Der Bundestagswahlkampf hat seine Schlussphase erreicht: Die Abstimmung findet am kommenden Sonntag statt. Das Thema Beziehungen zu Russland – und die Außenpolitik im Allgemeinen – spielt dabei zwar nicht die entscheidende, aber eine wichtige Rolle, schreibt die Zeitung „Kommersant“ am Montag.
Der Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Osteuropa- bzw. Russland-Kenner Stefan Meister sagte, dass Russland „ein sehr emotionales Thema“ in Deutschland sei und dass gar nicht alle Vertreter der deutschen Gesellschaft die harte Position der Kanzlerin Angela Merkel gegenüber dem Kreml und die Russland-Sanktionen positiv wahrnehmen. Deshalb sei es ziemlich merkwürdig, dass die Beziehungen zu Moskau bislang eine eher geringe Rolle im Wahlkampf gespielt haben.
Davon zeugen die Wahlkampfprogramme der an der Bundestagswahl beteiligten Parteien: Im Vergleich zur Wahl 2013, die noch vor dem Ausbruch der Ukraine-Krise stattfand, sind die Einschätzungen der Perspektiven der russisch-deutschen Beziehungen viel negativer geworden. Damals hatten die deutschen Parteien von einer Liberalisierung der Visapflicht mit Russland, von der Entwicklung des strategischen Dialogs und der Kooperation auf Gebieten wie Außenpolitik und Sicherheit gesprochen.
Jetzt aber hat sich die Situation kardinal verändert: Die CDU verwies in ihrem Programm auf die großen Gefahren für den Frieden auf dem europäischen Kontinent, insbesondere auf die Zerstörung von einst stabilen Staaten, darauf, dass Millionen Menschen Flüchtlinge geworden seien und dass die territoriale Integrität der Ukraine wegen der „russischen Gefahr“ infrage gestellt worden sei. Angesichts dessen fordert die Union Moskau zur Erfüllung der Minsker Vereinbarungen und zur Fortsetzung des Dialogs über die Ukraine-Probleme auf. Auf dieser Position wird Berlin offenbar auch weiter stehen, denn die absolut meisten Experten glauben, dass Merkel weiterhin Bundeskanzlerin bleiben wird.
Professor Simon Franzmann von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf zeigte sich überzeugt, dass das Thema Außenpolitik unmittelbar vor der Abstimmung an Bedeutung gewinnen werde, denn es gehe darum, welche von den Parteien die Koalition mit der CDU/CSU bilden werde, wobei ausgerechnet dem „kleineren“ Partner traditionell der Außenministerposten vorbehalten sei. Und das Thema Russland sei schon immer sehr wichtig gewesen, auch wenn es angesichts der Situation um Nordkoreas Atom- und Raketentests und der Beziehungen zur Türkei in den Hintergrund verdrängt worden sei.
Neben den Christdemokraten zeigen sich auch die SPD, die CSU, die Linke und die „Alternative für Deutschland“ (AfD) zum Zusammenwirken mit Moskau bereit. Die bayerische CSU und die Sozialdemokraten verweisen auf Moskaus wichtige Rolle bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Regelung der Syrien-Krise. Die beiden Parteien plädieren in diesem Zusammenhang für die allmähliche Aufhebung der Russland-Sanktionen abhängig von der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Falls die neue Bundesregierung auf dieser Position stehen wird, könnte auch die EU allmählich auf die aktuelle Verknüpfung der Lockerung der Sanktionen mit der vollständigen Erfüllung der Minsker Vereinbarungen verzichten. Der Frieden und die Sicherheit in Europa seien nur mit, aber keineswegs ohne, geschweige denn gegen Russland möglich, erinnerte abermals die SPD.
Für eine noch intensivere, aber eher unrealistische Intensivierung der Beziehungen zu Moskau plädieren die AfD und die Linke. Die AfD verlangt, „ein Ende der Sanktionspolitik“ gegenüber Russland und die Vertiefung die Handels- bzw. Wirtschaftskooperation mit ihm. Und die Linke geht noch weiter und besteht sogar auf der „Auflösung der Nato“ und dem Aufbau eines neuen kollektiven Sicherheitssystems unter Beteiligung Russlands.
Nur die Grünen seien definitiv negativ gegenüber dem Kreml eingestellt, so Professor Franzmann weiter. Sie machen Moskau für das Wachstum der internationalen Spannungen, für die aggressive Großmachtpolitik und für Verletzungen der Meinungsfreiheit verantwortlich.
Auch die FDP sieht Russlands Politik sehr kritisch. „Solange Präsident Putin seine Interventionspolitik fortsetzt, müssen daher die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten und eine Wiederaufnahme Russlands in die G8 ausgeschlossen werden. Im Falle einer erneuten militärischen Eskalation müssen die Sanktionen gegen Russland weiter verschärft werden“, heißt es unter anderem im Wahlkampfprogramm der Liberalen. Allerdings finden sie auch Argumente für den Dialog mit Moskau: „Als Nachbarn auf dem europäischen Kontinent sind Deutschland und die EU mit Russland eng verbunden – wirtschaftlich, kulturell und politisch. Gerade in schwierigen Zeiten ist es unerlässlich, miteinander im Gespräch zu bleiben.“
Laut jüngsten Umfragen könnte die FDP, die nach der Abstimmung 2013 außerhalb des Bundestags geblieben war, diesmal bis zu neun Prozent der Stimmen erhalten und die Regierungskoalition mit der CDU/CSU bilden. In diesem Fall wären die Worte von der Notwendigkeit, „miteinander im Gespräch zu bleiben“, ein Signal für den künftigen deutschen Chefdiplomaten.
Quelle: Sputnik