Sohn von Ratko Mladic: „Die Welt ist heute eine völlig andere. Wir haben Hoffnung“

Zu lebenslanger Haft ist der frühere Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Armee Ratko Mladic im November verurteilt worden. Sein Anwalt kämpft indes weiter für einen Freispruch des schwerkranken Ex-Generals. Auch dessen Sohn ist über den Gesundheitszustand besorgt. Im Sputnik-Gespräch erhebt er schwere Vorwürfe gegen das Tribunal in Den Haag.

Den Anwälten sei die Möglichkeit verweigert worden, Unschuldsbeweise für Mladic dem Gericht vorzulegen, sagte dessen Verteidiger Dragan Ivetic auf einer Videobrücke Moskau-Belgrad, die von der Nachrichtenagentur „Rossiya Segodnya“ organisiert wurde.

Nach der Schließung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien mit Jahresende sollen die noch nicht zu Ende geführten Fälle an den Internationalen Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe (MICT) übertragen werden, der seine Arbeit in Den Haag fortsetzen wird.

„Nächstes Jahr gehen wir in Berufung. Unser Ziel ist es, die Wahrheit wiederherzustellen. Einige unserer Beweise, die Mladic von allen Anschuldigungen befreien würden, wurden abgelehnt. Er wurde im Voraus verurteilt, und das ist absurd“, so Ivetic.

Es gebe Beweise dafür, dass das Massaker in Srebrenica eine Verschwörung der bosnischen Behörden gewesen sei, die die Zivilbevölkerung opfern wollten, um die USA in den Krieg einzubeziehen. „Die Welt sollte nicht den Trägern von Doppelstandards gehören, die dem serbischen Volk die Schuld für die Tragödie in Jugoslawien zuschieben wollen“, fügte er hinzu.

Gesundheitszustand kein ernstzunehmender Faktor?

Indes macht sich die Familie des Ex-Generals Ratko Mladic Sorgen über dessen Gesundheit und beharrt auf einer ärztlichen Behandlung außerhalb des Haager Tribunals.

Mladic erlitt bekanntlich bereits mehrere Schlaganfälle und einen Herzinfarkt. Sein Sohn Darko Mladic äußerte, dem Gefängnisarzt Dr. Falke nicht zu vertrauen. Auf den vom Tribunal vorgelegten Hirnaufnahmen des Ex-Generals vom März 2017 seien die Spuren weiterer Mini-Schlaganfälle zu erkennen, was von einer Verschlechterung des Gesundheitszustands zeuge. Dr. Falke habe jedoch einen Besuch serbischer Ärzte verboten. Nur die Öffentlichkeit könne nun das Leben des Generals retten, sagte Darko Mladic im Interview für Sputnik.

„Er ist ein schwerkranker Mensch. Und sogar Gefängnisärzte erkennen die schwierige Lage um seine Gesundheit an. Sie können gar nicht ignorieren, dass seine ganze rechte Körperseite gelähmt ist, dass er absolut keine Kraft hat“, erläuterte er. Manchmal schlafe der Ex-General ganze 15 Stunden am Stück.

„Aus den Aufzeichnungen, die wir nur schwer erhielten, haben wir erfahren, dass er nicht richtig behandelt wurde. Er hätte in einem Krankenhaus behandelt werden müssen. Und die ganze Zeit haben sie Informationen über seinen Zustand verheimlicht. Aber was immer sie auch getan hatten, sie konnten seinen Geist und seinen Willen nicht brechen“, betonte Darko Mladic.

Ferner verwies er auf den angeblichen Suizid von Mladics Tochter Ana im Jahr 1994. Die Familie sei davon überzeugt, dass die Frau getötet worden sei, um Druck auf den Ex-General auszuüben.

„Unsere ganze Familie und der General denken, dass sie in Wirklichkeit umgebracht wurde, und zwar aus politischen Motiven. Es ist offensichtlich, dass sie ihren Tod politisch nutzen wollten und die ganze Zeit versuchten, General Mladic mit dieser Tatsache zu beeinflussen.“

Mit Blick auf die Bereitschaft des Anwalts seines Vaters, Berufung gegen das Urteil einzulegen, sagte Darko Mladic:

„Seine Befreiung und unser Kampf dafür hängt faktisch von politischen, und nicht im geringsten von rechtlichen Faktoren ab. Wir sehen, dass sich alles vor unseren Augen verändert. Heute ist die Welt eine völlig andere als noch vor sechs Jahren. Und es besteht die Hoffnung, dass er womöglich freikommt.“

Misstrauen und Widersprüche

Vorwürfe erhob bei der Videobrücke auch der russische Parlamentarier Pawel Dorochin: Das Gericht sei als wirksames Instrument der internationalen Strafjustiz fehlgeschlagen. Ihm zufolge verletzt das Tribunal die Menschenrechte, indem es Mladic qualifizierte medizinische Hilfe verweigert.

„Kardiologen vom russischen Bakulew-Zentrum für Herz- und Gefäßchirurgie untersuchten den Angeklagten im Gefängnis und haben bei ihm einen kritischen Gesundheitszustand festgestellt. Das Gericht berücksichtigte jedoch ihre Empfehlungen nicht und verweigerte ihm eine kurze Reise nach Russland – selbst unter Garantien der russischen Regierung – für eine ärztliche Behandlung“, erläuterte Dorochin.

Das Urteil gegen Ratko Mladic ist nicht die erste harte Entscheidung des Haager Tribunals gegen die serbischen Angeklagten. Praktisch alle Top-Politiker Serbiens, der Republika Srpska und der Republika Srpska Krajina haben vor dem Haager Gericht gestanden. Dabei wurden aber kaum kroatische, bosnische oder albanische Machthaber verurteilt. Eine solche Position des Tribunals sorgt laut Experten für Spannungen und gegenseitiges Misstrauen im Raum des ehemaligen Jugoslawiens und lässt alte Probleme und ethnische Widersprüche in der Region wieder aufleben.

Während des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien war Ratko Mladic Kommandeur der Armee der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina. Seit 2012 stand er vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Nach einem über sechs Jahre langen Prozess wurde Mladic am 22. November 2017 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Quelle: Sputnik