
von Zlatko Percinic
Über Zagreb und Sarajevo schweben dunkle Wolken der Vergangenheit. Ausgerechnet die Söhne der Staatsgründer der jeweiligen Republiken Kroatien und Bosnien und Herzegowina, Miroslav Tuđman und Bakir Izetbegović, sind die entscheidenden Antagonisten im jüngsten Streit zwischen beiden Ländern. Auslöser des Streites auf höchster Regierungsebene ist ein Buch von Miroslav Tuđman, das Anfang September veröffentlicht wurde. Der Autor hatte darin behauptet, die Grundlage für den heutigen islamistischen Terror in Europa habe Altpräsident Alija Izetbegović in Bosnien Anfang der 1990er Jahre selbst gelegt. Doch das scheint für Bakir Izetbegović, ein Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina (im Nachhinein nur noch als BiH bezeichnet), nicht einmal die größte Sorge zu sein.
Vielmehr beklagt sich der Präsidentensohn über Tuđman und die kroatische Regierung, warum diese jetzt auf einmal in der Vergangenheit grabe und alte Wunden aufreiße. Auf den Vorwurf, sein Vater habe muslimische Extremisten nach Bosnien geholt und in die «El-Mudžahid»-Brigade des Dritten Korps integriert, reagierte Izetbegović äußerst gereizt:
Er [Miroslav Tuđman] sagt, dass Alija Izetbegović sie [die Dschihadisten] nach BiH gebracht hat. Im Gegenteil. Alija Izetbegović hat öffentlich bekanntgegeben, dass BiH keine ausländischen Kämpfer braucht, er bat darum, dass keine Menschen mehr aus fremden Ländern kommen. Er sagte: ‘Wir haben genügend Jungs, (aber) nicht genug Waffen.’ Was hat sie nach BiH gebracht? Kolonnen von ins Unglück gestürzten Flüchtlingen, vergewaltigte Frauen, beidseitige Aggressionen vom Osten und vom Westen. All diese Szenen, die sie auf CNN und in anderen Medien gesehen haben, haben sie hierhergebracht. Sie alle sind über das Territorium von Kroatien und Herceg-Bosna [mehrheitlich von Kroaten besiedelter Teil von BiH] gekommen, zu einer Zeit, als Miroslav Tuđman Chef des Geheimdienstes war und von dieser Sache hätte wissen müssen.
Was der bosnisch-muslimische Vertreter des Staatspräsidiums von BiH hier tut, ist nichts weiter, als alte Propaganda neu aufzuwärmen. Keine Frage, der Sohn des kroatischen Staatsgründers Franjo Tuđman, war Chef des damaligen Geheimdienstes und wusste sehr wohl, was über dessen Territorium abgewickelt wurde. Die Behauptung aber, dass alle Dschihadisten über das Territorium von Kroatien und Herceg-Bosna nach Bosnien eingesickert wären, ist schlichtweg eine Lüge. Genauso wie es eine Lüge ist, dass Izetbegovićs Vater überhaupt keine ausländischen Kämpfer, sprich Dschihadisten, ins Land holen wollte.
Dass er ausgerechnet CNN erwähnt, darf ebenfalls nicht verwundern, angesichts der Propaganda, die der Sender betrieben hat. Es war in der Tat so, dass die Bilder von Flüchtlingen und misshandelten Menschen auf CNN dafür gesorgt haben, dass sich die Wut in der muslimischen Welt erhob. Wie aber auch in den allermeisten anderen Konflikten seither berichtete der amerikanische Sender höchst einseitig und ließ unbequeme Tatsachen unter den Tisch fallen.
CIA warnte früh vor dschihadistischem Interesse an BiH
Schon früh zeigten sich die US-Geheimdienste über Deutschlands Haltung auf dem Balkan besorgt, insbesondere was den deutschen Druck innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, der Vorgängerin der Europäischen Union, zur Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens anbelangte. Obwohl man sich auch in Washington Illusionen hingab, wenn es um die Einschätzung des Präsidenten der damals noch jugoslawischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowina, Alija Izetbegović ging. Aber in einem Punkt zeigte die CIA bereits Ende 1991 weise Voraussicht: Man teilte die Sorge vor einem Eintritt islamischer Staaten und arabischer Dschihadisten in das bosnische Chaos.
