Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche haben die Grünen der FDP schwere Vorwürfe gemacht. Die Liberalen hätten keinen wirklichen Grund gehabt, die Verhandlungen platzen zu lassen, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir. „Sie (die FDP, Anm. d. Red.) konnte es nicht wirklich begründen. Nicht inhaltlich, sondern sie hat beschrieben, daß es was mit dem Gesamteindruck zu tun hat.“
Er sei der Meinung, es hätte sich gelohnt, weiter zu verhandeln, denn die Demokratie lebe vom Kompromiß. „Vielleicht klingt das etwas altmodisch und wundert aus dem Munde eines Grünen: Aber ich finde schon, daß man immer noch sagen muß: Erst kommt das Land, erst kommen alle. Auch die, die einen nicht gewählt haben und dann kommt die Partei – und nicht umgekehrt.“ Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner warf den Liberalen zudem ein „schlecht inszeniertes Theater“ vor.
Zuvor hatte die FDP die Sondierungsgespräche über eine mögliche Koalition mit CDU, CSU und Grünen abgebrochen. „Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind“, sagte FDP-Chef Christian Lindner am späten Sonntag abend.
Streit über Zuwanderung
„Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Nach Wochen des Verhandelns habe lediglich ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vorgelegen, klagte Lindner. „Und dort, wo es Übereinkünfte gibt, sind diese Übereinkünfte erkauft mit viel Geld der Bürger oder mit Formelkompromissen.“
Den Geist dieses Sondierungspapiers könne und wolle die FDP nicht verantworten, unterstrich Lindner. „Viele der diskutierten Maßnahmen halten wir sogar für schädlich. Wir wären gezwungen, unsere Grundsätze aufzugeben und all das, wofür wir Jahre gearbeitet haben.“
Einer der Hauptknackpunkte war das Thema Zuwanderung gewesen. Einig war man sich zwar, daß die Einwanderung gesteuert werden müsse. FDP und Union wollten sie jedoch auch begrenzen. Die Union wollte eine nicht verbindliche Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr festschreiben. Die FDP warb für einen „Korridor“ von 150.000 bis 250.000 Menschen. Die Grünen lehnten dies jedoch zuerst ab – schlug dann als Kompromiß aber vor, die Zahl von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr könne als „atmender Rahmen“ gelten.
Merkel: Union wird Verantwortung übernehmen
Streit gab es daneben aber vor allem auch in der Frage des Familiennachzugs. Die Grünen wollten ihn auch Flüchtlingen mit begrenztem (subsidiärem) Schutzstatus gewähren, was in der Union, und vor allem in der CSU, auf heftigen Widerspruch stieß. Uneinigkeit gab es zudem über das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten. Während Union und FDP die Maghreb-Staaten und weitere Länder mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmen wollten, sprachen sich die Grünen dagegen aus.
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich enttäuscht über das Scheitern der Sondierungsgespräche „Es ist ein Tag mindestens des tiefen Nachdenkens, wie es weitergeht in Deutschland“, sagte sie. „Ich als geschäftsführende Bundeskanzlerin werde alles tun, daß dieses Land durch diese schwierigen Wochen gut geführt wird.“ CDU und CSU übernähmen die Verantwortung für Deutschland gemeinsam auch in schwierigen Stunden.
Im Laufe des Montags wird Merkel Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kontaktieren, um mit ihm über das weitere Vorgehen zu sprechen. Möglich sind sowohl eine Minderheitsregierung Merkels als auch Neuwahlen. Die SPD hat bislang ausgeschlossen, erneut eine Große Koalition mit der Union einzugehen.
Quelle: Junge Freiheit