„Wüstenfische“ des IS werden Terrorakte fortsetzen – Fazit von Experten-Runde

 

Der sich abzeichnende militärische Sieg über den „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien und Irak stellt nur die erste Etappe des Kampfes gegen diese terroristische Organisation dar. Darin sind sich russische Experten einig. Sie warnen vor verfrühter Euphorie über die Niederlage der extremistischen Islamisten.

Die Fachleute diskutierten bei einer Gesprächsrunde in der Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya in der letzten Woche unter anderem, wie sich der IS nach dem Sturz des Kalifats transformieren wird.

Der Präsident des Instituts für Religion und Politik, Alexander Ignatenko, wies auf die dezentrale IS-Struktur hin. Für diese seien Zellen gegründet worden, „die man nicht ohne Humor,Wüstenfische‘ nannte“. Nach Ignatenkos Schätzung gab es zu verschiedenen Zeiten auf mehreren Kontinenten etwa 40 solcher „in die Wüste geworfenen Fische“. Diese Filialen würden sich an Reife, Organisationsgrad und Stärke unterscheiden. Es gab und gibt sie laut dem Politologen sowohl in Libyen als auch in Ägypten, in Nigeria und in Westafrika.

Filialen und „Einsame Wölfe“ auf mehreren Kontinenten

In den Philippinen setze eine Filiale des IS ihren Kampf gegen die dortigen Geheimdienste und Streitkräfte fort, „welche Militärflugzeuge, schwere Wehrtechnik und amerikanische Sondertruppen einsetzen. Aber diese vereinten Kräfte haben seit inzwischen hundert Tagen die Terroristen nicht besiegt.“ Ignatenko wies darauf hin, dass diese IS-Filiale fern von Syrien und Irak liegt. „Man darf solche Filialen aber nicht ignorieren. Vor allem, da in Ägypten eine Filiale funktioniert, mit der die gut geschulten ägyptischen Streitkräfte ebenfalls nicht fertig werden.“

Das Hauptproblem sieht der Experte darin, dass das vom IS ausgerufene Kalifat kein zentralisierter Staat sei, der eine Hauptstadt besitze und alles lenke. „Wenn es in Europa zu Terrorangriffen kommt, machen die Geheimdienste ein kluges Gesicht und sagen, die Beziehung zwischen der Führung des Islamischen Staates und den Terroristen, die hinter diesen Angriffen stecken, sei sehr schwer aufzudecken.“

Ignatenko zufolge gibt es eine solche Beziehung überhaupt nicht.

„Der IS richtet schlafende Zellen ein, die über die ganze Welt verteilt sind und deren Mitglieder sich aus Syrien und dem Irak nach Europabegeben, oder sogenannte,einsame Wölfe‘ sind. Es sind Aktivisten. Nicht etwa Menschen, die aus Rakka, Mossul oder einem anderen IS-Zentrum hergeschickt wurden. Sondern es sind Enthusiasten des Terrors, die sich aus freien Stücken beim Islamischen Staat anmelden oder auch nicht anmelden, aber eine entsprechende Erklärung abgeben.“

Diese erfolge meist nachträglich, erklärte der Experte, „was bei vielen Terrorattacken in Europa der Fall war. Anschließend sagt der IS: Derjenige, der diesen Akt des,Märtyrertodes‘ oder der Selbstaufopferung vollzogen hat, sei ein Krieger des Kalifats. Auch posthum. Die Anwerbung solcher Aktivisten erfolgt über das Internet oder über die Menschen, die auf das Territorium Europas mit Flüchtlingen eingedrungen sind.“

Verlorene Schlacht, aber nicht verlorener Krieg

Laut Ignatenko bedeutet selbst eine vollständige Vernichtung des IS auf syrischem und irakischem Boden nicht dessen endgültige Niederlage. Schamil Sultanow, Präsident des Zentrums für strategische Studien „Russland – islamische Welt“, hob hervor, der IS habe einen der wirksamsten Propagandaapparate aufgebaut, der sowohl die muslimische Welt als auch die Länder des Westens beeinflusse.

Er beschrieb das so:

„Selbst wenn die Mitgliedsstaaten der Koalition in Syrien und Irak den Sieg erringen würden, sagen die IS-Propagandisten, in Wirklichkeit seien sie die Sieger. Dieser Sieg besteht aus ihrer Sicht darin, dass sie drei Jahre lang dem Druck der ganzen Welt einschließlich des Iran, der USA, Russlands und Großbritanniens, also der Atommächte standgehalten haben. Und nur weil die islamische Welt zum entscheidenden Zeitpunkt sich nicht mobilisiert und sie nicht unterstützt hat, haben sie verloren.“

Global vollziehe sich eine Islamisierung des radikalen Protestpotentials, ist sich Sultanow sicher. „Die Linken im Westen sind in die Klemme des kapitalistischen Systems geraten und erweisen sich als absolute Opportunisten. Die Rechten, selbst die Rechtsextremen sind träge, schlaff und total unfähig. Wer könnte das System tatsächlich herausfordern? Aus der Sicht des westlichen Jugendprotestes ist es der radikale Islam.“

Das wird nach Meinung Sultanows weder morgen noch übermorgen enden, sondern es werden Legenden und Mythen über den IS geschaffen. „Und dies wird vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Widersprüche zwischen den Mitgliedern der Anti-IS-Koalition geschehen“, warnte der Experte.

 

Quelle: Sputnik