Schulreform in der Ukraine: Kampf gegen russische Sprache geht in die Endphase

Die Regierung in Kiew gießt im Angesicht des Bürgerkriegs und der gesellschaftlichen Spaltung im Land zusätzlich Öl ins Feuer. Die extreme Rechte drückt erfolgreich ein Bildungsgesetz durch das Parlament, das nur noch Ukrainisch als Unterrichtssprache erlaubt.

Von Max Maksimow

Am Dienstag, dem 5. September, hat das ukrainische Parlament ein Bildungsgesetz verabschiedet. Über den Kern dieses Gesetzes sollen die führenden politischen Kräfte des Landes bereits vor drei Jahren Konsens erzielt haben, seither sei es um Details gegangen. Tatsächlich gab es keinerlei öffentliche Diskussion. Man kann nur raten, warum die Rada das Gesetz gerade jetzt verabschiedet hat. Erst vor knapp drei Monaten, am 10. Juni, hat Ministerpräsident Wolodymyr Hrojsman noch erklärt, dass die Regierung kein Geld hat, um die Bildungsreform durchzuführen.

Für eine gründliche Bildungsreform brauchen wir 87 Milliarden Hrywnja [etwa drei Milliarden Euro]», sagte Hrojsman. «Wir werden unseres Bestes tun, um diese Mittel sowohl innerhalb des Landes als auch außerhalb zu finden.»

Dennoch hat das Parlament nun das Gesetz verabschiedet und damit eine neue Etappe im so genannten Sprachen-Konflikt in der Ukraine selbst und im Ausland eröffnet. Die Opposition im ukrainischen Parlament stimmte in vollem Umfang dagegen, weil das Gesetz Nationalitäten diskriminiert, vor allem die russischsprachigen Bürger, die einen bedeutenden Teil der Bevölkerung in der Ukraine, in vielen Regionen sogar die Mehrheit stellen. Ihre Stimmen aber finden in der Rada kaum Widerhall.

Die großteils dem Präsidenten Petro Poroschenko gegenüber loyalen Medien kommentieren regelmäßig nur bestimmte Teile des Gesetzes, zum Beispiel die gestiegene Dauer der Bildungsjahre bis zur Hochschulreife von 11 auf 12 Jahre oder die Gehälter der Lehrer. Laut dem neuen Gesetz sollen diese erhöht werden, obwohl es Hrojsman zufolge kein Geld dafür gebe.

Hingegen tabuisieren ukrainische Medien die Tatsache, dass das neue Bildungsgesetz eine stufenweise Beseitigung des Unterrichtes in allen Sprachen außer Ukrainisch fordert. Die hauptsächliche Stoßrichtung des Gesetzes ist allerdings, die russische Sprache aus dem System der Vorschul- und Schulbildung in der Ukraine zu eliminieren, auch dort, wo sie bis jetzt noch geblieben ist. Der Unterricht an den Hochschulen erfolgt jetzt schon nur noch auf Ukrainisch.

Bondarenko: Reiche können sich von Ukrainisierung freikaufen

Auch die Tatsache, dass es vor allem ultrarechte Nationalisten in Parlament und Regierung waren, die sich für das Gesetz einsetzten, findet kaum Erwähnung. Entgegen der Verfassung erfolgte die Verabschiedung ohne öffentliche Diskussion.

Die ehemalige Abgeordnete Elena Bondarenko drückte die Meinung derjenigen aus, die den Staatsstreich der «Maidan-Bewegung» in Kiew im Jahr 2014 nicht akzeptierten:

Die anti-ukrainische Werchowna Rada verabschiedete ein neues Bildungsgesetz. Dessen Sinn besteht darin, Russisch als Unterrichtssprache in allen staatlichen Schulen ab der 5. Klasse abzuschaffen. Ab dem Jahr 2020 schon ab der 1. Klasse. Ich verstehe, dass die ukrainischen Geldsäcke sich darum gar nicht kümmern — ihre Kinder lernen entweder auf privaten Schulen oder im Ausland. Sie haben sich das Recht auf Sprache erkauft. Aber was sollen die normalen russischsprachigen Ukrainer tun?

