Ankaras Motive bei Syrien-Mauerbau: „Niemand wird das offiziell sagen, aber…“

 

Mit dem Mauerbau an der Grenze zu Syrien wollen die Türken nicht nur Terroristen, illegale Migranten und Schmuggler fernhalten, sondern verfolgen auch weitere Ziele. Diese Meinung vertritt der russische Nahost-Experte Jewgeni Satanowski in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung „WPK“.

„Ende September will die Türkei, wie die Agentur Anadolu meldete, den Bau der Betonmauer entlang der syrischen Grenze zu Ende bringen. Übrig bleibt momentan nur noch eine rund 97 Kilometer lange Strecke von insgesamt 828 Kilometern. Die Arbeit läuft im südlichen gebirgigen Teil der Provinz Hatay“, schreibt Satanowski.

Wie er erläutert, werden dabei Betonblöcke mit Stacheldraht aufgestellt, aber auch Türme mit Infrarot-Kameras, Radaren und seismischen Sensoren: „Auf diesen Türmen werden ferngesteuerte Laser- und Schusswaffensysteme installiert, um bei Bedarf Menschen, Fahrzeuge und Drohnen unter Beschuss zu nehmen, aber auch Ausrüstungen, um Funksignale in verschiedenen Frequenzbereichen niederzuhalten. Die türkischen Streitkräfte wollen auch Luftschiffe einsetzen, um die Lage und die Aktivitäten auf dem syrischen Territorium zu beobachten.“
Diese Mauer errichten die Türken laut Satanowski, um ihr Territorium vor Terroristen und illegalen Migranten zu schützen, aber auch vor Waffen-, Sprengstoff- und Drogenschmuggel. Die syrischen Flüchtlinge sollen künftig nur durch Grenzübergänge in die Türkei gelangen.

Der russische Experte sieht aber auch einen weiteren Hintergrund bei diesem Projekt: „Das technische Einrichten der Grenze zeugt davon, dass die Türken keine Invasion in die kurdischen Gebiete des Anrainerlands planen, um die PYD-Verbände dort zu liquidieren. Die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Konfrontation der türkischen Armee mit den US-Amerikanern, die in kurdischen Gebieten im Norden Syriens stationiert sind und die PYD unterstützen, ist winzig klein (…) Erdogan ist nicht bereit, die Kurden-Frage gewaltsam zu klären.“

„Zwar bedeutet das nicht, dass die Türkei das Kurden-Problem an ihrer Grenze ungelöst lassen will: Sie wird sich Mühe geben, über kontrollierte bewaffnete Gruppen aus zwei Richtungen Einfluss auszuüben – nämlich von der Zone zwischen Azaz und Dscharabulus aus sowie von Idlib aus. Doch die aufwendige technische Ausstattung der türkisch-syrischen Staatsgrenze bedeutet, dass sich Ankara auf die Entstehung einer unabhängigen kurdischen Enklave im Norden Syriens gefasst macht. Niemand in der Türkei wird das irgendwann offiziell sagen, diese Möglichkeit des Geschehensablaufs wurde dort aber als Realität akzeptiert – vor allem wegen der Position Washingtons, dem die türkische Führung dies übel ankreiden wird“, prognostiziert Satanowski.

Er weist auf die geplante Parlamentswahl in Rojava, dem Kurden-Gebiet im Norden Syriens, wobei der sogenannte Rat der Föderation dort bereits funktioniert: „Neben dem Unabhängigkeitsreferendum im Irakischen Kurdistan und der ‚neutralen Position‘ der USA, die an einem Verbleib im Norden Syriens dank der Loyalität der dortigen Kurden interessiert sind, macht dies eine halbstaatliche Absonderung von Rojava zu einer beschlossenen Sache – obwohl es in vielerlei Hinsicht um keine reale Absonderung geht, sondern um ein deklaratives und propagandistisches Moment.“

Mit dem Mauerbau wollen die Türken nach Ansicht von Satanowski außerdem die Routen von materiell-technischer Hilfe für syrische Oppositionelle in Idlib unter Kontrolle stellen: „Im Hinblick auf die Präsenz türkischer Soldaten in der dortigen Schutzzone als Beobachtungsmission soll dies eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den saudischen Einfluss in Idlib spielen, um das Kampfpotenzial der Al-Nusra-Front zu minimieren und die Möglichkeiten protürkischer Gruppen zu stärken. Ohne deren Versorgung mit Waffen und Kämpfern ist die türkische Dominanz dort fraglich.“

 

Quelle: Sputnik