Es stellte sich die Frage, ob BiH denselben Weg wie Kroatien und Slowenien gehen und eine Unabhängigkeit vom damaligen Rest-Jugoslawien anstreben oder ob es im restlichen Völkerbund der Südslawen verbleiben sollte. Das Risiko, das unausweichlich im Raum stand, war die Frage, ob eine Unabhängigkeitserklärung ebenfalls zu einem Krieg mit den Serben wie im Nachbarland Kroatien führen würde. Immerhin stellten die Serben laut der Volkszählung von 1991 nicht weniger als 31 Prozent der Bevölkerung, die Muslime oder diejenigen, welche sich selbst als Bosnier zählten, machten 43,5 Prozent aus und die Kroaten 17,4 Prozent.
Was aber alle drei Volksgruppen einte, war die kollektive Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, wo die schwersten Gemetzel auf dem Gebiet des heutigen BiH stattfanden. Ob auf der Seite Nazideutschlands, wo die kroatischen Ustaschas und Muslime standen, ob auf der Seite von radikalserbischen Tschetniks oder auf der Seite der kommunistischen Partisanen unter der Führung von Feldmarschall Josip Broz, genannt Tito: Bosnien war das Epizentrum der Gewalt auf dem südlichen Balkan. In vier Jahren, von 1941 bis 1945, starben in Bosnien 164.000 Serben, 75.000 Muslime, 64.000 Kroaten und 9.000 Juden. Weitere zehntausende Menschen, insbesondere Kroaten, fielen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Titos Vergeltungsschlägen zum Opfer.
Angesichts dieser Erinnerung und der Tatsache, dass im benachbarten Kroatien zu diesem Zeitpunkt schon ein blutiger Krieg ausgebrochen war, war der Wunsch nach Unabhängigkeit nicht so stark verbreitet wie dies vor allem in westlichen Medien dargestellt wurde. Politisch organisierten sich die drei Volksgruppen ebenfalls entlang ethnischen Linien, aber erst nachdem Muslime die Lanze gebrochen und die Partei mit dem gut klingenden Namen SDA [Stranka Demokratske Akcije = Demokratische Aktionspartei] gegründet hatten. Daraufhin gründete Radovan Karadžić die serbische Partei SDS [Srpska Demokratska Stranka = Serbische Demokratische Partei] und die Kroaten übernahmen einfach die aus Kroatien stammende HDZ [Hrvatska Demokratska Zajednica = Kroatische Demokratische Union] von Franjo Tuđman.
Der bosnische Weg in den Krieg war keineswegs unausweichlich. Das Resultat der Parlamentswahlen im November 1990 spiegelte fast 1:1 die demografische Realität wieder: von 240 Sitzen im Parlament von Sarajevo erhielt die SDA von Alija Izetbegović 86 Sitze, die SDS von Radovan Karadžić 72 Sitze, die HDZ 44 Sitze, die Kommunistische Partei BiH 18 Sitze, und der Rest ging an weitere, für die Geschichte von BiH unbedeutende Parteien. Da keine der Parteien eine absolute Mehrheit erzielen konnte, versuchte Karadžić eine Koalition mit Izetbegovićs SDA einzugehen. Was auf den ersten Blick völlig absurd erscheinen mochte angesichts der weiteren Entwicklung in BiH, ergibt bei genauerem Hinsehen durchaus Sinn. Für Karadžić kam eine Koalition mit den Kroaten nicht in Frage — aufgrund deren Unabhängigkeitskrieg gegen die Serben. Außerdem waren beide, Karadžić und Izetbegović, absolute Antikommunisten und der jugoslawischen Regierung in Belgrad seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge.
