Die Sorgen des Imperiums

Die USA haben ihre eigenen Sorgen mit ihrem Imperium, welches sie im Laufe der letzten Jahrzehnte schufen. Sie demontierten schrittweise die alte Weltordnung. Doch auch dieses Imperium wird zerbrechen.

Von Nebojsa Malic / Antikrieg

„Im Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges,“ so schrieb Chalmers Johnson in seinem 2000 erschienenen Buch ‚Blowback’, „verwarfen die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Außenpolitik weitgehend den Verlass auf Diplomatie, Wirtschaftshilfe, Internationales Recht und multinationale Institutionen und verlegten sich immer mehr auf Drohgebärden, militärische Gewalt und finanzielle Manipulation.“ Das musste natürlich Konsequenzen haben, behauptete Johnson. Und so war es auch, an einem Morgen im September, ein Jahr später, als ehemals von den Vereinigten Staaten von Amerika in Afghanistan und Bosnien unterstützte Jihadisten Amerika ins Visier nahmen.

Lange vor Rahm Emanuel wussten Regierungen, wie man eine Krise benutzt, um sich mehr Macht anzueignen. Auf den 11. September folgten eine Explosion des Wachstums der Bürokratie im eigenen Land und zunehmend kriegerisches Auftreten im Ausland. Afghanistan wurde ursprünglich angegriffen, um Osama bin Laden zu fangen; obwohl er dort seit Jahren nicht gesehen ward, befinden sich amerikanische und NATO-Truppen immer noch dort, und die Taliban, von denen man glaubte, sie seien besiegt, sind zurück und stärker als je zuvor. Der Angriff auf den Irak 2003 und die folgende Okkupation wurden der amerikanischen Öffentlichkeit verkauft als vorbeugende Maßnahme gegen eine Regierung, die Waffen der Massenvernichtung besitzt und diese an Terroristen weitergeben will. Als offensichtlich wurde, dass die Geschichte von den Massenvernichtungswaffen ein kolossaler Betrug war, war die einzige Reaktion des Herrschers ein Schulterzucken und „Na und?“

Johnson setzte seine Beschreibung von Amerikas Abstieg in den Imperialismus fort mit ‚The Sorrows of Empire’ (Die Sorgen des Imperiums) 2004 und ‚Nemesis’ 2008, sein neuestes Buch ‚Dismantling the Empire’ (Die Demontage des Imperiums) wird demnächst erscheinen.

Es begann mit Hiroshima

Diese Umwandlung Amerikas von einer verfassungsmäßigen Republik in ein zunehmend autokratisches Imperium begann nicht nach dem 9/11, auch nicht nach dem Ende des Kalten Krieges. In beiden Fällen wurde der Prozess beschleunigt, aber seine Wurzeln reichen weiter in die Geschichte zurück. Abraham Lincolns kriegerische Reaktion auf die Sezession erhob die Bundesregierung weit über ihren verfassungsmäßig vorgesehenen Status hinaus. Nach McKinleys Krieg mit Spanien 1898 eigneten sich die Vereinigten Staaten von Amerika ihre ersten Besitzungen in Übersee an. Woodrow Wilson war nicht wirklich erfolgreich mit seinem Kreuzzug, „die Welt sicher für die Demokratie zu machen,“ aber Franklin Delano Roosevelt hatte mehr Glück. Es war dann Harry Truman, der den Sprung wagte.

Man kann sagen, dass die nuklearen Attacken gegen Japan im August 1945 die ersten Schüsse des Kalten Kriegs waren. Zu diesem Zeitpunkt war Japan wehrlos und über die Kapitulation wurde bereits verhandelt. Durch den Einsatz der Atomwaffen versuchte Truman, den Krieg zu beenden, ehe die Sowjets eintreten konnten, und eine Position der Stärke für die Zeit nach dem Krieg zu sichern. Sein Nationales Sicherheitsgesetz im Jahr 1947 reorganisierte Militär und Geheimdienste und schuf den Apparat, der für die Führung des Kalten Kriegs erforderlich war – den er dann mit der Behauptung begann, der Kommunismus bilde eine globale Bedrohung für die Vereinigten Staaten von Amerika. In den folgenden 40 Jahren sollte die Welt am Abgrund gegenseitig zugesicherter nuklearer Vernichtung dahintaumeln, während beide, Sowjetunion und Vereinigte Staaten von Amerika, ihre Weltreiche mit Stützpunkten und Klientenstaaten ausweiteten.

