Die Europäische Union (EU) bereitet die Einrichtung einer Behörde zur Überwachung und Zensur so genannter „Fake News“ vor. Um zu entscheiden, welche Vollmachten diese Behörde haben soll, beruft die EU eine hochrangige Expertengruppe ein, die Medienexperten und die Öffentlichkeit auffordert, Kritik an „Fake News“ vorzubringen. Die Behörde soll im nächsten Frühjahr ihre Arbeit aufnehmen.
Von Alex Lantier
Ein genauerer Blick auf die Ankündigung der EU zeigt, dass sie sich die massenhafte staatliche Zensur, die derzeit vorbereitet wird, nicht etwa gegen Falschinformationen, sondern gegen Nachrichten und politische Ansichten richtet, die die Opposition der Bevölkerung gegen die europäische herrschende Klasse zum Ausdruck bringen.
Der Begriff „Fake News“ ist in den Vereinigten Staaten während der Kampagne populär geworden, die die unbewiesenen Behauptungen aufstellte, Donald Trumps Wahlsieg sei auf russische Manipulationen der Präsidentschaftswahl von 2016 zu Gunsten Trumps und zu Ungunsten Hillary Clintons zurückzuführen. Diese Kampagne nimmt immer mehr die Form aggressiver Forderungen nach der Zensur des Internets an, um kritische Ansichten und soziale Proteste zu unterdrücken.
Bei einer Anhörung im US-Senat forderte der ehemalige FBI-Agent Clint Watts ganz offen Zensurmaßnahmen. Die anwesenden Senatoren, die mit Watts Vorschlag offensichtlich sympathisierten, verurteilten Russland, weil es angeblich „Rassenunruhen und soziale Spaltungen“ in Amerika schüre. Watts sagte:
„Bürgerkriege beginnen nicht mit Schüssen, sondern mit Worten. Amerikas Krieg mit sich selbst hat schon begonnen. Wir müssen jetzt alle auf dem Schlachtfeld der sozialen Medien tätig werden, um Informationsrevolten zu unterdrücken, die sehr schnell zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen und uns leicht in die Gespaltenen Staaten von Amerika verwandeln könnten.“
Die Zensurbehörde der EU gegen „Fake News“ dient im Wesentlichen den gleichen politischen Zwecken. Sie zielt darauf ab, eine Situation zu schaffen, in der nicht gewählte Behörden kontrollieren, was Menschen online lesen oder sagen können.
„Wir leben in einer Ära, in der der Informations- und Desinformationsfluss fast überwältigende Ausmaße angenommen hat“, erklärte EU-Vizepräsident Frans Timmermans. Er fügte hinzu, dass die EU die Aufgabe habe, ihre Bürger vor „Fake News“ zu schützen und „die Informationen zu verwalten, denen sie ausgesetzt sind“.
Einer Presseerklärung der EU zufolge wird die EU-Kommission und damit ein weiteres nicht gewähltes Gremium, die Expertengruppe auswählen, „die im Januar 2018 ihre Arbeit aufnehmen und mehrere Monate tätig sein soll“. Sie werde „mögliche zukünftige Schritte [erörtern], um den Zugang der Bürger zu verlässlichen und verifizierten Informationen zu stärken und die Verbreitung von Desinformationen im Internet zu verhindern.“ Wer soll entscheiden, welche Informationen „verifiziert“ sind, wer „vertrauenswürdig“ ist und wessen Ansichten „Desinformation“ sind, die dann aus Facebook gelöscht oder aus Google Suchergebnissen entfernt werden? Natürlich die EU!
Wie in den USA ergibt sich die Kampagne gegen „Fake News“ aus den Operationen gegen Russland und aus Versuchen, die immer unpopulärere Politik der EU vor Kritik zu schützen. Dies betrifft vor allem die immer schnellere Hinwendung der europäischen Bourgeoisie zu Militarismus und autoritären Herrschaftsmethoden.
Der Presseerklärung der EU zufolge begann die neue Initiative mit der Einrichtung der sogenannten „East Strategic Communication Task Force“ (East Stratcom) durch den Europäischen Rat im März 2015. Kurz zuvor hatten Washington und Berlin im Februar 2014 mit Erfolg eine Operation zum Regimewechsel in der Ukraine organisiert. Unter der Führung von faschistischen und anti-russischen Milizen des Rechten Sektors wurde die pro-russische Regierung in Kiew gestürzt. Der Putsch führte zu einem erbitterten Bürgerkrieg in den russischsprachigen Gebieten der Ostukraine, der Anfang 2015 noch in vollem Gange war.
Die EU war sich über den faschistischen Charakter der ukrainischen Milizen vollkommen im Klaren. Das EU-Parlament hatte erst 2012 eine Resolution verabschiedet, in der eine der Parteien, die in Kiew an die Macht gebracht worden waren, Swoboda, formell verurteilt wurde. In der Resolution hieß es, Swobodas „rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche“ Ansichten seien nicht mit den grundlegenden Werten der EU vereinbar. Das EU-Parlament forderte demokratische Parteien auf, „nicht mit dieser Partei zusammenzuarbeiten, sie zu fördern oder Koalitionen mit ihr einzugehen.“
Nachdem der amerikanische und der europäische Imperialismus Swoboda an die Macht gebracht hatten, verurteilten europäische Medien die Kritik daran, dass die EU mit Neofaschisten zusammenarbeite, als „russische Lügenpropaganda“.
