Es ist ein historischer Schritt: Die USA erkennen Jerusalem als Hauptstadt Israels an. Das wird Donald Trump nach Angaben aus dem Weißen Haus an diesem Mittwoch verkünden. Auch die US-Botschaft soll von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt werden.
Seit der Staatsgründung Israels hat jeder US-Präsident diesen Schritt sorgsam vermieden — aus vielen Gründen. Trump wird ein politisches Erdbeben im Nahen Osten auslösen.
Warum macht Trump das? Was könnten seine Gründe sein?
Angesichts der Tragweite ist das nicht ganz klar. Ja, er löst ein Wahlversprechen ein. Auch wird Trump damit neuerlich seine Basis begeistern. Aber um die muss ihm gerade eigentlich gar nicht bange sein — und auf der anderen Seite nehmen die USA nun eine schwere Eskalation in Nahost wenigstens billigend in Kauf.
Trump verprellt eminent wichtige US-Partner nicht nur in der arabischen Welt. Von praktisch allen Seiten wird die Anerkennung Jerusalems mit einem Ende des Friedensprozesses gleichgesetzt. Das ist ein sehr hoher Preis.
Warum ist Jerusalem die Lunte am Pulverfass Nahost?
Die Stadt ist Juden, Christen und Muslimen heilig. In der Altstadt liegt der Tempelberg (Al-Haram Al-Sharif: Das Edle Heiligtum). Er gilt Juden und Muslimen als bedeutendes Heiligtum. Nach islamischem Glauben ritt der Prophet Mohammed von dort aus in den Himmel. An dieser Stelle steht heute der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel. Daneben befindet sich die Al-Aksa-Moschee.
Die Stätten bilden das drittwichtigste islamische Heiligtum. Für die Juden ist der Ort ebenfalls von höchster Bedeutung, weil dort zwei jüdische Tempel standen. Die Klagemauer am Fuß des Tempelbergs ist der Überrest der ehemaligen westlichen Stützmauer des zweiten Tempels, der von den Römern im Jahr 70 zerstört wurde.
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Wie waren die ersten Reaktionen auf die Gerüchte einer Ankündigung?
International — mit Ausnahme Israels — ausnahmslos sehr kritisch bis verständnislos. Viele Anrainer in Nahost, aber auch Länder wie Deutschland oder Frankreich verwiesen auf das gewaltige Eskalationspotenzial nach Trumps Entscheidung. Die Türkei drohte Israel mit einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen.
In den USA kommt dagegen große Zustimmung von den Evangelikalen und auch von wichtigen Großspendern für den Republikaner wie dem Kasinobesitzer Sheldon Adelson.
Wie ist die Situation in Jerusalem entstanden?
Israel eroberte 1967 im Sechs-Tage-Krieg unter anderem Ost-Jerusalem und annektierte es später. Die internationale Gemeinschaft erkennt diesen Schritt nicht an. Die Palästinenser wollen Ost-Jerusalem als Hauptstadt für einen unabhängigen Staat Palästina in Ost-Jerusalem, dem Westjordanland und dem Gazastreifen. Israel beansprucht die ganze Stadt für sich. Die Altstadt mit der Klagemauer und dem Tempelberg liegt in Ost-Jerusalem.
Wie kann es nun weitergehen?
Das ist vollkommen unklar. Die USA selbst warnen über ihre Botschaft in Israel vor Gewaltausbrüchen am Mittwoch infolge der Entscheidung. Wenige Themen sind in Nahost aufgeladener und konfliktträchtiger als Jerusalem. Es ist nicht klar, welchen Weg sich Washington nach diesem Alleingang verspricht oder vorstellt.
Der Streit um den Tempelberg (Al-Haram al-Scharif/das edle Heiligtum) hat in der Vergangenheit immer wieder Gewalt ausgelöst. Wann und wie?
Im September 2000 besuchte der damalige Oppositionsführer Ariel Scharon demonstrativ den Tempelberg. Die Palästinenser empfanden das als Provokation. Die zweite Intifada brach aus. Mehr als 3000 Palästinenser und 1000 Israelis kamen in den folgenden viereinhalb Jahren durch Gewalt ums Leben. Im Herbst 2015 löste ein Streit um Nutzungs- und Besuchsrechte eine neue Gewaltwelle aus.
Seither starben rund 50 Israelis bei palästinensischen Attacken, meist mit Messern geführt. In dem Zeitraum wurden auch rund 300 Palästinenser getötet, die meisten bei ihren eigenen Anschlägen. Im Juli führte ein Streit um neue Sicherheitskontrollen zu Unruhen, bei denen vier Palästinenser starben. Ein Palästinenser erstach drei Mitglieder einer israelischen Familie im Westjordanland.
Jerusalem gilt als zentrale Frage in einem möglichen Friedensprozess. Welche Lösungsvorschläge gab es für die Stadt in der Vergangenheit?
Die Vereinten Nationen wollten Jerusalem nach dem Teilungsplan von 1947 international verwaltet sehen. Im Jahr 2000 schlug der damalige US-Präsident Bill Clinton vor, Jerusalem aufzuteilen. «Was jüdisch ist, bleibt jüdisch, was arabisch ist, wird palästinensisch», lautete seine Formel. Ähnlich sah dies auch die «Genfer Initiative» vor, die 2003 von israelischen und palästinensischen Vertretern erarbeitet wurde.
Jüdische Stadtviertel in Ost-Jerusalem sollten zudem unter israelische Hoheit fallen. Saudi-Arabien soll nun kürzlich den alten Vorschlag wieder aufgegriffen haben, Abu Dis, einen Ort am östlichen Stadtrand von Jerusalem, zur Hauptstadt der Palästinenser zu machen. Dies berichtete die «New YorkTimes».
Wer wohnt wo in Jerusalem?
In ganz Jerusalem leben nach Angaben des Zentralen Israelischen Statistik-Büros ungefähr 866 000 Menschen, davon 542 000 Juden und 323 700 Araber. Ost-Jerusalemist arabisch geprägt, West-Jerusalem jüdisch. In Ost-Jerusalem leben heute schätzungsweise mehr als 200 000 israelische Siedler und rund 300 000 Palästinenser.
Aktuell gibt es keine Botschaften in Jerusalem. Aber wie war das in der Vergangenheit?
Wenn die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt wird, wäre sie nicht die erste Botschaft in der Heiligen Stadt, aber zumindest aktuell die einzige. In der Vergangenheit waren zeitweise sogar mindestens 16 Botschaften zeitgleich dort angesiedelt, schreibt die «Haaretz».
Unter anderem Kenia, Bolivien, die Niederlande und Haiti hätten in den 1950er Jahren Botschaften in Jerusalem eröffnet. Allerdings seien die Vertretungen wieder geschlossen worden, die meisten nach der Annexion Ost-Jerusalems im Jahr 1980. 2006 verließen mit Costa Rica und El Salvador die letzten Botschaften West-Jerusalem.
Auswärtiges Amt warnt vor Ausschreitungen:
Die Bundesregierung warnt angesichts der Pläne von US-Präsident Donald Trump für eine Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels vor Ausschreitungen in Jerusalem, dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen. Von diesem Mittwoch an könne es in diesen Gebieten zu Demonstrationen kommen, heißt es in den am Dienstag aktualisierten Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes. «Gewalttätige Auseinandersetzungen können nicht ausgeschlossen werden.» Die Bundesregierung rief dazu auf, sich über die lokalen Medien zu informieren und die betroffenen Gebiete zu meiden.
Quelle: Focus