Von Krajina nach Kosovo

Der Kalte Krieg endete 1989, als die Sowjetunion mehr oder weniger das Handtuch warf. Zwei Jahre später gab es keine Sowjetunion mehr, sondern ein Flickwerk von „unabhängigen Staaten.“ Der Jihad in Afghanistan, der als Waffe gegen die Sowjetunion in den 1970er Jahren in die Wege geleitet worden war, ging zu Ende. Francis Fukuyama schrieb sein bekanntes Werk über das nahende „Ende der Geschichte.“ Das imperialistische Establishment allerdings betrachtete diese Situation als günstige Gelegenheit. Die Welt gehörte ihnen und wartete darauf, von ihnen übernommen zu werden.

Schritt für Schritt demontierten die Vereinigten Staaten von Amerika die alte Weltordnung, unterminierten die UNO, wischten das Internationale Recht zur Seite, schufen sich Phantomrechte unter dem Vorwand einer übergeordneten „humanitären“ Notwendigkeit. Das Testgebiet dafür war der Balkan, wo die Vereinigten Staaten von Amerika sich tief in einen ethnischen Krieg nach der Zerstörung Jugoslawiens einließen.

Richard Holbrooke gab zu, dass durch die Intervention in Bosnien die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Macht in Europa wieder ins Spiel brachten. Diese schoben auch die UNO zur Seite und gaben der NATO mehr Macht. Gerade drei Jahre nach der Revolverdiplomatie in Dayton folgte die Farce von Rambouillet und der Angriffskrieg, den die NATO als „humanitäre Intervention“ etikettierte.

Am Kosovokrieg war nichts humanitär. Dieser war höchstens ein Versuch, die Operation Storm vom August 1995 zu wiederholen, in der das Imperium den lokalen Hilfskräften mit Luftwaffenunterstützung ausgeholfen hatte. Damals waren die „Müllplatz-Hunde“ (diesen Begriff verwendete Holbrookes Kollege Robert Frasure) die von den Vereinigten Staaten von Amerika ausgebildete kroatische Armee; 1999 war es die terroristische UCK. Es ist kein Zufall, dass viele in der UCK – zum Beispiel Agim Ceku – in der kroatischen Armee gedient hatten.

Die Konsequenzen waren ebenfalls haarsträubend ähnlich: Massenvertreibung von Serben (im Kosovo zusammen mit anderen Nicht-Albanern), Ermordung und Einschüchterung derjenigen, die blieben, und eine weitgehende Zerstörung von Eigentum. Obwohl Kroatien vor kurzem eine größere Werbekampagne betrieben hat, um Gäste aus Serbien anzulocken, stoßen diejenigen, die kommen, immer wieder auf verbale und physische Gewalt. Im Kosovo sind elektrischer Strom und Brot aus Serbien willkommen, Serben selbst aber nicht; in einem berüchtigten Zwischenfall wurde ein bulgarischer Angestellter der UNO auf der Straße ermordet, weil er eine Sprache benutzte, die wie serbisch klang.

Das Imperium präsentierte jedenfalls beide, „Operation Storm“ und die Okkupation des Kosovo als große Siege für die Menschenrechte. Die Kosovo-Aktion wurde hingestellt als „illegal aber gerechtfertigt,“ und die Straße nach Bagdad war frei …

Dystopie

Die „Nationenbildung” durch das Imperium mit Bomben, Bestechung und Propaganda hat den Balkan in einen Bereich der orwellschen Dystopie verwandelt, in dem verschiedene Regeln verschieden auf verschiedene Volksgruppen angewendet werden. Die Ideologen des Imperiums haben versucht, dieses Doppelspiel durch die Trennung der Konflikte auf dem Balkan zu vernebeln, indem sie erklärten, dass Kroatien, Bosnien und Kosovo völlig verschiedene und einzigartige Fälle darstellten, jeder mit seinen eigenen Grundsätzen und Regeln – weil, ja, weil sie es sagen.