Das sind die reaktionären politischen Wurzeln der Kampagne gegen „Fake News“ in Europa im Allgemeinen und von East Stratcom im Besonderen. Laut der aktuellen Presseerklärung der EU wurde die Agentur gegründet, um „täglich Inhalte der anhaltenden russischen Desinformationskampagnen zu identifizieren, zu analysieren und das Bewusstsein dafür zu schärfen.“ In der Erklärung zu ihrem Auftrag heißt es, ihr erstes Ziel liege darin, eine „effektive Kommunikation“ sicherzustellen und die Politik der EU gegenüber ihren östlichen Nachbarn zu fördern. Im Klartext bedeutet das: Die Agentur soll die aggressive Politik der EU und ihre Verbindungen zu Neofaschisten in der Ukraine, in Osteuropa und darüber hinaus verschleiern.
Die Situation, die sich in Europa zunehmend entwickelt, ist eine Warnung für die Arbeiterklasse. Ein Gremium, das geschaffen wurde, um Kräfte wie Swoboda und den Rechten Sektor zu fördern, betreibt die Zensur des Internets und des öffentlichen Lebens in Europa. In Europa werden aktiv Polizeistaaten vorbereitet.
Darin spiegelt sich der historische Zusammenbruch demokratischer Herrschaftsformen auf dem ganzen Kontinent wider, der sich über Jahrzehnte entwickelt hat. Das Vierteljahrhundert seit der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie ging mit Sparpolitik gegen die Arbeiterklasse im Inneren und immer neuen Kriegen der Nato im Nahen Osten, Nordafrika und Osteuropa einher. Der europäische Kapitalismus ist bankrott. Fast zehn Jahre nach dem Wall-Street-Crash von 2008 erreicht die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit ein Ausmaß, das mit demokratischen Herrschaftsformen nicht mehr vereinbar ist.
Angesichts von Massenarbeitslosigkeit und einer Jugend ohne Zukunft, hat die Wut über die sozialen Verhältnisse explosive Ausmaße erreicht. Die Umfrage der europäischen Rundfunkunion unter dem Titel „Generation What“ zu Beginn des Jahres ergab, dass mehr als die Hälfte der jungen Erwachsenen in Europa bereit wäre, an einem Massenaufstand gegen die bestehende Ordnung teilzunehmen. Der europäische Imperialismus reagiert darauf mit der Vorbereitung von Unterdrückung und autoritärer Herrschaft. Kritik an seiner Politik verurteilt er als „Fake News“ und russische Propaganda.
Es ist von Bedeutung, dass Spanien derzeit im Zentrum der Kampagne der EU gegen „Fake News“ liegt. Im vergangenen Monat setzte Madrid die gewählte Regierung Kataloniens trotz Massenprotesten in Barcelona ab, nachdem die Polizei bei dem katalanischen Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober friedliche Wähler angegriffen hatte. Berlin, London und Paris gaben Erklärungen ab, in denen sie Madrid unterstützten. Der spanische General Fernando Alejandre drohte Katalonien mit einer Militärintervention. Er pries die spanische Armee „aller Epochen“, womit er implizit auch die Invasion Kataloniens durch den faschistischen Diktator Francisco Franco während des spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1939 einschloss.
Es war abzusehen, dass die europäischen Medien, die spanische Regierung und East Stratcom eine Kampagne begonnen haben, in der Kritik am Vorgehen Spaniens und dessen Unterstützung durch EU als „Fake News“ gebrandmarkt werden. Am Montag berichtete der britische Guardian: „Vertreter der East Stratcom Task Force in Brüssel erklärten, sie hätten eine Zunahme von Desinformationen über das katalanische Referendum festgestellt, die dem explodierenden Zuwachs des Medieninteresses an dem Ereignis entspreche.“
Um einen angeblichen „Zuwachs bei den pro-russischen Desinformation des Kremls und den falschen Behauptungen über die politische Krise in Katalonien“ zu illustrieren, zitierte der Guardian einen Facebook-Eintrag des moldawischen Politikers Bogdan Tirdea. Dieser hatte gepostet: „EU-Vertreter unterstützten die Gewalt in Katalonien“
Wie in der Ukraine greift die herrschende Elite solche Äußerungen als „Fake News“ und als russische Propaganda an und das nicht, weil sie nicht stimmen würden, sondern weil sie politische Opposition im eigenen Land hervorrufen könnten.
Behauptungen, dass Russland und seine Verbündeten in Osteuropa die Krise in Katalonien angeheizt oder genutzt hätten, um der EU zu schaden, werden von den Erklärungen Spaniens selbst widerlegt. Eine Woche nach dem Referendum von 1. Oktober fand Madrid lobende Worte für Moskaus reaktionäre Unterstützung der innenpolitischen Unterdrückung in Spanien. Der spanische Botschafter in Russland, Ignacio Ibanez Rubio, sagte: „Spanien begrüßt Russlands offizielle Haltung. Von Anfang an hat Russland anerkannt, dass dies eine innere Angelegenheit unseres Landes ist…. Wir sind also sehr erfreut über Russlands Haltung zu der Krise in Katalonien.“
Die wachsende Dynamik der Initiativen zur Errichtung von Polizeistaaten in Europa und die Medienkampagne gegen russische „Fake News“ unterstreichen erneut die Bedeutung der Berichterstattung durch die World Socialist Web Site, ihrer Opposition gegen die EU und ihres Kampfs gegen Zensurmaßnahmen durch Google. Die WSWS wird zur führenden Stimme gegen die Bemühungen, autoritäre Herrschaftsverhältnisse und rechtsextreme Politik in Europa zu legitimieren.
Quelle: WSWS