Abwesenheitseffekt – welche Verluste kämen bei Olympiasperre auf Russland und IOC zu?

In der kommenden Woche wird das Exekutivkomitee des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) über die Teilnahme des russischen Nationalteams an den Winterspielen in Pyeongchang entscheiden. Durchaus möglich erscheint die schärfste Strafe: der Ausschluss der gesamten Mannschaft von den Spielen, schreibt die Zeitung „Kommersant“ am Freitag.

Zwar könnten die „sauberen“ Sportler nach Südkorea reisen – das wäre eine Möglichkeit. Aber dann müssten sie unter neutraler Flagge antreten, und das würde ebenfalls die Abwesenheit der Russen bei Olympia bedeuten. Denn in Moskau hat man bereits erklärt, dass die „neutrale“ Variante inakzeptabel wäre. Dabei zeugt die jüngste Disqualifizierung der zahlreichen russischen Olympioniken, denen zudem die Medaillen für die Erfolge bei den Spielen in Sotschi 2014 aberkannt wurden, davon, dass die Höchststrafe ziemlich wahrscheinlich ist.

Für Russland wäre das natürlich eine riesige Unannehmlichkeit. Denn mit der optimalen Besetzung könnte sein Team in Pyeongchang unter die besten drei gelangen. Jetzt kann es diese Möglichkeit jedoch verlieren – alles hängt vom IOC-Exekutivkomitee ab.

Allerdings könnte Russlands Ausschluss von den Olympischen Spielen auch für das IOC selbst negative Folgen haben. Manche Gefahren sind nicht gerade offensichtlich. Eine dem russischen Nationalen Olympischen Komitee nahestehende Quelle verwies beispielsweise auf den Sicherheitsaspekt der Spiele, und zwar im Kontext des „nordkoreanischen Faktors“. Russlands Teilnahme an den Spielen wäre eine Art „Versicherung“ gegen Probleme, und seine Abwesenheit in Pyeongchang „würde die Situation sehr nervös machen“.

Ein anderer Insider erinnerte daran, dass der Russische Basketballverband vor kurzem auf den Kampf um die Austragung der Weltmeisterschaft 2023 verzichtet habe, und zwar „wegen der negativen Einstellung der internationalen Sportgemeinschaft gegenüber russischen Athleten und dem russischen Sport im Allgemeinen“.

Russlands Suspendierung von den Olympischen Spielen könnte dazu führen, dass es künftig keine großen internationalen Wettbewerbe austragen würde, was Moskau bis zuletzt gerne tat. Dabei lässt sich in den letzten Jahren ein Mangel an Gastgebern von Welt- und kontinentalen Meisterschaften in ganz verschiedenen Sportarten beobachten, weil die Ausgaben für die Vorbereitung riesig und die Rentabilität eher gering ist. Kennzeichnend war die Situation um die Olympischen Spiele 2024 und 2028, als Paris und Los Angeles als Gastgeber überhaupt keine Konkurrenz hatten.

Es gibt aber auch ganz nachvollziehbare Risiken für das IOC, und zwar finanzielle. Sollte Russland tatsächlich nicht nach Pyeongchang reisen, würden die TV-Einschaltquoten einstürzen, vor allem bei der Übertragung der Wettbewerbe in solchen Sportarten wie Biathlon und Skilanglauf, Eisschnelllauf und Shorttrack, Bobsport und Rennrodeln, geschweige denn Eishockey und Eiskunstlauf. Der Eishockey-Wettbewerb muss schon wegen der Weigerung der nordamerikanischen NHL, ihre Spieler nach Südkorea reisen zu lassen, leiden. Sollte auch die russische Kontinentale Hockey-Liga (KHL) ihren Sportlern die Teilnahme an den Spielen untersagen, könnte man den Wettbewerb eigentlich absagen. Dasselbe gilt im Grunde auch für das Turnier im Eiskunstlauf.

Dabei sind die Verträge mit Fernsehsendern die größte Einnahmequelle des IOC (fast 50 Prozent). Zwar sind die aktuellen Kontrakte langfristig und laufen bis 2024 mit Discovery Communications (Besitzer des Senders Eurosport, zeigt die Olympischen Spiele in Europa) und bis 2032 mit NBC (zeigt die Spiele in Nordamerika).

Aber wenn sie abgelaufen sind, könnte das IOC auf Probleme stoßen. Denn  es ist nicht zu übersehen, dass die Einschaltquoten immer geringer werden: Bei den Winterspielen 1994 in Lillehammer lagen sie beim Publikum im Alter von 18 bis 49 Jahren bei 16,5 Prozent, 2002 (Salt Lake City) bei elf Prozent, 2010 (Vancouver) bei 6,5 Prozent und 2014 (Sotschi) bei nur 5,5 Prozent. Es ist also durchaus möglich, dass jetzt die Einschaltquoten noch weiter sinken. Und wenn die Zeit kommt, werden die TV-Leute unbedingt auf diesen Faktor verweisen, um maximal günstig neue Verträge abzuschließen. Für das IOC würde das nichts als finanzielle Verluste bedeuten.

Quelle: Sputnik