegen von elf Millionen Euro im Jahr 2015 auf 34 Millionen Euro im Jahr 2016. In diesem Jahr sollen sie bei 66,5 Millionen Euro liegen.

Es bestehen keine Zweifel daran, dass man zunächst in afrikanischen Ländern prüfen soll, ob ein Recht auf Asyl in Europa besteht. Heute befinden sich die Aufnahmestellen für afrikanische Flüchtlinge in Europa – vier in Italien und fünf in Griechenland. Die EU-Länder müssen große finanzielle und institutionelle Ressourcen mobilisieren, die allerdings zu keiner Lösung der Situation führen.

Die Ergebnisse des Pariser Gipfels sind nicht eindeutig. Der vorgeschlagene Mechanismus sieht vor, dass die ursprüngliche Kontrolle des Migrantenansturms zum Verantwortungsbereich Libyens gehören wird, das bis heute von den Folgen des Bürgerkriegs zerrissen ist und an der Spitze der Länder steht, in denen Menschenrechte am häufigsten verletzt werden. Andere afrikanische Länder und Teilnehmer des Pariser Dialogs verfügen ebenfalls über keine demokratischen Institutionen und Freiheiten. In Tschad, Niger und Mali agiert «Boko Haram», die zweitgrößte Gruppierung nach IS im globalen Terrorismus-Index. Nach Einschätzungen von Freedomhouse sind in all diesen Ländern bedeutende Verletzungen der politischen und bürgerlichen Rechte zu erkennen, was die Frage nach Legitimität und Transparenz der Behandlung von Asylanträgen aufwirft.

Der Migrationsgipfel in Paris ist natürlich nicht mit dem Berliner Treffen 1884 über das Schicksal Afrikas unter dem Vorsitz von Otto von Bismarck vergleichbar, an dem mehr als 50 Delegierte aus Europa und kein einziger Afrikaner anwesend waren. Doch die Repräsentanz beeinflusste kaum das Wesen der heutigen Entscheidungen. Sie gehen weiterhin von Erwartungen der europäischen Wähler und den Ängsten Europas vor dem Zustrom der Migranten aus und nicht von den Interessen der Stabilität und Sicherheit in Afrika und der Suche nach Wegen der wirtschaftlichen Kooperation beider Kontinente. Langfristig sind die Aufnahmestellen in Afrika und das Asylrecht gemäß der Genfer Konvention nicht die Lösung der Frage über unkontrollierte Flüchtlingsströme, sondern nur eine kleine Pause, weil weder Ängste noch Erwartungen der Wähler noch politische Institutionen imstande sind, den chaotischen Ansturm der Menschen zu stoppen.

 

Quelle: Sputnik