«Izet, das Oberhaupt»
Insbesondere traf dies auf Alija Izetbegović zu, der in seinen jungen Jahren ein Mitglied der radikalen Untergrundorganisation Mladic Muslimin (Junge Muslime) war. Die Mitglieder der Jungen Muslime setzten sich im Zweiten Weltkrieg für eine autonome Republik BiH unter dem Schutz von Nazideutschland ein, und nicht wenige von ihnen dienten in der 13. SS-Division Handžar. Von seinen Eltern in Titos Armee gedrängt, engagierte sich der junge Alija nebst der Organisation der Jungen Muslime auch in Form der Herausgabe einer eigenen Zeitschrift, der El-Mudžahid. Doch bereits kurz nach der Herausgabe deren erster Ausgabe im Frühjahr 1946 wurden Izetbegović und seine Mitherausgeber aufgrund eines Gedichtes mit dem Titel «Über den Dschihad» verhaftet und für drei Jahre ins Gefängnis gesteckt. Später sollte Izetbegović sagen, dass die Jungen Muslime «einer der stärksten Widersacher des Kommunismus in Jugoslawien waren».
Außerdem entging es Titos Geheimdienst nicht, wie sich Izetbegović seiner Vorfahren rühmte, die es zu Stellung und Ansehen unter der Herrschaft der Osmanen gebracht hatten, und er sich auch sehr gerne der türkischen Form seines Namens bediente: Izet-beg, was soviel wie «Izet, das Oberhaupt» heißt. Die wohl größte Ironie der Geschichte ist aber, dass Izetbegovićs Vorfahren wohlhabende Serben aus Belgrad waren und ihren richtigen Familiennamen Jahić erst mit dem Umzug von Belgrad nach Bosanski Šamac im Jahr 1861 in Izetbegović geändert hatten.
Im Jahr 1983 schlug die jugoslawische Staatsmacht erneut gegen die Jungen Muslime zu, nachdem es zuvor im Kosovo zu islamisch inspirierten Unruhen gekommen war. Und wieder landete Alija im Gefängnis. Dort sollte er dann sein wichtigstes Werk, die Islamische Deklaration, vollenden und heimlich über seine nicht verhafteten Vertrauten bei den Jungen Muslimen verteilen. Erst nach der allgemeinen Amnestie, die Jugoslawien nach dem Zusammenbruch des Kommunismus an politische Gefangene dieser Art erteilte, sollte sein Buch veröffentlicht werden.
In diesem Buch, das von westlichen Regierungen und Medien stets als allgemeine Formulierung einer islamischen Reformation gedeutet wurde, weshalb man Izetbegović deshalb stets als «moderaten Islamisten» bezeichnete, springt bereits in den ersten drei Zeilen sein Programm klar und deutlich ins Auge:
Ein Programm zur Islamisierung von Muslimen und der muslimischen Völker:
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Unser Ziel: Islamisierung von Muslimen
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Unsere Devise: Glauben und Kämpfen
«Einführung des Islams auf sämtlichen Feldern des persönlichen Lebens»
Weiter heißt es darin, dass die «Welt nicht mehr die Welt der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts sein wird», weil die «Epoche der Passivität und Ruhe für immer vorbei ist». Und «wir verkünden unseren Freunden und Feinden, dass sich die Muslime entschlossen haben, das Schicksal der islamischen Welt in die eigenen Hände zu nehmen und diese Welt nach eigenem Sinnbild zu formen». Ein «Muslim kann nur mit Allah und dem Heil des Islams sterben oder vom Schlachtfeld fliehen». Und wie sollte diese «Welt nach eigenem Sinnbild» aussehen?
Die Einführung des Islams auf sämtlichen Feldern des persönlichen Lebens jedes Einzelnen, in der Familie und Gesellschaft, durch die Erneuerung des islamischen Glaubens und der Errichtung einer einheitlichen islamischen Gemeinschaft von Marokko bis Indonesien.
Was Alija Izetbegović bewegte, war nichts Geringeres als die Wiederrichtung des islamischen Kalifats, welches vom Staatsgründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Paşa, dem späteren Atatürk, 1924 aufgelöst wurde. Damit befand er sich in derselben Gesellschaft wie Al-Kaida, Hizb ut-Tahrir, die Muslimbruderschaft oder der heutige sogenannte Islamische Staat, die allesamt das gleiche Ziel verfolgen.