Die „Diplomaten” der Vereinigten Staaten von Amerika dabei zu beobachten, wie sie lautstark die „Souveränität und Integrität“ von Bosnien-Herzegovina und Kosovo verteidigen – Staaten, die ausschließlich durch Amerikas Macht geschaffen und erhalten wurden – wäre lustig, wenn es nicht so tragisch wäre.

Mittlerweile maßt sich das Imperium das Recht an, jeden anzugreifen, überall, jederzeit, unter jedem Vorwand, indem es sich an die Breschnew-Doktrin hält. Gestern der Balkan, heute Irak und Afghanistan, morgen die Welt!

Geld, Politik und Macht

Im Lauf der Jahre hat der Widerstand gegen die Abenteuer des Imperiums zugenommen und abgenommen. Viel davon war parteiabhängig; die Republikaner krawallten wegen Clintons Interventionen, die Demokraten prangerten Bush den Jüngeren an. Wenn es allerdings darauf ankam, waren sie alle vereint auf dem imperialen Zug und stimmten immer dafür, die Mittel für den Krieg zur Verfügung zu stellen. Ungeachtet all der versprochenen „Hoffnung“ und „Wechsel“ brachte Obamas Wahl nur eine Restauration á la Clinton zustande.

Bush der Jüngere und sein Haufen führten Amerika – und versuchten die Welt zu führen – mit der Überzeugung, dass ihr Wille allein die Realität gestalten könne. Die „liberalen“ Imperialisten hingegen bleiben weiterhin überzeugt, dass die Welt an sich die amerikanische Herrschaft wünscht, und alles, was sie zu tun haben, die Herbeiführung einer Änderung des Geschmacks ist .

Die Kritiker des Imperiums versuchen auch, dem Verlauf des Geldes zu folgen. Das ist auf jeden Fall angebracht, wenn es darum geht, die Motivation von Individuen zu ergründen, wenn es aber um Regierungen geht, die – buchstäblich – Geld drucken können, so viel sie wollen, bringt das nicht so viel. Kriege an sich zerstören Reichtum. Während einige Individuen Gewinn daraus schlagen können, ist das bei der Gesellschaft insgesamt nicht der Fall. Nur ein Narr versucht, sich mit Gewalt anzueignen, was viel billiger durch Handel erreicht werden kann. Dem Imperium geht es nicht um Geld – obwohl seine Politiker und Proponenten nicht darüber erhaben sind, sich selbst zu bereichern – sondern um Macht und Kontrolle. Wie es Orwell so prophetisch beschrieben hat: „Ein Stiefel, der in ein menschliches Gesicht tritt – immer.“

Untergang

Strebsamkeit ist ganz in Ordnung. In fast jeder Religion wird allerdings die Machtgier als Sünde betrachtet. „Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut,“ schrieb Lord Acton 1887. Was könnte mehr korrumpieren als die Gier, die ganze Welt beherrschen zu wollen? Immer wieder sind Menschen dieser Versuchung unterlegen in der Gewissheit, dass es dieses Mal – für sie – anders sein würde. Das ist es nie und wird es nie sein …

Politiker träumen vom Imperium, um zu Macht und Reichtum zu kommen; ihren Wählern verkaufen sie diesen Traum als etwas, was diese reicher und sicherer machen wird. Dennoch führt das Streben nach der Weltherrschaft zum Bankrott Amerikas und die Amerikaner sind weniger sicher als je zuvor. Amerikas Macht beruht nicht länger auf Ideen, sondern auf Furcht. Früher oder später wird der Rest der Welt sich nicht mehr fürchten.

Was dann? Chalmers Johnson behauptet, dass das Imperium bereits die amerikanische Gesellschaft beschädigt hat, vielleicht irreparabel. Was ist gut an einem Land, das die Welt beherrscht, aber seine Seele verloren hat? Wenn es Blut an den Händen hat und die Welt in Trümmern liegt?

Diejenigen, die versuchen, über das Imperium hinaus zu blicken, sollten an die Worte Thomas Jeffersons denken: „Ich zittere für mein Land, wenn ich daran denke, dass Gott gerecht ist; und dass seine Gerechtigkeit nicht für immer schlafen kann.“

Quelle: Contra Magazin