Die meisten Ukrainer, die mit dem neuen Gesetz nicht einverstanden sind, teilen die Einschätzung von Bondarenko. Das Gesetz schafft für die russischsprachige Bevölkerung faktisch einen Status von Bürgern zweiter Klasse, die keinen Zugang zur Ausbildung in ihrer Muttersprache haben. Das ist eine Schande, denn Russisch ist vielerorts die Sprache der Mehrheit.

Die Autoren des Gesetzesentwurfs — deren politischer Standort gelinde gesagt etwas rechts der Mitte anzusiedeln ist – erklärten, das Hauptziel der Reform sei ein Abschied vom alten Bildungsgesetz. Das alte Gesetz «Über die Grundlagen der Sprachenpolitik» hatte die Regierung des 2014 gewaltsam aus dem Amt entfernten, gewählten Präsidenten Wiktor Janukowytsch noch im Jahr 2012 verabschiedet. Demnach wurde Russisch als regionale Amtssprache offiziell anerkannt. Dies entsprach dem wichtigsten Wahlversprechen von Janukowytschs Partei der Regionen.

Schon damals fürchteten sich die Gesetzgeber jedoch vor der aggressiven rechtsgerichteten Minderheit, und im Endeffekt beschlossen sie eine moderate Variante des Gesetzes: Die Ortsgemeinden konnten selbst die Amtssprache bestimmen, je nachdem, wer die Mehrheit stellt. Diese Form der Inkonsistenz brachte weder die Zustimmung der russischsprachigen Wähler noch die Unterstützung der ukrainischen extremen Rechten.

Fauler Kompromiss durch Diktat ersetzt

Erstere warfen Janukowytsch Verrat und Absprache mit «Nazis» vor, Letztere riefen sofort eine Protestbewegung ins Leben – den «Sprachmaidan». Diese zettelte bereits im Sommer 2012 Massenunruhen an — die ersten Vorzeichen des kommenden Bürgerskriegs. Eine der zentralen Forderungen des Euromaidan war gerade die Abschaffung des Bildungsgesetzes, das nach den Namen der Autoren «Kiwalowa-Kolesnitschenko» genannt wurde. Diese Forderung blieb auch nach dem Staatsstreich im Februar 2014 im Raum.

Der Widerstand der russischsprachigen Bevölkerung auf der Krim und im Donbass und der Anfang des Bürgerkriegs erschreckte jedoch das Putschkabinett. Statt des Ansturms wählten sie die Belagerung.

Die Autoren des neuen Gesetzes erwähnten diesen Sachverhalt mehrmals, als sie sich über dessen Verabschiedung freuten. Taras Schmeida, der zusammen mit der Bildungsministerin Lilia Grinewitsch das Gesetz und insbesondere dessen diskriminierenden Artikel 7 erarbeitet hatte, schrieb unmissverständlich:

Wir haben es geschafft! Für mich ist das ein doppelter Feiertag. Der Artikel 7 schafft die russifizierenden Maßnahmen des ‘Kiwalowa-Kolesnitschenko’ ab und führt eine Ausbildung in ukrainischer Sprache in allen Einrichtungen ein.

