Am vergangenen Wochenende berichtete die Tageszeitung junge Welt (jW) über den Baufortschritt der US-Raketenabwehrbasis im polnischen Redzikowo. Diese soll im kommenden Jahr fertig gestellt werden — für Russland ein Akt der Provokation. Aus diesem Anlass bereitet sich die russische Regierung im Gegenzug vor, ihre Reaktionsfähigkeit in der russischen Exklave Kaliningrad aufzubessern.
Nach einer Analyse von STRATPOINTS, der polnischen Stiftung für Sicherheit und Entwicklung, sei der polnischen Führung der Schritt vonseiten Russlands bereits bekannt und werde antizipiert. Demnach sollen auf polnische Ziele ausgerichtete Kurzstreckenraketen im Gebiet Kaliningrads positioniert werden — dabei ist besonders die US-Raketenabwehrbasis in Redzikowo bei Slupsk berücksichtigt.
Vergangenen Freitag berichtete die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita über Aussagen des Chefredakteurs des russischen Militärjournals «Natsionalnaja Oborona», zu Deutsch: Nationale Verteidigung. Igor Korotschenko bestätigte darin die analytischen Ausführungen der polnischen Stiftung zu den russischen Raketen des Typs «Iskander». Des Weiteren soll die US-Basis in Redzikowo eine besondere Bedrohung für die Russische Föderation darstellen, da in den Abschussvorrichtungen die herkömmlichen Abfangraketen leicht mit Offensivmarschflugkörpern der Art «Tomahawk» ausgetauscht werden können, so Korotschenko. Diese seien schwer abzufangen, ergänzte er.
Vermeintlicher «Aggressor» kürzt seinen Militäretat
Zwischen der russischen Basis im Kaliningrader Gebiet und der voraussichtlich im Jahr 2018 einsatzbereiten US-Raketenabwehrbasis liegen ungefähr 300 Kilometer. Die russischen Kurzstreckenraketen haben eine Reichweite von ungefähr 400 Kilometern.
Aus dem Artikel der jungen Welt geht außerdem hervor, es heiße in der polnischen Sicherheitsanalyse, die «goldene Zeit» der Aufrüstung für Russland sei zu Ende. Einen Hinweis darauf solle der um 20 Prozent gekürzte Verteidigungshaushalt Russlands im Jahr 2015 geben. Die polnische Prognose laute, dass die russischen Ausgaben in diesem Bereich in Zukunft noch weiter sinken werden. Im Falle der Richtigkeit dieser Angaben könnte umso weniger die Rede von einer vorsätzlichen russischen Bedrohung sein.
Tschechien zog sich 2011 zurück
Noch im Jahr 2007 und 2008 war die Debatte um die Raketenabwehrbasis in Polen und das damit verbundene Radarsystem in Tschechien um einiges umstrittener. Damals berichtete unter anderem die New York Times über die Skepsis der tschechischen Bevölkerung und Regierung gegenüber der Installation eines Radars. Dieser Radar wäre ein essenzieller Teil des Raketenabwehrsystems gewesen, samt der US-Basis im polnischen Redzikowo.
Die Tschechen zogen sich zwar im Jahr 2011 aus dem bilateralen Projekt zurück, unterstrichen jedoch ihre volle Unterstützung für eine weitere Teilnahme an einem umfassenden NATO-Raketenabwehrprogramm. Die US-amerikanische Führung behielt die Basis in Polen, musste aber umdenken und ergänzte das Vorhaben auf der Basis einer Zusammenarbeit mit Rumänien. Diese Ergänzung räumte Rumänien die gleiche Wichtigkeit im Bereich der Zusammenarbeit ein, was der polnischen Führung missfiel, da sie so ihrer besonderen Stellung enthoben wurde.
Bilaterales Defensivprojekt gegen den Iran wird zum Teil eines NATO-Aufmarsches gegen Russland
Selbst Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel vertrat damals eine zurückhaltende Position, in der sie beteuerte, dass das System rein defensiver Natur sei und einzig auf Grund der Bedrohung durch den Iran aufgerichtet werde. Seitdem wurde regelmäßig diese Begründung für den Bau des US-amerikanischen Raketenabwehrsystems genannt. Merkel kritisierte Anfang 2007 sogar noch die USA für deren Alleingang beim Vorantreiben des Raketenabwehrsystems und warnte vor «Spaltungen» in Europa. Darüber hinaus hatten die US-amerikanischen Gespräche zum Bau des Systems als bilaterale Projekte mit Polen und Tschechien begonnen. Im Laufe der Zeit wandelte sich das bilateral geprägte Verteidigungsvorhaben zu einem der wichtigsten NATO-Projekte auf dem europäischem Kontinent. Der bereits anfänglich geäußerte Argwohn des russischen Präsidenten, der angebliche Verteidigungsschild gegen den Iran könnte als aggressiver Akt gegen Russland enden, hatte sich einmal mehr als berechtigt erwiesen.
RT Deutsch drehte letztes Jahr eine Reportage über den Bau der US-Raketenabwehrbasis im polnischen Redzikowo.
Quelle: RT