Showdown für Jamaika: Am Donnerstag kommen CDU, CSU, FDP und Grüne zur entscheidenden Sondierungsrunde zusammen. Ob Kohleausstieg, Familiennachzug bei Flüchtlingen oder Finanzpolitik — die Differenzen sind weiter beträchtlich. In der Nacht gingen die Parteispitzen ohne großen Durchbruch auseinander.
Mit einem Bündel strittiger Punkte gehen CDU, CSU, FDP und Grüne in die entscheidende Phase ihrer vor rund vier Wochen begonnenen Sondierungen für eine Jamaika-Koalition. Eine Einigung soll in einer Nacht der Entscheidung bis zum Freitagmorgen gelingen. Streit gibt es noch um zentrale Punkte wie den Familiennachzug von Flüchtlingen, die Reduzierung der Kohleverstromung zum Klimaschutz, die Verkehrs- sowie die Finanzpolitik. Auch ein Scheitern der Verhandlungen ist nicht völlig ausgeschlossen. Vor allem CSU und Grüne werfen sich gegenseitig in zum Teil bissiger Form vor, nicht genügend kompromissbereit zu sein.
Schwierig sind die Verhandlungen auch, weil die Wünsche der vier potenziellen Partner deutlich mehr kosten als Geld in der Kasse ist. Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen gehen inzwischen von einem Finanzspielraum für die kommenden vier Jahre von 35 bis 40 Milliarden Euro aus. Wie Grünen-Politiker Jürgen Trittin am Mittwochabend in Berlin nach den Beratungen zu den Finanzen sagte, habe der geschäftsführende Finanzminister Peter Altmaier (CDU) wie erwartet „noch ein paar Milliarden gefunden“.
Je nach Berechnung — etwa durch Einbeziehung von Umschichtungen im mittelfristigen Finanzplan oder durch Privatisierungen — könnten auch bis zu 45 Milliarden Euro möglich werden. Von anderen Teilnehmern der Beratungen hieß es, man habe lediglich über verschiedene Szenarien geredet, eine feste Zahl sei nicht genannt worden.
Die FDP beharrt auf der Abschaffung des Solidaritätszuschlages in dieser Wahlperiode. „Für die Freien Demokraten ist eine Entlastung der Bürger durch die Abschaffung des Soli unerlässlich“, sagte FDP-Generalsekretärin Nicola Beer der Deutschen Presse-Agentur. Sie fügte hinzu: Das gelte auch für „mehr Ordnung bei der Zuwanderung durch ein Einwanderungsgesetz, weltbeste Bildung durch eine Reform des Bildungsföderalismus und eine Balance zwischen Sicherheit und bürgerlichen Freiheitsrechten“. „Die nächsten 24 Stunden werden zeigen, ob es in diesem Sinne ein inhaltliches Fundament für eine Jamaika-Koalition gibt.“
„Es zieht gerade ein Hurrikan auf über Jamaika“
FDP-Vize Wolfgang Kubicki zeigte sich nach Abschluss der Beratungen am späten Mittwochabend skeptisch: „Ich würde sagen, es zieht gerade ein Hurrikan auf über Jamaika.“ Das habe auch mit dem Klima zu tun. Auf die Frage, ob die Sondierungen in der Schlussrunde erfolgreich sein werden, sagte Kubicki: „Die Frage kann ich nicht beantworten.“ Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte: „Der Hurrikan kommt halt daher, dass sich beim Klima so wenig tut.“ Die Grünen-Politikerin Claudia Roth kritisierte die wiederholten Attacken der CSU: Die Art und Weise, wie die CSU versuche, die Grünen zu provozieren, „trägt nicht zur Vertrauensbildung bei“.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sprach von einer „harten Nummer“ in der letzten Verhandlungsnacht. „So groß weiter ist man heute noch nicht gekommen — da muss morgen schon ein ziemliche Sprung nach vorne kommen.“ Migration, Steuern, Finanzen, Haushalt, Verkehr, Klima, und Energie — „das werden die harten Klopper bleiben“.
CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn betonte, es sei so wichtig wie mühsam, Kompromisse zu finden, die über die kommenden vier Jahre tragen. „Alles andere wäre Traumtänzerei“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstag). „Es wird keine Koalition um jeden Preis geben. Alle Partner müssen sich mit ihren Themen und Inhalten wiederfinden. Ich bin optimistisch, dass das gehen kann.“
Kauder: „Kompromissbereitschaft ist gefragt“
Unionsfraktionschef Volker Kauder appellierte nochmals an die Unterhändler: „Kompromissbereitschaft ist gefragt, ohne den anderen zu überfordern.“ Jede Partei habe ihre besonderen Schwerpunkte, sagte der CDU-Politiker der „Rheinischen Post“ (Donnerstag). Die Gespräche würden sehr schwierig. „Dennoch bin ich zuversichtlich, dass wir am Ende zu einem positiven Ergebnis kommen.“
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl rief FDP und Grüne auf, sach- und zielorientiert zu arbeiten. „Jetzt muss auf jeden Fall mancher Bohei um die Sondierungen ein Ende haben“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sprach sich gegen eine Verlängerung der Sondierungen aus, wenn eine Einigung bis zum Freitag nicht gelingen sollte. „Wenn man nach drei Wochen Verhandlungen nicht sagen kann, dass man ein stabiles Regierungsbündnis miteinander eingehen kann, dann helfen auch drei weitere Tage nicht weiter“, sagte sie der „Rheinischen Post“.