Während sich die bosnischen Serben hauptsächlich für einen Verbleib von BiH in der jugoslawischen Föderation aussprachen, erkannte Radovan Karadžić, wohin die Politik der bosnischen Muslime und Kroaten steuern würde: zur Ausrufung eines unabhängigen Staates BiH. Die Frage, die sich aber alle stellten, war: Was planen Izetbegović und seine SDA wirklich? Während er sich nach außen hin betont als Vertreter eines Bosniens für alle aussprach, Fragen nach einem islamischen Kleinstaat in Bosnien klar verneinte, sich gegenüber einer Machtteilung in Sarajevo offen zeigte, sprachen die hinter den Kulissen schnell geschaffenen Fakten eine andere Sprache.
Im offiziellen Onlinemuseum des Staatsgründers von BiH wird die Gründung der Patriotska liga [Patriotische Liga, der paramilitärische Flügel der SDA] zwar erwähnt, aber absichtlich um ein paar Wochen nach hinten verlegt. In diesem Onlinemuseum heißt es, dass die Gründung der Patriotischen Liga in Reaktion auf die berüchtigte Rede von Radovan Karadžić im bosnischen Parlament am 10. Juni 1991 erfolgt wäre, die als Warnung bzw. Drohung an die Adresse der Muslime interpretiert wurde. In Wahrheit wurde der paramilitärische Flügel, in dem ausschließlich bosnische Muslime aufgenommen wurden, bereits drei Monate vorher im März 1991 gegründet: also vor der Rede von Karadžić! Dazu kam, dass dieser paramilitärische Flügel von Kroatien unterstützt und ausgebildet wurde, was entsprechend als Aufbau einer antiserbischen Miliz gewertet werden konnte. Wie kurzsichtig Kroatien handelte, zeigte sich wenig später anhand der anschließenden Verbrechen der «Patriotischen Liga», die an Kroaten und Serben gleichermaßen verübt wurden.
Es wäre aber falsch, in der Frage der Bewaffnung nur bei den bosnischen Muslimen einen Sündenbock zu suchen. Alle Seiten bereiteten sich auf den Ernstfall vor und fingen an, nach Waffen zu suchen. Am einfachsten gestaltete sich das bei den Serben, diese erhielten heimliche Hilfe von der Jugoslawischen Volksarmee (JNA). Als der Krieg schließlich 1992 ausbrach, entschied sich das jugoslawische Verteidigungsministerium — bestehend aus Serbien und Montenegro — am 14. April dazu, Soldaten aus Serbien und Montenegro aus Bosnien abzuziehen. Der Großteil der JNA-Soldaten in Bosnien war jedoch bosnischer Herkunft, so dass das in Banja Luka ansässige 5. Korps der JNA einfach in das 1. Krajina Korps der Armee der Republik Srpska (VRS) umbenannt wurde, inklusive schwerem Kriegsgerät, Soldaten und Führung.
Multiethnischer Staat als Fassade
Eine als Top-Secret eingestufte CIA-Analyse vom 22. Oktober 1992 zeigt, wo die Probleme für Alija Izetbegović lagen: Er musste nach außen hin den Anschein einer einheitlichen bosnischen Regierung zu wahren, die als Vertreterin aller Ethnien gelten kann und den bosnischen Kroaten, die bis dahin «die effektivsten Truppen zur Bekämpfung der Serben bereitgestellt haben», auch Rechnung zollen. Doch von alledem wollte die muslimische Fraktion nichts wissen, die von Izetbegović etwas ganz Anderes erwartete und auch versprochen bekam. Was das war, eröffnete der heutige angesehene Professor Adnan Jahić in der von der SDA-finanzierten Kriegszeitung «Zmaj od Bosne» (Bosnischer Drache) in einem Manifest «Krijeposna muslimanska država», welches mit großer Mühe aus dem Internet gesäubert werden sollte. Dort hieß es:
Das Territorium unter der Kontrolle der bosnischen Armee nach dem Krieg wird ein muslimischer Staat sein. […] Der muslimische Staat wird ein Nationalstaat der Bosnier oder Muslime sein, mit Bürgerrechten für Minderheiten. […] Der muslimische Staat wird eine islamische Ideologie praktizieren, basierend auf dem Islam, islamischer Religion, gesetzlichen, ethischen und sozialen Prinzipien. […] Die islamische Ideologie wird mit der Zeit die Dualität zwischen heilig und säkular, religiös und politisch, abschaffen, weil diese uns gegen unseren Willen durch das christliche Europa aufgezwungen wurde.
