Im April 2017 hat das Amtsgericht Berlin-Tiergarten einen 57jährigen Arbeitslosen wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Beleidigung bei einem Tagessatz von nur 30 Euro zu einer Geldstrafe von 4.800 Euro verurteilt. Der Mann hatte Claudia Roth (Grüne) im Herbst 2015 auf Facebook als „linksfaschistische Sau“ beschimpft und gefordert, sie „aufzuhängen“. Ein Angestellter mit einem mittleren Einkommen sähe sich einer deutlich drastischeren Geldstrafe ausgesetzt.
Dieses Beispiel, eines von vielen, belegt, daß der Rechtsstaat auf Straftaten im Netz angemessen reagieren kann. Und muß. Das Strafgesetzbuch und der Rechtsstaat kennen keinen Unterschied, ob Beleidigung, Volksverhetzung oder das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen auf einer Versammlung, im Fernsehen oder im Internet stattfindet.
Der Frontalangriff von Justizminister Heiko Maas (SPD) und der Großen Koalition auf die Meinungsfreiheit läuft unter der absurden Überschrift „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG). Ein Gesetz, das verfassungswidrig, europarechtswidrig und völkerrechtswidrig ist. Und, wie das obige Beispiel zeigt, auch vollkommen überflüssig.
„Erhebliche Fortschritte“ beim Löschen von Inhalten
Die auch ohne NetzDG mögliche Ahndung von Straftaten zeigt, daß es den Befürwortern dieses Gesetzes nicht um die Bekämpfung von Straftaten in sozialen Medien geht, sondern um etwas anderes: die Zurückgewinnung der Herrschaft über den politischen Diskurs. Dieser ist zu erheblichen Teilen abgewandert. Von den klassischen Printmedien, die massiv an Auflage verlieren. Und von den öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren Glaubwürdigkeit beschädigt ist und deren Gremien von Personen dominiert werden, die durch politische Seilschaften dorthin gelangt sind. Gehen Sie ins Netz, googeln Sie „ZDF-Verwaltungsrat“ und schauen sich deren Mitglieder an. Dann wissen Sie Bescheid, wie die „Staatsferne“ des Rundfunks in der Realität aussieht.
Im Ergebnis ist das NetzDG nichts anderes als staatliche Erpressung zur Ausschaltung kritischer Stimmen in den sozialen Medien. Seit der Verabschiedung des Gesetzes im Parlament laufen Säuberungswellen durchs Netz. Wenn einem „der wortgewaltigsten Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik in den sozialen Netzwerken“ (Spiegel 38/17, über den Autor dieser Zeilen) durch maschinelle Massenlöschung von Profilen bei Facebook mindestens 5.000 Abonnenten abhanden kommen, dann handelt es sich dabei auch um Fake-Profile. Aber das sind nicht annähernd die 20 Prozent, die jetzt fehlen.
Anderen kritischen Stimmen geht es genauso. Die nach anwaltlicher Intervention postwendend korrigierte Löschung des Twitter-Profils des namhaften Islam-Kritikers Hamed Abdel-Samad zeigt, zu welchen grotesken Fehlleistungen und Überreaktionen diese gesetzgeberische Nötigung führt. Bekannte Namen können sich wehren, normale Nutzer werden digital exekutiert, ihre Beiträge gelöscht. Sie sind die Kollateralschäden, die „zivilen Opfer“ dieser auf Mindestlohn-Jobber ausgelagerten Paralleljustiz, die über unsere Meinungsfreiheit richtet. Man kann angesichts der schon sektenhaften Geheimnistuerei bei Facebook nur darüber spekulieren, wie weit das Unternehmen durch Algorithmen (sogenanntes „Edgeranking“) auch in die Reichweite politischer Inhalte eingreift. Daß massenhaft rechtmäßige Inhalte gelöscht und Sperren verhängt werden, ist hingegen unwiderlegbar dokumentiert – zum Beispiel auf der „Facebook Wall of Shame“.
Glaubwürdigkeit der Liberalen steht zur Debatte
„Offizielle Zahlen“ seitens der Unternehmen gibt es nicht. Der erste Report der halbjährlichen Berichtspflicht ist erst Mitte 2018 fällig, denn für die Einrichtung des verlangten Beschwerdemanagements haben die Internetfirmen gemäß einer Übergangsphase noch Zeit bis zum 1. Januar 2018. Doch Facebook erklärt auf Anfrage, „bei der Entfernung illegaler Inhalte“ bereits „erhebliche Fortschritte“ erzielt zu haben. Man habe „viel Zeit und Ressourcen investiert, um dem NetzDG zu entsprechen und arbeite hart daran, die richtigen Prozesse für die verschiedenen Bestimmungen aufzusetzen.“
Auch das Bundesjustizministerium, das derzeit die Bußgeld-Leitlinien erarbeitet, rüstet auf. Im Bundesamt für Justiz (BfJ), das die Einhaltung des NetzDG überwacht und auch als zuständige Bußgeldbehörde fungiert, wurde eine neue Abteilung mit 50 Mitarbeitern eingerichtet.
Aus den „Sondierungsgesprächen“ von Union, Grünen und FDP dringt derweil die gemeinsame Position nach außen, man wolle „das Netzwerkdurchsetzungsgesetz durch eine Neuregelung weiterentwickeln“. Ein Gesetz, das FDP-Chef Lindner kurz vor der Bundestagswahl in einem Interview mit dem Autor „aus mehreren Gründen für falsch“, für „verfassungswidrig“ und „eine große Gefahr für die Meinungsfreiheit“ bezeichnete. Ein solches Gesetz kann man nicht weiterentwickeln. Man kann es nur aufheben oder, als Kompromißlösung, dem Bundesverfassungsgericht im Wege der abstrakten Normenkontrollklage zur Prüfung vorlegen. Diese Frage berührt die Glaubwürdigkeit der Liberalen in ihrem Kern.
Quelle: Junge Freiheit