Das Gesetz legt nun die nächsten Schritte bis zum Jahr 2020 fest — danach soll jeder Unterricht beseitigt sein, der nicht auf Ukrainisch erfolgt. Trotz dieser diskriminierenden Maßnahmen sind die rechtsextremen ukrainischen Politiker, die am Putsch teilnahmen und heute die politische Elite der Ukraine bilden, immer noch empört. Einer von ihnen ist der Vorsitzende der rechtsextremen Swoboda-Partei, Oleh Tjahnybok, der die Wahlen verlor und vom Führer des Euromaidan zum politischen Rentner wurde:

Die Behörden versuchen heute im Parlament zur Freude der Russen, das Recht der Minderheiten auf Studium in ihrer Muttersprache im Bildungsgesetzentwurf zu verankern. Diese angeblich demokratische Norm ist fatal aus der Sicht der ukrainischen nationalen Sicherheit. Dies ist die bewusste Schaffung der Voraussetzungen für eine allmähliche Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit durch die Eröffnung von Möglichkeiten für die Russifizierung des Bildungsprozesses in einzelnen Regionen.

Regierung vertieft gezielt die Spaltung

Ansichten wie diese sind in der Ukraine heute vorherrschend. Aber anstatt eine öffentliche Diskussion zu führen, entschieden sich die Behörden in Kiew dazu, einen entschlossenen Angriff gegen die russische Sprache zu unternehmen. Und niemand erinnert sich daran, dass diese Frage sehr heikel ist und schon im Jahr 2012 zu Unruhen führte. Damals, noch bevor der Euromaidan im Jahr 2014 Platz griff, war die ukrainische Gesellschaft in ein pro-russisches und ein pro-ukrainisches Lager gespalten. Die Teilnehmer des so genannten Sprachmaidan stellten später den aggressivsten Teil der Protestbewegung im Jahr 2013. Sie legten auch den Grundstein zu jenen Prozessen, die die Gestalt des neuen Bildungsgesetzes formten.

Was bedeutet das Gesetz aber für die Ukraine — außer einer neuen Runde der Konfrontation unter den Bürgern? Die russischsprachige Bevölkerung der Ukraine meint, dass das Gesetz nicht zur Versöhnung führt, sondern die Konfrontation nur verschärft. Die Qualität der Bildung wird auch leiden. Während die Lehrer in ukrainischer Sprache unterrichten, sprechen und denken die Schüler in den russischsprachigen Regionen weiterhin auf Russisch. Russisch sprechen sie auch zu Hause. Das Internet, wo die Schüler die meiste Zeit verbringen, bleibt auch russischsprachig. Ein weiterer alarmierender Effekt: Von Kindheit an wird die Abneigung gegen die aufgedrängte ukrainische Sprache wachsen.

Proteste auch aus Ungarn

Den Schaden und die Diskriminierung, die das neue Gesetz mit sich bringen, bemerken auch die Nachbarländer. So hat etwa die ungarische Regierung bereits Protest artikuliert. Das Gesetz sei eine beispiellose Beschränkung der Rechte von 150.000 ethnischen Ungarn, es widerspreche der Verfassung der Ukraine und Kiews internationalen Verpflichtungen, die Rechte der ungarischen Bevölkerung nicht zu beschränken, betonte der ungarische Staatssekretär Árpád Potapi.

Die ungarische Regierung unterstützt die Ungarn in Transkarpatien. Wir erwarten, dass die Ukraine das Gesetz prüft und anpasst, damit es die Rechte der Minderheiten, u. a. der Ungarn, nicht verletzt», steht in der offiziellen Erklärung.

Die Ukraine ist ein multiethnisches Land, in dem die ukrainischsprachigen Bürger keineswegs die absolute Mehrheit bilden. So lebt etwa auch eine große ungarische Gemeinschaft in Transkarpatien. Das neue Bildungsgesetz ignoriert auch deren Rechte auf nationale Identität. Es gibt aber noch viele weitere solcher Minderheiten in der Ukraine. Und Russisch diente immer als die Verkehrssprache. Russisch konsolidierte die Ukraine und machte sie zu einem Staat. Kiew hatte jedoch systematische Angriffe gegen die russische Sprache unternommen – und ihr nun den Krieg erklärt. Es ist schwer vorstellbar, welche Konsequenzen folgen werden und wer die Verantwortung dafür übernimmt.

 

Quelle: RT