Spätestens im Jahr darauf, wurde allen Beteiligten klar, dass ein multiethnisches Bosnien und Herzegowina lediglich ein Wunschgedanke der westlichen Regierungen bleiben würde. In einem weiteren Bericht des Vorsitzenden aller US-Geheimdienste vom Oktober 1993 heißt es ganz klar, dass der sogenannte Vance-Owen-Plan keine Chance hat und dass die Zeichen auf eine Aufteilung des BiH-Staatsgebietes unter den Serben und Kroaten stehen, mit einem nicht überlebensfähigen Rumpfstaat für die bosnischen Muslime. Doch die europäischen Regierungen bevorzugten genau diese Variante, wie es weiter in dem Bericht heißt:
Die Europäer sind besorgt, dass ein muslimischer Mini-Staat ein Brückenkopf für radikalislamische Bewegungen in Europa sein wird, aber sie ziehen dieses Risiko einer serbisch-kroatischen Teilung vor, die eine noch größere Auswanderung von bosnischen Muslimen nach Westeuropa zur Folge hätte. Europäische Hilfsfonds sind aufgrund von konkurrierenden Prioritäten ausgezehrt, doch EG-Mitglieder möchten ihren guten Willen gegenüber dem Überleben des muslimischen Mini-Staates zeigen, um dem radikalislamischen Einfluss entgegenzusteuern. Was auch immer sie zur Verfügung stellen, wird jedoch zu wenig sein angesichts der Milliarden von Dollar, die für den enormen Bedarf des Wiederaufbaus von Bosnien benötigt werden.
Ganz nach dem Motto «Augen zu und durch», wurde Bosnien von der internationalen Staatengemeinschaft zu genau jenem Gebilde verurteilt, vor welchem die US-Geheimdienste gewarnt haben: zu einem Brückenkopf für radikalislamische Bewegungen in Europa.
Ruhiges Hinterland in dörflichen Parallelwelten
Als Kroaten und Serben in Bosnien über muslimische Gräueltaten wie Enthauptungen, Verbrennungen bei lebendigem Leib und weitere blutige Gemetzel berichteten, wurde dies von den Medien als «Hassphantasien» abgetan. Leider war es eine schreckliche Wahrheit, die man im Westen nicht wahrhaben wollte. Auch nicht, als der algerische Dschihadist mit dem nome de guerreAbu Ma’ali Anfang 1992 nach Bosnien kam und zum Emir der «El-Mudžahid»-Brigade werden sollte. Oder als Alija Izetbegović 1992 in Bahrain die Werbetrommeln für Kämpfer — Dschihadisten — rührte, was sein Sohn 25 Jahre später in Abrede stellen sollte, aber tatsächlich von Abu Ma’ali bei seinem organisierten Weggang aus BiH im Sommer 1996 bestätigt wurde.
Nach dem Krieg, der mit dem mehr schlecht als recht geratenen Abkommen von Dayton 1995 beendet wurde — manche sagen auch «eingefroren» -, entstand in BiH eine regelrechte Infrastruktur des Terrors, die auch vielen der späteren 9/11-Terroristen eine Basis bot. Mit einer Investition von über sechs Milliarden US-Dollar stellte Saudi-Arabien auch die Weichen für eine ideologische Beeinflussung des bosnischen Islam durch den Wahhabismus, was sich auch im «wahhabitischen Terror» äußerte, wie Lokalmedien ihn nannten. Diese Beeinflussung oder Indoktrinierung geht soweit, dass die Gründe der Uneinigkeit innerhalb der muslimischen Gemeinschaft, der Umma, innerhalb der bosnischen muslimischen Community vorrangig dem «Verlassen des Dschihad» zugeschrieben werden.