Jamaika: Die größten Hürden für die Nacht der Entscheidung
STEUERN, FINANZEN, HAUSHALT: Soli-Abbau, Kindergeld, Freibeträge, Schulen, Integration, Netzausbau — die Wünsche aus CDU, CSU, FDP und Grünen summieren sich nach Berechnungen von Unionsexperten auf 100 Milliarden Euro. Wo soll das Geld bloß herkommen? Zuletzt gingen die Jamaika-Unterhändler von einem Finanzspielraum für die kommenden vier Jahre von 35 bis 40 Milliarden Euro aus.
Je nach Berechnung — etwa durch Einbeziehung von Umschichtungen im mittelfristigen Finanzplan oder durch Privatisierungen — könnten bis zu 45 Milliarden Euro möglich werden. Von anderen Teilnehmern der Beratungen am Mittwochabend hieß es, man habe über verschiedene Szenarien geredet, eine feste Zahl sei nicht genannt worden. Immerhin seien sich alle Seiten einig, die solide Haushaltspolitik mit der „Schwarzen Null“ fortzusetzen, sagt CDU-Generalsekretär Peter Tauber.
KLIMA: CDU, CSU, FDP und Grüne bekennen sich zwar zu den deutschen und internationalen Klimazielen. Umstritten ist aber schon, wie viel CO2 Deutschland bis 2020 zusätzlich einsparen muss, um das eigene Ziel zu schaffen. Dass die Stromgewinnung aus Kohle zurückgefahren werden muss, ist inzwischen Konsens. Aber um wie viele Gigawatt? Und sollen die Kraftwerksbetreiber entschädigt werden dafür, dass sie abschalten, oder nicht? Da sind die Fronten noch verhärtet.
MIGRATION: Die Beratung zu diesem Thema war zunächst wegen massiver Differenzen ausgesetzt worden. CSU und CDU halten bisher strikt an ihrem Unions-Kompromiss fest, der eine Art Obergrenzenrichtlinie bei der Zuwanderung vorsieht. Die Grünen fordern eine Ausweitung des Familiennachzugs — CDU und vor allem CSU sind hier dagegen. Die große Koalition hatte den Familiennachzug bei Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus für zwei Jahre bis März 2018 ausgesetzt. Die FDP dringt ähnlich wie die Grünen auf eine Einwanderungsgesetz. Die Union ist für ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz offen. Strittig sind Details.
VERKEHR: Hier hakt es vor allem beim Verbrennungsmotor — und wie. Von einem festen Enddatum haben sich die Grünen inzwischen verabschiedet, würden aber gern zum Beispiel über CO2-gebundene Steuern saubere Autos bevorzugen. Weitere Streitpunkte sind die Nachrüstung von Dieselautos und die Blaue Plakette für relativ saubere Autos, die gegen die hohe Stickoxid-Belastung in Innenstädten helfen soll. Vor allem die CSU, aber auch die FDP stemmt sich dagegen.
INNEN, SICHERHEIT, RECHTSSTAAT: Bis zuletzt liegen die Innenexperten der Jamaika-Parteien beim zentralen Punkt Vorratsdatenspeicherung über Kreuz — auch nach einem Kompromissangebot der Union. FDP und Grüne bestehen darauf, das Prinzip der anlasslosen Datenspeicherung durch ein anlassbezogenes Vorgehen zu ersetzen. CDU und CSU hatten vorgeschlagen, darauf zu verweisen, dass man der laufenden juristischen Prüfung der umstrittenen Speicherung nicht vorgreifen werde. Falls das Ergebnis der Prüfung Änderungen nötig mache, wolle man die zügig umsetzen. Darauf ließen sich FDP und Grüne nicht ein.
AGRAR: Streit gibt es weiterhin über den Umgang mit EU-Agrarsubventionen. Die Grünen würden sie gern stärker an Natur- und Tierschutz ausrichten.
EUROPA: Die CSU pocht auf den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Die Grünen wollen die Beziehungen zur Türkei eingefroren lassen. Einen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche sei das falsche Signal. Umstritten ist weiterhin auch, wie Eurostaaten mit schweren finanziellen Problemen geholfen werden soll.
Quelle: Merkur.de