„Schallattacke“ in Havanna: Anti-Castro-Lobby in Washington reibt sich die Hände

 

Noch rätseln die Ermittler über Täter, Motiv und Hergang des „Schallangriffs“ auf US-Botschafter in der kubanischen Hauptstadt. Eines steht aber fest: Die angebliche Attacke kommt der kubanischen Führung denkbar ungelegen und spielt ihren Gegnern in Washington zu, wie die Zeitung „Rossijskaja Gaseta“ berichtet.

US-Präsident Donald Trump macht keinen Hehl aus seinen Absichten, alle noch so kleinen Errungenschaften seines Vorgängers Barack Obama zu ruinieren. Das unfaire Abkommen mit Havanna schaffe er gänzlich ab, erklärte Trump im Sommer dieses Jahres bei einem Auftritt in Miami und versprach, Amerika werde „die Verbrechen des Castro-Regimes“ von nun an bloßstellen.

Schlägt dem US-Präsidenten bei seinen sonstigen Vorhaben aber kräftiger Gegenwind vom US-Kongress ins Gesicht, hat er in der Kubapolitik die Zustimmung der Abgeordneten auf seiner Seite.

Erschüttert hat Trumps Erklärung so nicht nur die ohnehin zögerlich einsetzende politische Annäherung zwischen Washington und Havanna. Bedroht sind jetzt laut der Zeitung auch die Geschäftsbeziehungen zwischen Kuba und den USA – obschon sich gerade die US-Unternehmen für Wirtschaftsprojekte mit dem kommunistischen Inselstaat starkmachen.
Von einer Abschaffung des Embargos kann jetzt keine Rede mehr sein, droht Trump doch damit, Kuba noch mehr unter Druck zu setzen. Dafür will der US-Präsident dem Blatt zufolge drei Blockade-Hebel in die Hand nehmen: Wirtschaftssanktionen, diplomatische Isolation und den guten alten Setzkasten der Anti-Castro-Propaganda samt den Geschichten über Menschenrechtsverletzungen, die Tyrannei und die Grausamkeit des Castro-Regimes.

Und schon droht der US-Botschaft in Havanna die Schließung. Erst im Jahr 2015 haben US-Diplomaten auf eine Anordnung des damaligen Präsidenten Obama hin ihre Arbeit in Kuba aufgenommen – nachdem die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern vor einem halben Jahrhundert zerrissen worden waren. Der passende Anlass für die mögliche Schließung ist schnell gefunden: Schallattacken gegen die Botschaftsmitarbeiter, die in Kuba angeblich stattgefunden haben. In den etablierten Kreisen der US-Politik nimmt diese Geschichte gerade richtig Fahrt auf.

Der neueste Vorfall eines Schallangriffs soll sich im August dieses Jahres ereignet haben. Zuvor hatten die Vereinigten Staaten sich in Havanna offiziell beschwert und dann zwei kubanische Botschafter aus Washington ausgewiesen. Jetzt ermitteln die USA wie auch Kuba in dieser Sache, wobei die kubanische Regierung ihre Beteiligung an den angeblichen akustischen Attacken entschieden zurückweist. Washington erinnert indes, Havanna sei in der Pflicht, die Sicherheit der Botschaftsmitarbeiter zu gewährleisten.

Zehn US-Diplomaten würden derzeit in Florida medizinisch behandelt, meldete die Nachrichtenagentur Associated Press laut der Zeitung. Manche hätten nur „leichte Hirnverletzungen“ erlitten, andere hätten jedoch bleibende Schäden davongetragen: Hörverlust, motorische Störungen, Hirnödeme.

Angegriffen sollen die Diplomaten in ihren Anwesen und zumindest in einem Hotel in der kubanischen Hauptstadt worden sein – mit einer Waffe, deren Art und Weise der US-amerikanischen Führung unbekannt sei, berichtete die Agentur laut dem Blatt. Vorerst wird gemutmaßt, der Angriff sei mit einer gewissen Akustikwaffe verübt worden. Nur gelten Hirnverletzungen beim Einsatz dieser Waffenart als unwahrscheinlich, weshalb die Ermittler – das FBI, das US-Außenministerium und die US-Geheimdienste – vor einem Rätsel stehen.

Die Opfer des angeblichen Schallangriffs berichten indes, sie hätten klare Anzeichen einer Akustikattacke vernommen: Vibrationen, Lärm, ungewöhnliche Laute. Das Ganze soll nachts, mit kurzen Unterbrechungen vor sich gegangen sein. Andere Betroffene gaben an, nichts gemerkt und nichts gehört zu haben. Später jedoch hätten sie die gleichen Symptome bekommen.

Die Lage ist jedenfalls unübersichtlich. Am ehesten ist anzunehmen, dass es sich um eine gewaltige Provokation handelt, die im Handumdrehen all jene Anstrengungen und vorsichtigen Annäherungsschritte zunichtemachen kann, die die US-amerikanischen und kubanischen Diplomaten unternommen haben, um die Beziehungen ihrer Länder wiederaufzubauen. Möglicherweise sind hier auch andere Kräfte am Werk, die mit den Regierungen der beiden Länder nichts zu tun haben, sondern ihr eigenes geopolitisches Spiel treiben – ganz ohne Regeln.

An absurden Provokationen mangelt es in der Geschichte der Diplomatie freilich nicht: So manch eine Fensterscheibe ging an einer Botschaft zu Bruch, an manch einem Botschafterauto wurden die Reifen zerstochen oder gar die Sitze mit Exkrementen beschmiert. Doch Körperverletzungen infolge von Angriffen gegen Menschen, die durch völkerrechtliche Verträge geschützt sind, sind definitiv jenseits von Gut und Böse.

Havanna weist eine Beteiligung an den angeblichen Schallangriffen indes entschieden zurück und sichert seine volle Unterstützung bei den Ermittlungen zu. Jedwedes Vorgehen gegen Diplomaten und ihre Familien sei auf kubanischem Boden ausnahmslos inakzeptabel, teilte das kubanische Außenministerium mit.
In der Tat hätte die kubanische Führung von den angeblichen Schallangriffen nicht den geringsten Nutzen, schreibt die „Rossijskaja Gaseta“. Vielmehr hat sich dieser im Wortsinn schmerzlicher Vorfall demzufolge zu einem denkbar ungeeigneten Zeitpunkt ereignet: Havanna werde nämlich in Kürze einen Resolutionsentwurf über die Aufhebung der US-Blockade bei den Vereinten Nationen einreichen. Bei der Abstimmung über einen solchen Entwurf im letzten Jahr hatten sich die USA und Israel zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert enthalten, waren also nicht explizit dagegen. Und jetzt auf einmal gibt es so viele Verletzte unter den US-Diplomaten. Ein guter Anlass für bestimmte Kreise im US-Kongress, den US-Präsidenten Trump unter Druck zu setzen.

 

Quelle: Sputnik