Für Husein Bilal Bosnić, einen der führenden bosnischen Wahhabiten und Rekrutierer für den Islamischen Staat in Europa, ist hingegen der «wunderschöne Dschihad über Bosnien aufgegangen». Mit «Dynamit auf der Brust werden wir den Weg des Dschihad ebnen», besingt er diesen Weg in einem seiner «Gedichte». Dieser Weg führte ihn aus Bosnien nach Italien, wo er im «Centro del Jihad in Italia» in Mailand, in Cremona, Bergamo und Siena, zudem auch in der Schweiz oder auch in Deutschland seine Predigten abhielt. Und überall stieß er auf fruchtbaren Boden für neue Rekruten. Deshalb kann er auch kaum erwarten, bis BiH als neues Mitglied der Europäischen Union aufgenommen wird, «um den schönen Islam ohne Grenzen zu verbreiten».
Während Bosnić ein «einheimischer» Wahhabit und Unterstützer für den Dschihad ist, sind viele seiner ehemaligen Mitkämpfer aus der «El-Mudžahid»-Division in das Kosovo gezogen, als sich dort ein neues Schlachtfeld aufgetan hatte. Diese Veteranen haben dann nicht nur junge Männer inspiriert, es ihnen gleichzutun, sondern auch dafür gesorgt, dass die Strukturen des Terrors nie wieder vom Balkan verschwunden sind. Ganz im Gegenteil: Diese haben sich von Bosnien aus nach Kosovo, Albanien, Mazedonien, Serbien und Montenegro ausgebreitet.
Extremisten drohen mit Rache für Bürgerkriegsgräuel
Deshalb nimmt man die Warnungen von rückkehrenden IS-Terroristen, die nach der Zerschlagung des so genannten Islamischen Staates in Syrien und Irak nach Bosnien zurückkommen könnten, durchaus ernst. Die Nachricht der im regelrechten Blutrausch gestählten Dschihadisten an die Adresse von Zagreb und Belgrad lautet:
Wir haben euer Morden, eure Gewalttätigkeiten und Vergewaltigungen in Bosnien nicht vergessen. Wir haben den Balkan nicht vergessen. […] Und wir werden ihn nicht vergessen. Wir waren nur ein bisschen anderweitig beschäftigt.
Sie drohen nicht nur Kroaten und Serben, deren Blut sie als «weniger wert als das von jenen, die vom Glauben abgefallen sind» betrachten, sondern auch bosnischen Imamen der staatlichen Islamischen Gemeinschaft. In mindestens 28 wahhabitischen Dörfern von Zentralbosnien, die außerhalb jeglicher Staatskontrolle ihr Mini-Saudi-Arabien aufgezogen haben, werden sie auf jeden Fall wie Helden mit offenen Armen empfangen. Gegenüber ihren «Brüdern» aus den 1990er Jahren haben sie allerdings den Vorteil, dass sie nicht auf das Wohlwollen der bosnischen Staatsmacht angewiesen sind, sondern auf die bestehenden Strukturen einer länderübergreifenden wahhabitischen Krake zurückgreifen können.
Aus diesem Grund soll auch angeblich Deutschland nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt eine Warnung in Richtung Sarajevo gesendet haben, wonach Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ausweisung sämtlicher Dschihadisten aus BiH forderte. Andernfalls würden deutsche Antiterror-Einheiten diesen Job übernehmen. Eine Forderung, die jedoch nicht einmal die Amerikaner Ende der 1990er Jahre durchsetzen konnten.
Wie sagte doch Alija Izetbegović 1993?
Islamisierung, wie Sie es nennen, gibt es in Bosnien, aber es gibt im gleichen Masse auch eine Christianisierung, das heißt ein rückkehrendes Interesse zum Glauben der bosnischen Katholiken und Orthodoxen. […] Nur muss ich Sie berichtigen, meine Toleranz ist nicht europäischen, sondern muslimischen Ursprungs. Wenn ich tolerant bin, bin ich das in erster Linie als Muslim, danach als Europäer.
Quelle: RT