Japan: Abes Gespür für den richtigen Moment

 

Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe hat am Donnerstag das Parlament aufgelöst und vorgezogene Wahlen angekündigt, schreibt die Zeitung «Kommersant» am Freitag.

Laut einer Umfrage der Zeitung „Mainichi Shimbun“ sind zwar 64 Prozent der Japaner gegen diese Entscheidung des Premiers, aber Abe glaubt offenbar, dass sich seiner Liberaldemokratischen Partei keine bessere Chance für den Wahlsieg bietet. Seit Anfang dieses Jahres hatten mehrere Skandale die Positionen der Liberaldemokraten geschwächt, die wegen unbegründeter Präferenzen für mit der Partei verbundene Unternehmer und Funktionäre ausgebrochen waren, so dass Abes Umfragewerte im Juli auf 30 Prozent schrumpften. Aber nach mehreren geschickten Manövern (unter anderem nach mehreren Umbesetzungen im Kabinett) konnte der Premier seine Werte wieder auf komfortable 50 Prozent steigen lassen.

Die Parlamentswahl findet am 22. Oktober statt. Die traditionellen Gegner der Liberaldemokraten aus der Demokratischen Partei haben zwar sehr wenig Zeit für die Vorbereitung, setzen aber auf einen sehr überraschenden Schritt: Parteichef Seiji Maehara verkündete de facto die Auflösung der Partei, indem er ihre Kandidaten aufrief, unter der Schirmherrschaft der Partei der Hoffnung aufzutreten, die erst am 25. September von der Bürgermeisterin Tokios, Yuriko Koike, gegründet wurde. Die Führung der Demokratischen Partei, deren Umfragewerte bei etwa zehn Prozent liegen, beschloss offenbar, dass die Kampfansage an die Liberaldemokraten wichtiger ist als die Bewahrung der Parteimarke. Dabei hatte Koite seit dem Sommer 2016 alle Wahlen triumphal gewonnen, an denen sie sich beteiligte. Damals bekam sie bei der Bürgermeisterwahl um 17 Prozent mehr Stimmen als ihr Gegner von der Liberaldemokratischen Partei, Hiroya Masuda.
Koike begrüßte zurückhaltend die Initiative von Siji Maehara und sagte, die Partei der Hoffnung könnte durchaus die Kandidaten der Demokratischen Partei unterstützen. Das wäre für sie immerhin günstig, denn ihre neugegründete Partei hat einfach zu wenige eigene Kandidaten, um für die Führungsposten in allen Präfekturen zu kämpfen. Aber die bevorstehende Abstimmung wird für die Japaner vor allem nicht zu einer Wahl zwischen zwei Parteien, sondern zwischen zwei Persönlichkeiten: Premier Abe hatte schon seit längerer Zeit keine wirklich starken Herausforderer aus den Reihen der Opposition. Die politische Haltung Yuriko Koibes wird von Experten als „reformistischer Konservatismus“ bezeichnet: Sie plädiert für eine Erweiterung der Vollmachten der Streitkräfte, hätte nichts dagegen, wenn japanische Politiker den Yasukuni-Schrein besuchen würden, wo die sterblichen Überreste japanischer Kriegsverbrecher bestattet sind, ist aber als Umweltfreundin und Befürworterin der Verbreitung der japanischen Pop-Kultur bekannt.

Der ehemalige Botschafter Russlands in Tokio, Alexander Panow, glaubt allerdings nicht daran, dass Yuriko Koike Chancen auf einen Wahlerfolg hat. „In Japan gab es zwar schon manche vielversprechende regionale Politiker, aber auf nationaler Ebene wird sie wohl keinen Erfolg haben“, so der Diplomat. „Shinzo Abe ist in guter Form und hat eben deshalb die vorgezogene Wahl angeordnet. Damit hat er den Weg zu seiner Neuernennung im kommenden Jahr für seine letzte dreijährige Amtszeit geebnet.“

 

Quelle: Sputnik