„Aufrüsten“ im Netz: Google, Facebook & Co. gegen „Russlands Propaganda“

Das Herabstufen von russischen Inhalten auf Google oder Facebook sei „in Wirklichkeit Teil des westlichen Kampfs um die Deutungshoheit von Informationen.“ So die Analyse des Politologen Ullrich Mies im Sputnik-Interview. Laut ihm verlieren die Nato-Staaten immer mehr ihre Meinungshoheit, daher das „massive Aufrüsten“ ihrer Cyber-Abwehrkräfte.

„Wer über Google und Facebook und deren Machenschaften nachdenkt, sollte den ganz großen Zusammenhang im Auge behalten: Denn es geht um mehr als nur um private Internet-Konzerne und deren ökonomische Interessen“, sagte Mies gegenüber Sputnik. „Im Zentrum steht das Ansinnen der westlichen Regierungen auf Totalkontrolle der öffentlichen Meinung, allen voran der USA.“

Konkret nannte der Buchautor und Herausgeber seine eigene Person als Beispiel: „Wenn ich zum Beispiel den eigenen Namen bei Google eingebe, finde ich nur noch einen winzigen Bruchteil dessen, was ich seit zehn Jahren geschrieben habe. So geht es allen Systemquerulanten, Abweichlern, Militarismus-Kritikern, Umweltfreunden. Früher konnte ich selbst noch hunderte meiner Leserbriefe finden. Das ist alles Vergangenheit. Kritische Blogs finden Sie immer weniger über Google.“

Gibt es in der „freien Welt“ nur eine zulässige Weltsicht?

Mies deutet die aktuellen Entwicklungen so:

„Wenn im Netz also nur noch eine ‚Wahrheit‘, und zwar die ‚Wahrheit‘ der Herrschenden über Suchmaschinen zu finden ist, dann ist das Projekt Demokratie abgestorben. Genau da stehen wir heute. Doch was ebenso stimmt: Die westlichen Systeme erodieren im Tagesrhythmus.“

Laut dem Politologen wissen die westlichen Regierungen von der momentanen Gefahr, die Meinungshoheit zu verlieren. Sie wollen gegensteuern: „Und genau hier kommen Google, Facebook, Wikipedia und die anderen westlichen Internet-Plattformen ins Spiel: Sie sollen von regierungsfeindlichen oder kritischen Positionen befreit werden. Die Saubermacher und Reinigungskolonnen, die alles zu ‚Fake‘ erklären, was nicht der herrschenden Linie entspricht, sind sämtlich die beauftragten oder aber auch selbstbeauftragten, herrschaftskonformen Aufräum- und Abräum-Kommandos einer neuen Inquisition.“

„Nato-Wahnsinn“, Nationalstaaten und Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Google, Wikipedia & Co gehören für den Sozial- und Politikwissenschaftler zu „all diesen Herrschaftstechniken, welche die Menschen auf nur eine Weltsicht im ‚freien‘ Westen festlegen. Wer die Welt so sieht, wie sie tatsächlich ist, wird ausgegrenzt oder sogar psychiatrisiert, sprich: Er kommt in psychiatrische oder psychologische Behandlung. Wir leben im Zeitalter maximaler Perversionen und am Vorabend einer totalen Diktatur. Ob man diese nun als Faschismus oder modernisierten Faschismus bezeichnet, ist dabei nicht von Bedeutung.“

Der „ganze Wahnsinn“ werde noch weiter auf die Spitze getrieben, wenn Nationalstaaten, darunter EU- und Nato-Mitglieder, „ihre eigenen geheimdienstlich fundierten Cyber-Abwehrkräfte massiv aufrüsten. In Deutschland ist seit kurzem das unsägliche Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft. Dies alles dient sicher nicht dazu, das Meinungsspektrum und die Diskursbandbreite der demokratischen Öffentlichkeit zu erweitern.“ Die Regierungsvertreter sprächen in Sonntagsreden oft von „offener Meinungsvielfalt und Pluralität“, machen aber in der Realität das genaue Gegenteil.

Google, Facebook & Co: „Auslöschen von Systemkritik“

Mies fuhr mit seiner Analyse fort:

„Zurück zu Google und Facebook: Es geht also ausschließlich darum, die regierungskonforme Sicht als die einzig mögliche durchzudrücken. Ihre Motivation? Sie wollen jeden Ärger mit Regierungen vermeiden, ihr Geschäft über Werbeeinnahmen maximal ausbauen und sich lästige Konkurrenz vom Halse schaffen. Und je weniger alternative Konkurrenz-Medien beispielsweise über Suchmaschinen oder Verlinkungen gefunden werden, desto besser für das eigene Business.“

Das letztliche Ziel sei das „Auslöschen von Systemkritik im Internet. Und ausgelöscht ist alles, wenn ich als Forscher oder Recherchierender zwar noch Zugriff auf eine Suchmaschine habe, diese aber keine Ergebnisse mehr liefert.“ Das sei dann wie eine regierungskonform gesäuberte Bibliothek – eine Art moderner Bücherverbrennung.

Wikipedia: „Keine Enzyklopädie, sondern ein Gatekeeper“

Die genannten Internet-Anbieter und sozialen Medien stünden auch „in Verbindung mit offiziösen Denunziations-Plattformen wie ‚Psiram‘, die sich hochkrimineller Praktiken bedienen. Wikipedia wird in wichtigen Politik-Fragen und auch in ideologischen Fragen zunehmend zu einer unappetitlichen Denunziationsveranstaltung und hat mit einer Enzyklopädie im traditionellen Verständnis nichts zu tun.“

All diese Internet-Plattformen legen laut Mies als „anonyme Gatekeeper diktatorisch fest“, was als richtig und was als falsch zu gelten hat. Dabei würden „falsche Positionen“ und Personen sogleich in die Verschwörungsecke abgeschoben.

Von Alexander Boos

Quelle: Sputnik